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22. Internationales Film Festival Innsbruck

Unerfüllte Sehnsüchte

| Walter Gasperi |

Die diesjährige Ausgabe des Film Festival Innsbruck überzeugte mit sozial engagiertem Kino.

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Junge einheimische Filmemacherinnen und Filmemacher sowie erfahrene Filmschaffende führte das 22. Internationale Film Festival mit dem erstmals durchgeführten „IFFI Campus“ zusammen. Eine Woche lang konnten 25 Talente in Lectures und Gesprächen mit Regisseuren wie Paul Leduc, Jeanine Meerapfel und Fritz Ofner oder dem Kameramann Christian Berger sich fortbilden und eigene Ideen weiterentwickeln.

Die Mischung aus arrivierten Filmemachern und Newcomern bestimmte auch das Programm des Spielfilmwettbewerbs. Stammgäste beim Innsbrucker Festival sind der Kubaner Daniel Diaz Torres, der mit dem Low-Budget-Film La pelicula de Ana – Lügen auf Kubanisch die wenig überzeugende erste kubanisch-österrreichische Koproduktion präsentierte, und Jeanine Meerapfel, die in Der deutsche Freund vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse zwischen den 1950er und 1980er von der Liebe zwischen der Tochter jüdischer Flüchtlinge und dem Sohn eines nach Argentinien geflohenen Nazi-Bonzen erzählt.

Im Gegensatz zum episch breiten Film Meerapfels konzentriert sich der Senegalese Moussa Touré, der vor 16 Jahren mit TGV einen internationalen Erfolg landete, in La pirogue auf eine eng geführte Geschichte, die damit aber umso eindringlicher die Flüchtlingsproblematik bewusst macht. Touré setzt den Zuschauer förmlich mit 30 Flüchtlingen in ein Fischerboot, mit dem sie hoffen von der afrikanischen Westküste aus die Kanarischen Inseln zu erreichen. Hautnah erlebt man so in der packenden Inszenierung die Ängste und äußeren Gefahren von Sturm bis Motorschaden mit, wird sich in den Differenzen innerhalb der Flüchtlinge, die teilweise nur über Dolmetscher miteinander kommunizieren können, aber auch bewusst, wie wenig treffend die in Europa zumeist verwendete Verallgemeinerung „Afrikaner“ ist.

Mehr Beachtung fand in Innsbruck aber Nairobi Half Life des Kenianers David „Tosh“ Gitonga, der sowohl mit dem Filmpreis des Landes Tirol als auch mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde. Gitonga erzählt in seinem Langfilmdebüt, das im Rahmen von Tom Tykwers Verein „One Fine Day“ entstand, mitreißend im Stil von Fernando Meirelles City of God vom jungen Mwas, den der Traum Schauspieler zu werden vom Land in die Metropole Nairobi führt. Mit den Augen Mwas, der sich einerseits einer Gang von Kleinkriminellen anschließt, andererseits aber auch an seiner Schauspielkarriere arbeitet, taucht der Zuschauer in diesem dynamisch erzählten und stark gespielten Film in den Großstadtdschungel ein und lernt eine Welt voll Schmutz und Verbrechen kennen.

Wie der Protagonist von Nairobi Half Life träumen auch die zehn Mütter, die sich in Keep Smiling der Georgierin Rusudan Chkonia für einen Schönheitswettbewerb melden, von einem anderen Leben, das ihnen der Hauptpreis ermöglichen würde. Dramaturgisch klug aufgebaut entwickelt Chkonia ihren Film in Form eines Countdown auf das Finale zu. Bissig übt die Regisseurin Kritik an den Medien, die das Schicksal von Menschen rücksichtslos ausschlachten und für die einzig gilt „The Show must go on“, bietet gleichzeitig über die zehn  Protagonistinnen aber auch Einblicke in vielfach prekäre Lebensverhältnisse.

Während Keep Smiling durch die vitale Inszenierung und die blendend aufgelegten Schauspielerinnen souverän die Balance zwischen Komik und Tragik hält, ist der Blick von Chkonias Landsfrau Rusudan Pirveli in Susa hoffnungslos. Mit der Geduld und Genauigkeit einer Dokumentarfilmerin folgt Pirveli den Wegen des 12-jährigen Susa durch eine winterlich kalte und trostlose Vorstadt. Für einen illegalen Schnapsbrenner liefert der Junge Wodka aus, muss sich dabei einerseits vor der Polizei in Acht nehmen, andererseits stärkeren Kleinkriminellen Schutzgeld zahlen. Sehnsüchtig erwartet er die Rückkehr des Vaters, der lange abwesend war, doch auch mit dessen Ankunft ändert sich nichts.

Pirveli dramatisiert nicht, erzählt ruhig, aber die fast wortlose und mit einer kurzen Ausnahme auch auf Musik verzichtende gänzlich unsentimentale Schilderung einer bitteren Kindheit bleibt lange haften.