ray Filmmagazin » Themen » Pop as Pop Can

Directors Label – Pop as Pop Can

Pop as Pop Can

| Andrea Winklbauer |

Mit der Fortsetzung der Reihe Directors Label sind nun auch die Musikvideos von Mark Romanek, Jonathan Glazer, Anton Corbijn und Stéphane Sednaoui auf DVD erhältlich…

Werbung

Wer erinnert sich nicht an die allseits geschätzten Musikvideos von Michel Gondry, Chris Cunningham und Spike Jonze? Nicht alle, aber eine ganze Reihe davon waren richtige Perlen. Man denke nur an Michel Gondrys Clip Sugar Water für Cibo Matto: Auf einem zweigeteilten Bild läuft dieselbe Geschichte, dargestellt von zwei verschiedenen Frauen, ab, einmal vorwärts, einmal rückwärts gespielt und trotzdem mit präzisen Parallelen. In der Mitte des Clips begegnen sich die Erzählstränge und tauschen Platz und Erzählrichtung, sodass alles einmal richtig und einmal verkehrt herum gelaufen ist und das Spiel wieder dort endet, wo es begonnen hat. Oder das Schauerstück Come to Daddy von Chris Cunningham für Aphex Twin, in dem das Unheimliche frei nach Freud aus dem Alltäglichen entsteht und existenzielle Ängste im Zusammenhang mit Technik manifest werden. Das sind Musikvideos, die den Vergleich mit Autoren- und Experimentalfilmen nicht zu scheuen brauchen und dazu auch noch diskurstauglich sind.

Historische Dimension

Dem entsprechend sorgte die Veröffentlichung der ersten drei Volumes des Directors Label mit den gesammelten Clips der drei gefeierten Regisseure vor zwei Jahren für erhöhtes Textaufkommen in Fachorganen. Ein anderer Grund für das große Interesse war die Tatsache, dass mit diesen Editionen überhaupt erstmals drei herausragende Produzenten eines immer noch unterschätzten popkultureller Phänomens gewürdigt wurden.

Auf Chris Cunningham, Michel Gondry und Spike Jonze folgten kürzlich Mark Romanek, Jonathan Glazer, Anton Corbijn und Stéphane Sednaoui, die alle entweder für ihre Musikvideos, ihre Fotos oder Werbespots mit Preisen ausgezeichnet wurden. Sie alle haben ihren Platz in der Geschichte des Genres, wenn sie es auch nicht durchwegs zu so großem künstlerischen Ruhm gebracht haben wie Gondry, Cunningham und Jonze. Zwei von ihnen haben sich in den letzten Jahren mit Spielfilmen einen Namen gemacht: Mark Romanek mit One Hour Photo (2002) sowie Jonathan Glazer mit Sexy Beast (2000) und Birth (2004). In den Cultural Studies werden aber bloß die Arbeiten von Jonathan Glazer nicht nur allgemein im Zusammenhang mit dem Phänomen Clip, sondern auch inhaltlich diskutiert.

Ein großer Unterschied zur ersten Serie ist, dass mit dem Holländer Anton Corbijn erstmals ein Regisseur aufgenommen wurde, dessen Werk mehr als nur die letzten zehn Jahre umfasst. Viele seiner Arbeiten  entstanden bereits in den frühen Achtzigern. Sie führen eine historische Dimension in das Directors Label ein, sind aber sowohl musikalisch als auch visuell mitunter eine Herausforderung für Zeitgenossen: Viele Clips des gefeierten und auch im Kunstkontext anerkannten Musikfotografen sind in Schwarzweiß gedreht. Auf der Erzählebene basieren sie auf dem surrealistischen Prinzip des absurden Aufeinandertreffens von Dingen, die nichts gemeinsam haben. Dieses Prinzip verbindet sich mit der postmodernen Lust am Spiel mit Bildern. Vieles bleibt rätselhaft, bedarf aber auch keiner Aufklärung, ist einfach als Eyecatcher konzipiert. Im Werk Anton Corbijns lässt sich die Entwicklung einer Ästhetik nachvollziehen, die lange Jahre die Clips auf MTV prägte: das eher freie Spiel mit Oberflächen aus symbolischen Bildern. Erst seit ein paar Jahren erzählt auch Corbijn in seinen Clips Geschichten.

Visuelle Sensationen

Deutlich furioser geht es auf der DVD des Amerikaners Mark Romanek zu: Die Red Hot Chili Peppers haben Spaß in Can’t Stop, Michael Jackson und seine Schwester Janet jetten in futuristischer Montur durchs All (Scream) und Johnny Cashs letztes Musikvideo zu der soliden Schuld- und Erlösungsschnulze Hurt ist in angemessen gediegenen Bildern orchestriert. Romaneks Spezialität ist sein Bezug zur bildenden Kunst: Für  den erwähnten Can’t Stop nahm er so deutliche Anleihen beim Konzept der One-Minute-Sculptures des Wiener Konzeptkünstlers Erwin Wurm, dass dies im Abspann aus Copyright-Gründen erwähnt werden musste. Im Clip zu Criminal von Fiona Apple wird die Ästhetik der britischen Künstlerin Tracey Emin ebenso ungeniert zitiert, diesmal ohne Credits. Nach dem Vorbild der frühen surrealistischen Filme fügen sich Bilder und Situationen zu Assoziationsketten, die wie Andeutungen von Geschichten wirken. Obwohl Romaneks Clips mit vielen Preisen ausgezeichnet wurden und einflussreich auf die Entwicklung des Genres waren, sind sie im Vergleich zu jenen von Michel Gondry oder Jonathan Glazer kaum mehr als exzellent gestaltete Gebrauchsfilme.

Nicht unähnlich ist das mit den Clips des französischen Fotografen und Clipregisseurs Stéphane Sednaoui. Die mittlerweile legendären visuellen Orgien wie das Björk-Video

Possibly Maybe, Give It Away für die Red Hot Chili Peppers, Lotus für R.E.M. oder Disco Science und I Can’t Wait für Mirwais erweisen sich als Spielwiesen für einen neugierigen und schöpferischen Regisseur, der viel mit digitalen Bildbearbeitungsmöglichkeiten anzufangen weiß. Doch in visuellen Gimmicks erschöpft sich das Ganze dann auch.

Völlig anders liegt der Fall des auf Werbefilme spezialisierten Briten Jonathan Glazer. Im Gegensatz zu den Sensationen vergangener Tage haben seine legendären Clips Virtual Insanity (für Jamiroquai), Rabbit in Your Headlights (für UNKLE) und Karma Police (für Radiohead) vor der Zeit Bestand. Wie in seinem zweiten Spielfilm Birth, in dem er in kühlen und elegischen Bildern unser unzeitgemäß romantisches Liebesideal in seine absurden Bestandteile zerlegt, erzählt Glazer mit Vorliebe mysteriöse Geschichten, die existenzielle menschliche Erfahrungen mehr transzendieren als wiedergeben. Selbst angesichts seiner Clips fühlt man sich wie im Kino.

Man darf gespannt sein, wie es mit dem Directors Label weiter geht. Vielleicht schafft es ja auch mal eine Frau in den bislang exklusiven Männerverein. Kandidatinnen wie Floria Sigismondi, Deborah Schamoni, Dawn Shadforth oder Sophie Muller werden nicht mehr lange aus dem Spiel zu halten sein.