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Dumplings - Miriam Yeung

Dumplings

Schönheit geht durch den Magen

| Andreas Ungerböck |

Chinesisches Essen einmal anders: Hongkong-Regisseur Fruit Chan serviert mit „Dumplings“ eher deftige Kost.

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Kannibalismus, Inzest, Abtreibung in Großaufnahme: Die makabre Satire Dumplings – Delikate Versuchung über Schönheitswahn und den Traum von ewiger Jugend ist nichts für Leute mit empfindlichem Magen. Regisseur Fruit Chan, seit seinem mehrfach preisgekrönten Independent-Kinohit Made in Hong  Kong (1997) Stammgast bei internationalen Filmfestivals mit preiswert produzierten, naturalistischen Sozialdramen, konnte bei Dumplings erstmals mit einem ansehnlichen Budget, dem Weltklasse-Kameramann Chris Doyle sowie den chinesischen Topstars Bai Ling (Interview) und Tony Leung Kar-fai drehen. Zuvor hatte er zumeist mit Laiendarstellern sowie befreundeten Crewmitgliedern gearbeitet und Menschen aus der Unterschicht porträtiert. Die Affinität zu diesem Milieu kommt nicht von ungefähr. Der 1959 auf der Insel Hainan in der südchinesischen Provinz Guangdong geborene Regisseur stammt selbst aus einfachen Verhältnissen. Im Alter von zehn Jahren zieht Fruit Chan (der Vorname ist eine wörtliche Übersetzung seines kantonesischen Rufnamens Kwoh, d.h. Frucht) mit seiner Familie nach Hongkong. Er wächst in dicht bevölkerten Hochhausblocks des sozialen Wohnungsbaus auf, in einer tristen Trabantenstadt „auf der Schattenseite des Lebens, aus der man am besten so schnell wie möglich heraus kommt oder ein Dasein in der Hölle vor sich hat”.

Ablenkung von den bedrückenden Problemen seines von Armut geprägten Alltags findet der Schüler im Kino. Er entwickelt sich zum leidenschaftlichen Filmfan und besucht Kurse der Hong Kong Film Culture Society, wo bedeutende New Wave-Regisseure wie Tsui Hark dozieren. „1982 begann ich, in der Filmindustrie zu arbeiten”, erinnert sich Chan: „Zuerst als Gehilfe: sauber machen, Abfall wegbringen. Dann arbeitete ich als Produktionsassistent: Requisiten, Drehorte suchen. Aber ich wollte kreativ arbeiten.” Der Lehrling dient sich hoch zum zweiten, dann zum ersten Regieassistenten, bis er endlich die Chance erhält, selbst zwei Filme zu inszenieren. Sein Regiedebüt, die Geistergeschichte Finale in Blood, läuft 1993 sechs Tage erfolglos im Kino. „Der andere Film (Five Lonely Hearts) wurde erst gar nicht veröffentlicht. Eine Geschichte über fünf Mädchen, die im Sommer an die See fahren, um Jungs aufzureißen. Er taugte nichts”, gesteht Chan selbstkritisch.

In verschiedenen Funktionen arbeitet Chan weiterhin als Angestellter in der Kinoindustrie und sammelt Erfahrungen. Während seiner Freizeit recherchiert er und bereitet ein Projekt über unterprivilegierte, rebellische Jugendliche vor. In Gassen, Schnellimbissen und auf öffentlichen Sportplätzen findet er authentische Darsteller, mit übrig gebliebenen Rohfilmresten aus Produktionen des Leinwand-Superstars und Produzenten Andy Lau dreht er 1997 das Teenager-Drama Made in Hong Kong. Lau ist vom Ergebnis beeindruckt und spendiert 64.000 Dollar für die Nachbearbeitungs- und Kopierkosten von Chans kompromisslosem, facettenreichen Porträt einer asozialen Unterschichtswelt, wo drei Teenager an Liebesmangel, Brutalität und Perspektivemangel leiden – kurz vor der chinesischen Machtübernahme in Hongkong.

Chans zweite Independent-Produktion The Longest Summer, über ehemalige Armeeangehörige, die aus materieller Not zu Bankräubern werden, wirkt unausgegoren: inkohärent in der Handlung und oberflächlich in der Charakterzeichnung. Weit überzeugender gelingt Little Cheung, eine anrührende Milieustudie aus Mongkok, Hongkongs am dichtesten bevölkertem Stadtteil, mit billigen Märkten, kleinen Handwerksbetrieben, Geschäften, Garküchen, Spielhallen und schäbigen Bordellen. Dort spielt auch Durian Durian, die vom Regisseur ohne Drehbuch improvisierte Geschichte einer Prostituierten aus der nordostchinesischen Provinz Dongbei. Fruit Chan kultiviert in diesen Filmen einen sozial-kritisch-realistischen Darstellungsstil, mit viel Lokalkolorit, präzisen Detailbeobachtungen, authentischen Charakteren.

Hauptschauplatz von Hollywood – Hong Kong ist ein modernen Hochhäusern vorgelagertes Elendsquartier, wo Prostituierte, Nachwuchszuhälter und drei fettsüchtige Schlachter um Geld und Leben ringen. Chan inszeniert den Daseinskampf im Stil einer Farce, in der Menschen verfüttert werden und eine abartige Ärztin mit Embryonen experimentiert, so dass dieser Low-Budget Film wie eine Art Vorübung für Dumplings wirkt.

Mahlzeit!

Jugend- und Schönheitswahn haben längst auch auf Hongkong übergegriffen. Die Schauspielerin Li Qing (Miriam Yeung) ist verzweifelt auf der Suche nach einem Wundermittel, um ihren untreuen Ehemann (Tony Leung Kar-fai) wieder zurückzugewinnen. Frau Mei (Bai Ling), eine scheinbar alterslose Schönheit, verspricht Abhilfe – mittels eigenwillig gefüllter Teigtaschen.

Einen „postfeministischen Horrorfilm“ wollen einige in Dumplings – Delikate Versuchung (Jiaozi) gesehen haben, dem neuesten Werk des umtriebigen Autorenfilmers, das nun – ein wenig überraschend, aber umso erfreulicher – den Weg in unsere Kinos findet. Wer der geheimnisvollen Füllung von Frau Meis Teigtaschen ansichtig wird, sollte vielleicht vor dem Kinobesuch das Abendessen auslassen. Darum geht es aber nur in zweiter Linie. Zuvorderst ist Dumplings eine bitterböse Farce über Schönheitswahn und Jugendkult im schicken Production Design, ganz entsprechend dem Reichtum, der der ehemals hoffnungsvollen, aber nun nicht mehr erfolgreichen Schauspielerin Li Qing zur Verfügung steht – dank ihres Mannes, eines eitlen alternden Lebemannes, der sich lieber au-ßerhäusig vergnügt als mit seiner Frau, der er immerhin – als Bußgeld, wie er sagt – dicke Schecks ausstellt.

Obwohl, wie spätestens seit Ferdinand Raimund bekannt, Jugend nicht für Geld zu kaufen ist, versucht Frau Li, die Quadratur des Kreises zu berwerkstelligen. So gerät sie an die ehemalige Abtreibungsärztin Mei, deren Alter sich anhand eines Porträts an der Wand auf jedenfalls über 60 ausrechnen lässt, die aber das Geheimnis ewiger Jugend zu kennen scheint.

Dazu kocht sie die traditionellen chinesischen Teigtaschen, über deren Inhalt sie Li Qing zunächst wohlweislich im Unklaren lässt. Es kommt, wie es kommen muss: Die Schauspielerin wird süchtig nach der vermeintlichen Wunderdroge, obwohl der Erfolg mäßig ist und sich böse Nebenwirkungen einstellen. Den zentralen Satz von Mei hat sie geflissentlich überhört: „Wahre Verjüngung kommt von innen heraus.“

Dumplings,
geschrieben von der Schriftstellerin Lillian Lee, die schon für zwei andere herausragende chinesische Melodramen (Stanley Kwans Rouge, 1987, und Chen Kaiges Lebewohl, meine Konkubine, 1993) verantwortlich zeichnete, und getragen von zwei famosen Darstellerinnen, ist ein grausig-schönes Beispiel dafür, wie man einem scheinbar ausgereizten Thema noch einmal einen Kick abgewinnen kann. Star-Kameramann Christopher Doyle hat sich wieder einmal selbst übertroffen und beobachtet das aberwitzige Geschehen mit präziser Distanz und Neugier; nur gelegentlich, dann aber umso heftiger, verpasst er dem Publikum mit sichtlicher Lust kleine visuelle Schocks.