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Bill Frisell – „While My Guitar Gently Weeps“

„While My Guitar Gently Weeps“

| Thomas Mießgang |

Über den amerikanischen Gitarristen und Komponisten Bill Frisell, der mit einer außergewöhnlichen Performance bei einem Viennale-Special zu Gast ist.

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Bill Frisell ist keiner dieser six-string sharpshooters, die die Gitarrenwelt bevölkern. Sein Sound basiert nicht auf dem Stakkato von virtuos abgefeuerten Single-Note-Melodielinien, wie man es von Leuten wie John McLaughlin oder Pat Metheny kennt. Stattdessen webt er zarte Klangschleier, die aus dem Nichts hereinzuwehen scheinen und schon wieder verschwunden sind, noch ehe man sich ihrer Konsistenz, ihres Aromas, ihrer Textur versichern konnte: Geisterklänge, Traumgespinste, Nachtgewächse. Akustische Anti-Formen, die an Traditionen, ja Klischees aus Jazz, Blues, Country, Blues, Americana, Tin Pan Alley und klassischer Musik anschließen und sie nach einer subjektiven, verqueren Logik neu modellieren, fragmentieren und zu polystilistischen Meta-Musiken zusammenwachsen lassen.

Akustischer Pointillismus

Bill Frisell, geboren 1951 in Baltimore und aufgewachsen in Denver, Colorado, arbeitet seit mittlerweile drei Jahrzehnten an seinem Projekt eines akustischen Pointillismus, der manchmal die Disproportionalität der musikalischen Elemente betont, dann wiederum in trügerischer Einfachheit die Sentimentalität vernakulärer Klänge auskostet. Mit Effektgeräten wie Volume-Pedal, Verzerrer, Delay und Hall hat er seine eigene Sound- Grammatik entworfen und zu einem Idiolekt verdichtet, der ihn unverwechselbar macht. Wenn es die Signatur eines großen Improvisationsmeisters ist, dass man ihn nach zwei Takten erkennen kann, wie die Jazzgeschichtsschreibung behauptet, dann ist Bill Frisell die markanteste Gitarrenstimme der Gegenwart. „Ich würde Bill Frisell in Ermangelung eines besseren Begriffes als Jazzgitarristen bezeichnen“, schreibt der Kritiker Tom Junod. „Aber der Sound, den man wahrnimmt, wenn man ihm zuhört, ist nicht der des Jazz, sondern sein in der Unendlichkeit verhallendes Echo. Es ist der Klang eines Jazz im Spätherbst, wenn alles abstirbt.“

Die Kunst des Bill Frisell war seit jeher ein offenes System. Er hat praktisch mit jedem gespielt, der in der Improvisationsszene über Rang und Namen verfügt: Von der New Yorker Downtown-Aristokratie (John Zorn, Fred Frith etc), über legendäre Nashville-Größen wie Greg Leisz bis zum eklektizistischen Klangregisseur Hal Willner; zuletzt im interkontinentalen Cross-over mit dem afrikanischen Perkussionisten Sidiki Camara und dem brasilianischen Gitarristen Vinicius Cantuaria. Frissell zeigte sich auch hier als sachdienlicher Mannschaftsspieler, der mit seinen atmosphärischen Astralnebeln die Klangge-stalt entscheidend mitbestimmt, ohne sich je autoritativ ins Zentrum des Sounds zu projizieren.

Film/Musik

Aber das „Open System“ Frisell war immer auch bereit, über die Grenzen der Musik hinauszuwachsen. Berühmt geworden sind seine Live-Konzerte und CD-Einspielungen zu Filmen von Buster Keaton in den frühen 90er Jahren. Kürzlich hat er mit seinem 858 Quartet (Hank Roberts, Cello; Jenny Scheinman, Violine; Eyvind Kang, Viola), das manchmal klingt wie ein kubistisch deformiertes spätes Beethoven-Streichquartett, intuitive Ad-hoc-Kompositionen zu dem 858-Bilderzyklus von Gerhard Richter eingespielt. Und nun führt das Ensemble Musik zu Bill Morrisons The Mesmerist auf – seinerseits eine Neubearbeitung einer teilweise zerstörten Nitratkopie von James Youngs The Bells (1926). Die Geschichte vom Magnetiseur, der in einer öffentlichen Hypnosesitzung einen Mann zum Geständnis eines Judenmordes bringt, wird durch Morrisons Re-Editing, durch Wasserschleier, die sich wie gespenstische Leerstellen in das Laufbild einschreiben und durch unsichtbar geführte Vergrößerungsgläser, die Gesichter und Gesten heranzoomen, proportional verändert. Morrison sucht in einer kinematografischen Ruine nach Spuren von Überlebensenergien, er denkt an einem historischen Strang weiter, der längst abgerissen ist und nicht wieder aufgenommen wurde, er versucht, Wahrheit im archivalischen Material zu entbergen und die Perspektive auf die Vergangenheit zu ändern und zu schärfen.

Warum Bill Frisell mit diesem Material gut arbeiten kann liegt auf der Hand: Morrisons retroaktives „Rebirthing“ entspricht seinen eigenen Versuchsanordnungen, sepiagetöntes Klangmaterial aus der Vergangenheit bis in seine Genstruktur hinein zu analysieren und durch akustische Attacken einer historisch-kritischen Zerreißprobe zu unterwerfen. So wie bei Morrison die ursprüngliche Filmerzählung als Narrativ im Hintergrund mitschwingt, so gibt es bei Frisell bei allen Metal-Riffs, Scratch- und Lärmpartikeln, die seinen Sound rastern, immer den Verweis auf eine Melodie als Gefühlsspeicher und Stabilitätsgaranten, die sich der Dekomposition und der Auflösung in die Abstraktion widersetzt. „Seine Musik erscheint  einem vertraut, obwohl man sie noch nie gehört hat“, schreibt  The Wire. „Wie eine wertvolle Erinnerung an ein Ereignis, das noch gar nicht stattgefunden hat. Frisells Klänge sind in einfachsten musikalischen Gesten verankert, und doch gelingt es ihm, eine Schicht nach der anderen übereinanderzulegen und daraus das Manifest einer kulturellen Zeitlosigkeit zu machen.“