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Brokeback Mountain – Ang Lee im Gespräch

„Mich interessiert was unter der Oberfläche ist“

| Dieter Oßwald |

Ang Lee im Gespräch mit Dieter Oßwald – Mitarbeit: Holger Fröhlich

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Nach Ride with the Devil ist dies Ihr zweiter Film mit Anleihen am Westerngenre, nach The Wedding Banquet die zweite schwule Story – Zufall oder Absicht?
Ich bin einfach über diese Genres gestolpert und habe sie lieben gelernt.Ride with the Devil hat einen unmittelbaren Bezug zur Natur, ist eher als eine Art Vorstufe zum Western zu betrachten. Brokeback Mountain erzählt in erster Linie eine einzigartige Liebesgeschichte, deren zentrale Themen Sexualität und Romantik sind. Das sind für mich zwei völlig verschiedene Geschichten. The Wedding Banquet handelte in einer asiatischen Familie, spielte in New York und hatte viele Dialoge. In Brokeback Mountain bleibt vieles weitgehend unausgesprochen, ist sehr privater Natur. So unterschiedlich die Genres sind, die große Gemeinsamkeit liegt im Tabu: Wir Nicht-Amerikaner haben unser Bild über die USA hauptsächlich aus Hollywood. Diesem Image wollte ich ein hartes, konservatives Amerika gegenüberstellen.

Harte Männer hatten im Western bislang wenig Zeit für Gefühle, erst recht nicht für Gefühle zueinander.
Ich glaube an das Prinzip von Yin und Yang, die zwei Seiten einer Klinge. Die eine sehr maskuline und kämpferische Seite ist uns bekannt. Die andere Seite aber ist die feminine und sorgende Seite, sie ist uns weniger bekannt und zeigt sich beispielsweise, wenn Cowboys mit ihren Tieren allein sind, wenn sie beginnen, mit ihnen zu sprechen. Vielleicht muss ab und zu jemand von außen kommen wie ich, um von dieser einseitigen Darstellung wegzukommen.

Hängt das Interesse für Außenseiter mit Ihrem Status als Einwanderer zusammen?
Ich war mein Leben lang Ausländer, meine Eltern flüchteten vor dem Bürgerkrieg in China. In Taiwan sah man mich als Außenseiter, zurück in China war ich plötzlich wieder ein Fremder. Und in Amerika bin ich gleichfalls kein Amerikaner. Das macht es leicht, mich mit Charakteren zu identifizieren, die gegen den Strom oder auf der anderen Seite des Flusses schwimmen.

Wie schwierig war es, die Stars Jake Gyllenhaal und Heath Ledger für diese Rollen zu gewinnen?
Viele Stars hätten sicher Schwierigkeiten mit solchen Figuren gehabt, aber ein guter Schauspieler erkennt eine gute Rolle. Jake und Heath haben ganz einfach ausgeblendet, dass solche Parts kontrovers oder gar gefährlich für ihre Karriere sein könnten. Ich musste sie jedenfalls nicht zwingen, die Liebesszenen zu spielen.

So schön Ihre Lovestory sich entwickelt, hat sie doch ein tragisches Ende …
Liebe ist eine Illusion, das ist das Thema von Brokeback Mountain. Wenn Liebe dauerhaft wäre, hätten wir vor 2.000 Jahren aufhören können, Geschichten darüber zu schreiben. Da wir dieses Gefühl aber nie wirklich ergründen können, ist die Liebe ein ewiges Thema. Unser Film zeigt die Liebe als Möglichkeit: Wir müssen an etwas glauben, wir brauchen Beziehungen. Wir jagen etwas nach, zu dem wir gehören wollen und es doch nicht kennen. Als Ennis seine große Liebe endlich erkennt, ist es bereits zu spät für ihn.

Sie haben in völlig verschiedenen Genres gearbeitet – woher rührt dieser häufige Wechsel?
Ein Stoff muss mich ansprechen oder wichtig für mich sein. Meine ersten beiden Drehbücher hatten einen sehr persönlichen Hintergrund. Heute widme ich mich fremderen Themen, versuche auf meine Umwelt zu reagieren. Das Genre ist eine Art Brücke zwischen dem Material, mit dem ich mich befasse, und dem Publikum, das einen vertrauten Kontext verlangt. Ich habe aber Angst davor, Genrefilme zu machen. Ich möchte mich nicht festlegen lassen, darum gehe ich sehr freizügig mit den Genreregeln um.

Wann haben Sie Ihre Liebe zum Kino entdeckt?
Ich habe bereits in Taiwan mit einer Super-8-Kamera experimentiert, damals wurde mir klar, dass ich Filme machen will. Der Blick durch die Linse lässt für mich alles klarer erscheinen als im wirklichen Leben. In Taiwan gab es allerdings kein Geld für Filme, deshalb konzentrierte ich mich auf das Theater. Wobei eine gewisse Bühnenerfahrung sich allerdings als sehr hilfreich für das Kino erweist.

Warum sind Sie damals nach Amerika gegangen?
Für ihre Ausbildung gehen viele Taiwanesen nach Amerika oder Europa. Ich wollte nach Frankreich, aber die Sprache war zu schwierig für mich, also habe ich mich für die USA entschieden. Nach dem Abschluss der Filmschule wurde eine Agentur auf mich aufmerksam, die mich unter Vertrag nahm. In den späten 80ern kam mein erstes Kind, und so blieb ich in Amerika. Sechs Jahre später drehte ich mit Pushing Hands meinen ersten Film in New York, allerdings auf Chinesisch.

Ab wann wissen Sie, ob Ihnen ein Film gelingt?
Es gibt Szenen, von denen man schon während der Dreharbeiten überzeugt ist. Einen wirklichen Eindruck bekomme ich aber erst, wenn ich meine Rohfassung im kleinen Kreis zeige. Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass man die erste Version verändern kann wie man will, die Richtung des Films und die Fragen, die er aufwirft, bleiben die gleichen: Wenn bemängelt wird, dass der Film zu lang ist, kann ich ihn um 40 Minuten kürzen und er wird immer noch für zu lang gehalten.

Hatten Sie je Angst vor einem Projekt?
Es ist eine Art Hulk in mir, der Herausforderungen sucht. Angst ist das Nachbargefühl von Begeisterung und Spannung, sie kann das Letzte aus einem herauskitzeln. Wobei es für mich beim Filmemachen weniger darum geht, jemanden zu beeindrucken, sondern Spannung zu erzeugen. Mich interessiert, was unter dem gesetzten, wohlgeordneten Leben rumort. Die gesellschaftliche Ordnung ist für das Zusammenleben unverzichtbar, doch jenseits des verstandesgemäßen Erlebens der Dinge gibt es eine Form von Aggression – den Hulk in jedem von uns.

Wird es eine Fortsetzung von Crouching Tiger, Hidden Dragon geben?
Ich bin noch nicht sicher. Es gibt viele Entwürfe, aber bisher war nichts Neuartiges dabei. Außerdem werde ich älter und bin weniger darauf bedacht, sofort den nächsten Film drehen zu müssen. Mit dieser Erfahrung im Nacken stand ich unter enormem Druck, einen Film nach dem anderen zu drehen. Mittlerweile habe ich eingesehen, dass das mein Leben ist und keine Hetzjagd.