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Community TV – Der Kanal ist offen

Der Kanal ist offen

| Christian Resei |

Bürgerfernsehen erstmals in Österreich. Bei Okto gibt’s ab und zu fast mehr Programmmacher als Zuschauer, was gar nicht gegen die Intention des Senders verstößt.

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Montag 21 Uhr, während andere im Weihnachtsprogramm mit Blockbustern aus Hollywood um die Gunst des noch im Geschenkrausch schwelgenden Publikums buhlen, spazieren auf Okto zwei Männer eine halbe Stunde durch einen Innenhof und dozieren im Fachenglisch über Medienkunst und neue Medien. Matthias Tarasiewicz, ein Protagonist der Künstlergruppe 5uper.net, und der Direktor der Experimental Art Foundation aus dem australischen Adelaide, Melentie Pandilovski, lassen dabei Begriffe wie Dokumenta 10, Eduardo Kac, Polymer oder Roy Ascott so nebenbei fallen, als wären sie selbstverständlich im Alltag. In knapp einer halben Stunden legen beide ein paar Kilometer zu Fuß, aber geistig einige tausend Kilometer zurück. „New Ordner“ heißt das Magazin, das den simpel gestrickten Zuschauer schon dadurch verschreckt, dass es zu diesem Gespräch keine deutschsprachige Erklärung gibt. Untertitel gibt’s zwar, aber die sind in Englisch und erläutern eher das Besprochene. „Wir machen für eine Zielgruppe Fernsehen, die normalerweise nicht fernsieht“, führt Tarasiewicz aus. 5 Tage hat 5uper.net, eine Gruppe aus dem Wiener Museumsquartier, an dieser Sendung gearbeitet und sie auch mit Metainhalten ergänzt, die auch Interessierte nur durch das Standbild am Videorecorder erkennen und zu deuten wissen.

Community-Plattform

„Wir müssen nicht Programme senden, die auch der Slow Joe kapiert“, sagt Barbara Eppensteiner, sie ist die Programmintendantin bei Okto, „denn wir schielen nicht nach Quoten und sind für Experimente offen“. Okto ist der erste offene Kanal in Wien und ist seit Ende November on air. Okto will möglichst viele Menschen erreichen, nicht zwingend als Zuseher, sondern als Gestalter von Inhalten. Es will eine Plattform für verschiedene Communities sein, die ihr eigenes Programm machen. Anders als bei den Offenen Kanälen in Deutschland, wo Sendungen im Studio sofort abgespielt werden, ohne dass sie jemand vorher zu Gesicht bekommt, werden sie in Okto von einem Programmteam abgenommen. „Wir schauen drauf, dass keine Ismen (Rassismen, Sexismen) und keine Inhalte, die Hass projizieren, verbreitet werden“, sagt Robert Stachel, er ist Programmplaner. Und anders als bei den kommerziellen Sendern soll auch nicht der Markt bestimmen, was gesendet wird.

Wobei das Niveau durchaus variieren kann. Auf Slow Joe wird zwar bei der Programmierung der Sendungen keine Rücksicht genommen, er wird aber gerne eingeladen, selber etwas dazu beizutragen. Er muss nur ein Konzept für die Sendung mitbringen, das realisierbar erscheint, was etwa bei Hello Vienna – Hello Austrofred augenscheinlich der Fall war. Austrofred, mit angeklebtem Schnurrbart und zurückgegelten Haaren, die oberösterreichische Antwort auf Freddie Mercury,  macht Hausbesuche bei solchen Celebrities wie dem ehemaligen Falco-Musiker Thomas Rabitsch oder Hubert Wolf, den die Österreicher als Papa Putz aus der Fernsehwerbung kennen. Im Stil ein Mix zwischen Dagmar Kollers Hallo, wie geht’s? und Helmut Zilks Lebens-Künstler, zeigt Austrofred, dass der ausführliche Genuss von Weißwein Gespräche schön auflockern kann. Dadurch erfährt der Zuschauer mehr Geheimnisse aus dem „Schaubuisness“ als bei Dagmar Koller und Helmut Zilk zusammen. Etwa, dass bei Kommissar Rex die Wurstsemmeln zusammengenäht werden, oder, dass Papa Putz beim Lutz gleich viel Prozente wie ein einfacher Möbelverkäufer bekommt.

Von MigrantInnenthemen bis Amateurkabarett

Übrigens bei Okto ist jede Form von Werbung verpönt. Weder Werbeclips noch Productplacement oder Promotion werden gestattet. Auch nach Programmschluss wird die Frequenz nicht an Astrologen vermietet, die ihren Kunden deren traurige Zukunft voraussagen, oder als Platz für Promotionsendungen genützt, die den deutschen V-Hobel als größte Innovation seit dem Raketenantrieb anpreisen. Dagegen ist Sponsoring willkommen, vielleicht könnten sich da Unternehmen angesprochen fühlen, für die jetzt eher unabsichtlich geworben wird. So findet etwa fast jedes zweite Interview auf einer IKEA-Couch statt. Aber noch wird das Budget des Senders von der Gemeinde Wien allein finanziert. 980.000 Euro steuert die Bundeshauptstadt im Jahr dazu bei und garantiert diese Summe für insgesamt drei Jahre. 14 feste Mitarbeiter und ein paar freie sollen dabei den Bürgern helfen, ihre Ideen in Sendungen umzuwandeln.

Dem Ruf von Okto sind bisher über 50 Gruppen gefolgt, die Sendungen im zwei bis acht Wochen Rhythmus produzieren. Von klassischen Migrantenthemen, Amateurkabarett über Schwulen-Lesben Fernsehen bis zu hoch philosophischen Abwandlungen reicht die Palette des Angebotes. Ein bunter Reigen, der an guten  Tagen erfrischend wirken kann, an schlechten Tagen ist es aber schwierig, im Programm genau die Lücken zwischen dem Nervenden und dem Langweiligen zu finden. Okto stellt für die Sendungsmacher nicht nur das technische Equipment zur Verfügung, sondern schult sie auch darauf ein. Daneben werden sie auch verpflichtend mit dem Medienrecht konfrontiert, das erleichtert die Arbeit der Programmverantwortlichen. „Denn man kann vieles sagen, man muss nur wissen, wie man es so formuliert, damit man rechtlich nicht belangt werden kann“, sagt Eppensteiner.

Schnittplatz Support

Im Studio herrscht ein bisschen die Atmosphäre einer Volkshochschule. Circa zehn Personen werden darauf eingeschult, die Schnittsoftware zu bedienen. Die Motive zum Mitmachen sind sehr verschieden, Lisa, eine Webmasterin, sieht darin die Chance, ihre beruflichen Fähigkeiten zu erweitern, Julia arbeitet schon bei Andererseits, einem Sozialmagazin, und hat auch Erfahrungen bei Radio Orange gemacht. Sie will im Mai in einem längeren Beitrag über den Lateinamerika-Gipfel berichten. Martina macht beim feministischen Magazin Anschläge, das in Okto eine eigene Sendung hat, mit, und Martin möchte endlich richtige Eisenbahnfilme drehen. Nach drei Stunden Frontalunterricht haben die Kandidaten die Möglichkeit, die ersten Grundbegriffe am Schnittplatz auszuprobieren. Früher oder später sollten sie ihre Beiträge selber am Schnittcomputer bearbeiten können, in den ersten Wochen oder Monaten werden sie sich vor allem an die Betreuer der Schnittplätze wenden. Muzaffer Hasaltay ist so ein Schnittplatz-Supporter. Ihm hilft sein Job bei Okto, über die Runden zu kommen. „Es geht so halbwegs, ich habe aber auch keine Familie zu ernähren“, beschreibt er seine Einkommenssituation. Er hat schon einige Erfahrung im Fernseh- und Filmmetier gemacht. Nachdem er das Filmcollege absolviert hatte, arbeitete er bei Spielfilmen und Dokumentationen mit, machte dann einen Job bei Puls TV, beteiligte sich bei der Ausstellung Gastarbajteri – 40 Jahre Arbeitsmigration und bei SOHO in Ottakring. „Ich schreibe derzeit Konzepte für etwas Größeres“, sagt er und denkt dabei an Spielfilme oder an Dokumentationen. Er fühlt sich bei Okto am richtigen Platz. „Hier ist die Stimmung viel positiver als bei den anderen Medien, fast jeder will hier ein Projekt verwirklichen“, führt er aus.

Shocking Shorts

Nicht zuletzt soll Okto für junge Leute, die im Medien- oder Filmbereich arbeiten wollen, eine Anlaufstelle sein, ein erster Anknüpfungspunkt. So will auch Raimund Liebert vom Verein Independent Cinema mit Hilfe von Okto sein Netzwerk ausbauen. Im Mai veranstaltet seine Gruppe heuer zum dritten Mal das Kurzfilmfestival Vienna Independent Shorts. Bei Okto gestalten sie die Programmleiste film frei, eine einstündige Sendung, die aus dem Fundus des im Rahmen des Festivals aufgebauten Archivs gespeist wird. Dabei gibt es viele internationale Filme, auch Schätze wieDubois, eine Geschichte aus Deutschland über einen windigen Managementberater, der den Menschen den natürlichen Rhythmus durch das Trommeln auf selbstgebauten Instrumenten aus natürlicher Haselfichte lehren möchte. „Wir zeigen Filme, die außerhalb der gängigen Verleihstruktur stehen und deshalb hier zu Lande so gut wie unbekannt sind“, meint Liebert. Die letzte Viertelstunde von film frei gestaltet die Gruppe Kino 05, die einmal im Monat in einem Wiener Lokal ein Live-Screening abhalten, wo Leute einfach ihre Videos mitnehmen können. Die beliebtesten werden dann in der Sendung gezeigt.

Daneben ist Liebert mit dem Institut für Posttayloristische Studien, das die Animationsschiene play bei Okto program-miert, oder mit dem Medienzentrum der Stadt Wien, welches ganz jungen Filmemachern in der Filmecke einen Platz gibt, im näheren Kontakt. Vernetzung ist wichtig, um auch in Zukunft etwas tun zu können. Denn: „Viele Leute, die Kurzfilme drehen, stehen gerade an der Schwelle, wo es sich entscheidet, ob sie einmal Geld in der Filmbranche verdienen werden, oder ob sie es bleiben lassen“, meint Liebert.