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Knallhart – Mean Streets

Mean Streets

| Daniela Sannwald |

„Knallhart“, der neueste Film von Detlev Buck, ist ein Großstadtfilm par excellence, auch ein Gangsterfilm, der in seinen besten Momenten an Martin Scorseses Little-Italy-Studien erinnert. Aber Berlin ist nicht New York, und außer Kreuzberg gibt es hier keine mono-ethnisch geprägten Viertel. Neukölln, der Schauplatz von Bucks Film, ist ein traditionell prolliger, jetzt multi-ethnischer Stadtteil im südöstlichen Teil des Zentrums, den die Internationale der pferdeschwanztragenden Bodybuilder samt Blondinen-Aufputz dominiert. Dorthin verschlägt es den 15-jährigen Filmhelden Polischka, der, aus dem ruhigen, wohlhabenden Zehlendorf zugezogen, das Gesetz der Neuköllner Mean Streets nicht kennt. Vom ersten Tag an wird er von einer Gang um den großkotzigen Türken Erol drangsaliert, bis sich der sanfte arabische Dealer Hamal des Jungen annimmt und ihn als Drogenrunner einsetzt. Polischka steht unter Hamals Schutz, solange alles gut geht. Aber dann kriegt Erol seinen Rucksack mit 80.000 Euro in die Finger, und Hamal sagt zum verzweifelten Polischka: „Es geht nicht um das Geld, es geht um eine Geste.“
Detlev Buck, 1962 geboren, fiel als Regisseur zum ersten Mal mit Wir können auch anders (1993) auf, der gleichzeitig den Schauspieler Joachim Król bekannt machte. Buck schrieb bisher seine eigenen Drehbücher und arbeitet auch als Schauspieler, z.B. in Leander Haußmanns FilmenSonnenallee und Herr Lehmann; außerdem produziert er Filme zusammen mit seinem Partner Claus Boje. Am meisten fürchtet sich Detlev Buck davor, festgelegt zu werden.

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Knallhart ist ein Großstadtfilm, angefangen haben Sie in der nordwestdeutschen Provinz…
Ich bin da eigentlich immer noch zu Hause, in der Nähe von Hamburg. Ich habe zwar in Berlin Film studiert, aber am liebsten mag ich hin- und herfahren. Ich kann weder die Stadt noch das Land die ganze Zeit aushalten.

Der Schauplatz Ihres Films ist der kinematografisch bisher wenig genutzte, traditionell prollige, jetzt internationale, arme Stadtteil Neukölln. Wie kamen Sie darauf?
Den gibt ja der Roman von Gregor Tessnow, der auch am Drehbuch mitgearbeitet hat, vor. Ich selbst finde Neukölln sehr lebendig. Dadurch, dass da so viele Nationen nebeneinander leben – nicht nur Türken wie in Kreuzberg, sondern eben alle: Serben, Kroaten, Bosnier, Russen, Thailänder, Chinesen, sogar Inder sind viele da – hast du eigentlich alle Sprachen; und überhaupt gibt’s dort ein irrsinnig buntes, interessantes Stadtbild. Aber Neukölln ist kein Getto, sondern ein Ort, an dem alles zusammenclasht, und dadurch ergeben sich natürlich Schwierigkeiten.

Deutsche und die viel strapazierte deutsche Leitkultur kommen in Ihrem Film allerdings kaum vor.
Na ja, in den Schulen halt. Das verstehe ich auch, dass die Lehrer Deutsch sprechen und auf Deutsch unterrichten müssen, sonst kann da ja gar kein Unterricht mehr stattfinden. Das finde ich selbstverständlich, wir sind ja in einem deutschen Kulturkreis. Aber in jeder Großstadt leben eben die unterschiedlichsten Nationen, sonst wäre das ja gar keine Großstadt. Obwohl es das inzwischen ja selbst in der Kleinstadt gibt. In der Schule, auf die meine Tochter geht, sind sehr, sehr viele Russen.

Das alte „Herz-mit-Schnauze“-Berlinklischee haben Sie aber ganz weggelassen.
Ach, das gibt es doch gar nicht mehr, vielleicht noch in kleinen Kneipen. Aber das klassische (West-Berliner) Charlottenburg ist doch drin: Wenn Polischkas Mutter versucht, wieder einen Mann mit Geld zu finden, dann sitzt sie eben im Café Kranzler und läuft nicht in Neukölln auf und ab. Aber sie merkt ja dann, dass die 50-jährigen Männer schon mit 20-Jährigen rumlaufen und steht dann eben vor dem Botox-to-go-Laden, der ja da auch tatsächlich ist. Das ist das klassische Berlin: Es ist älter geworden, das merkt man auch in den Kinos am Kudamm. Bestimmte Filme, die zu jung sind, gehen nicht mehr.

Denken Sie, das könnte auf Ihren Film zutreffen?
Ich hoffe, das Problem hab ich mit Knallhart nicht. Andererseits kommen ja Ältere vielleicht nicht mit der visuellen Strategie klar. Ach, ist ja auch egal, muss auch egal sein. Ich hab den Film so gemacht, wie ich ihn empfunden habe und nicht, wie der Rezipient ihn zu empfinden hat. Claus (Boje) hatte verboten, während des Drehens das Wort „Zuschauerzahlen“ überhaupt in den Mund zu nehmen.

Befürchten Sie, dass viele den Film übertrieben finden werden?
Wir hatten eine Vorführung des Films mit dem Kreuzberger und dem Neuköllner Bürgermeister, und der Kreuzberger sagte „es ist aber nicht so“, und dann sagte der Fotograf, „ja, mein Sohn ist aber gestern zusammengeschlagen worden in Kreuzberg“. Ich will einfach nur, dass man akzeptiert, dass durch die vielen unterschiedlichen Nationen Problematiken hochkommen. Für mich ist das auch ein Film über Familie. Ein Jugendlicher aus einer arabischen Familie kriegt vielleicht nicht auf die Fresse, weil die 200 Mitglieder hat, aber der Sohn einer allein erziehenden Mutter natürlich. Da hat sich gesellschaftlich viel verändert, und das finde ich sehr spannend zu sehen.

Sie haben zum ersten Mal ein fremdes Drehbuch verfilmt. Wie war das?
Ja, aber man hat ja Einfluss als Regisseur. Ich habe Szenen umgeschrieben oder dazugenommen. Die Drehbuchautoren waren sehr generös. Auch im Verhältnis zum Roman hab ich sehr umgebaut. Sowieso ist das letzte Drehbuch der Schnitt. Jede Verdichtung ist wie ein Satz. Das betraf vor allem die Szenen mit Erol. Ich wollte, dass der nicht so absolut der bad guy ist. Der sollte eine Backstory kriegen, ein ganz Lieber sein, wenn er nicht testosterongeleitet ist. Der ist ja eigentlich Vater von Zwillingen. Und wenn er dann Polischka normal begegnet, ist das ja eine ganz feine Begegnung. Das stand nicht im Drehbuch.

Wie kam es zum Drehbuch überhaupt?
Wir hatten den Roman gelesen und zum Entwickeln gegeben. Eigentlich hatte ich noch ein anderes Buch in der Kiste, das hatte ich mit jemandem zusammen geschrieben. Das hatte ich zehn Leuten gegeben, und zehn Leute haben gesagt „o Gott“, und da hab ich dann lieber Knallhart gemacht. Die Produktion soll ja auch nicht immer nur meinen Kram machen.

Sie arbeiten ja auch als Schauspieler, hat es Sie bei den vielen attraktiven Rollen in Knallhart nicht auch gereizt, eine davon selbst zu spielen?
Ja, früher bin ich ja auch in eigenen Filmen aufgetreten, aber das soll keine Regel werden.

Das ehemalige Partygirl Jenny Elvers als Film-Mutter von Polischka tut, denkt man, im Film das Gleiche wie lange Zeit im Leben: einen reichen Mann suchen.
Bei jedem Schauspieler sollte die Rolle ja was mit ihm selbst zu tun haben, wenigstens einen Hauch. Was Jenny betrifft, da gibt es ja ganz viele Klischees, und die kamen auch bei mir alle hoch, das war eher nachteilig für die Arbeit und den Film, sie ist halt bei bestimmten Leuten verschrien, und wenn sie kommt, passen die nicht mehr auf, gucken nicht mehr genau hin, und dann sitzt der Film wieder zwischen zwei Stühlen. Aber das ist mir immer noch lieber. Ich besetze nicht gern so, dass man alles schon mal gesehen hat wie bei einem großen TV-Event. Der Polizist, Hans Löw, ist zum Beispiel ein hervorragender Theaterschauspieler, der sonst nicht genommen wird, weil er nicht quotentauglich ist, diesem Zwang unterliegt der Film ja auch.

War die Arbeit mit den Jugendlichen was Besonderes?
Wir haben ein Jahr lang gecastet und Probeaufnahmen gemacht, da sieht man ja dann, ob das geht oder nicht. Da tauchte dann zum Beispiel die ganze Gang auf, und ich sag, das sollten doch nur drei sein, und dann sagt jeder, „ja, aber ich bin dabei“, und dann hat man sie immer alle. Manche tauchen auch gar nicht auf, ein Mädchen ist nach dem Casting zwangsverheiratet und dann nicht mehr gesehen worden. Einer von den Jungs hat gesagt: „Filmen ist ja cool, ist ja besser als zwei Wochen Ibiza.“ Ich sagte: „Ja, stimmt“.

David Kross, der Darsteller des Polischka, hat eine besonders schwierige Szene, wenn er, um Hamal Respekt zu beweisen, Erol umbringen muss.
Viele Jugendliche, die wir gecastet haben, die haben die Schusswaffe genommen und abgedrückt, David hat die genommen wie ein heißes Eisen, der war aufmerksam, präzise, so durchsichtig. Beim Drehen hat er 14 Tage Nasenbluten gehabt, das hat er aber in den Griff gekriegt, weil er es auch wollte. Ihn interessiert dieser Beruf, aber er hat auch schon viel abgesagt. Knallhart lag ihm, weil er in Bargteheide, wo er lebt, solche Erfahrungen schon gemacht hat.

Der Film erzählt von Regeln in sozialen Gefügen. Zum Beispiel wird Polischka von Hamal mit nach Hause in dessen große arabische Familie genommen und muss die Schuhe ausziehen, begreift aber erst gar nicht, dass das nicht eine neue Demütigung, sondern ein Ritual ist.
Da haben wir ewig drüber diskutiert und uns auch beraten lassen. Zum Essen eingeladen zu werden ist eine große Ehre, und da zieht man sich selbstverständlich die Schuhe aus. Ein Polizist hat mir gesagt, wenn man jemanden aus dem arabischen Kulturkreis demütigen will, der verdächtig ist, dann geht man mit Schäferhund und Straßenschuhen rein und durchsucht die Bude. Dann hat man so was wie Ego-Brechung.

Der Film ist auch ein sehr akribisches Protokoll von Gangstergesten und -riten. Wo haben Sie das beobachtet?
Ich habe in einem anderen Zusammenhang mal über die russische Mafia recherchiert. Die orientieren sich ja zum Teil am Film. Ich war mal mit Mafiosi essen, und einer von ihren Bodyguards hat mich die ganze Zeit bewegungslos angestarrt, stundenlang. Es geht auch immer um Attitüden, große Gesten. Ich hatte gesagt, dass ich die alle einladen wollte, hatte aber dann nur 3.000 Dollar dabei, und das reichte nicht. Macht nichts, sagten die dann, nächstes Mal eben, die Geste zählte halt.

Was hat denn der Fuchs am Ende Ihres Films zu bedeuten?
Ich hab mir immer überlegt, wie man da rauskommt visuell. Mit dem Fuchs kommen die Naturgesetze zurück in die Stadt. Man sieht ja  schon Füchse jetzt. Die stellen sich auch um, um zu überleben. Der Fuchs kam aus Belgien, er ist zahm und hat viel Geld gekostet. Aber ich wollte das gern.