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Unser täglich Brot – Mitleidlose Tempel der Effizienz

| Günter Pscheider |

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Nikolaus Geyrhalter, Meister des bildgewaltigen Dokumentarfilms, nimmt  sich in „Unser täglich Brot “ Zeit und Raum für den Irrwitz  „moderner Nahrungsmittelproduktion.

Wir sitzen holpernd auf einem Traktor in einem endlosen Olivenanbaugebiet irgendwo im Süden, vor uns baumelt insektengleich ein metallener Greifarm hin und her. Schnitt. Die Maschine fährt auf einen einzelnen Baum zu, der Greifarm legt sich um den Stamm, und dann bricht die Hölle los. Mit einem ohrenbetäubenden Geräusch schüttelt der Greifarm den Baum, alle Oliven fallen innerhalb weniger Sekunden zu Boden. Es ist wie ein Wunder. Selten hat man im Kino ein prägnanteres Bild für die Allmacht der Technik gesehen. Unser tägliches Brot geben wir uns heute selber. Das Wie zeigt der neue Film von Nikolaus Geyrhalter auf beeindruckende Weise.

Abertausende von Küken werden in unendlich scheinenden Hallen durch ein dünnes Rohr gesaugt, ein gelbes Flugzeug streut in einer Hitchcockschen Einstellung einen weißen Nebel auf ein blühendes Sonnenblumenfeld und in die Kamera, Rinder werden im Minutentakt in genau ausgemessenen Sterbekojen sofort nach dem Exitus, fast noch zuckend, zerhackt. Jede Beschreibung der Schönheit und der Gewalt dieser und einer Unzahl anderer streng kadrierter Bilder greift viel zu kurz. Man kann schon wegen der ästhetischen Qualitäten der Schauplätze oft nicht anders, als über die Effizienz der Nahrungsmittelindustrie zu staunen. Gleichzeitig macht einem die absolute Verdinglichung der Lebewesen, die zu Nahrung werden, Angst.

Unser täglich Brot zeigt, wie Europa ernährt wird, ohne Interviews, Off-Kommentar, Inserts, Zahlen und Fakten. Das einzige, was den Mahlstrom der Bilder (man bewundert das eine, schon erschlägt einen fast das nächste, noch spektakulärere) kurz unterbricht, sind die Essenspausen der wenigen Menschen, die in den Tempeln der Effizienz noch ihrem oft blutigen Handwerk nachgehen.

Wie bist du eigentlich auf das Thema Nahrungsmittelindustrie gekommen?
Das erste Mal bin ich schon vor ca. 10 Jahren darauf gestoße. Die berühmten und so nicht mehr existenten Butterberge und Milchseen haben mein Interesse geweckt, zu schauen, wie diese Branche wirklich funktioniert. Manche Ideen brauchen ihre Zeit, manche verschwinden auch wieder, aber prinzipiell mache ich immer die Filme, die ich gern sehen würde. Man muss auch sagen, dass dieses Thema offensichtlich in der Luft gelegen ist, nicht nur in Österreich, sondern weltweit haben sich viele Leute damit beschäftigt. Ich habe mir dann auch Gedanken darüber gemacht, dass die Leute immer billigere Nahrungsmittel wollen, nach dem unwidersprochenen Motto unserer Zeit: Geiz ist geil. Diese Preisschlacht führt dazu, dass woanders ein Preis dafür gezahlt werden muss.

Wie hast du diese zum Teil schon aberwitzigen Locations gefunden?
Für die Mithilfe bei der aufwändigen Recherche und der Drehkoordination bin ich Maria Arlamovsky dankbar, denn in dieser Phase ist der Film mit entstanden, er lebt zum Teil auch von den Orten und den Stimmungsbildern. Es war natürlich nicht leicht, in die Lebensmittelbranche rein zu kommen, viele Firmen habe die Drehgenehmigung auch verweigert. Andere konnten wir davon überzeugen, dass wir niemanden vernadern wollen, keinen negativen Off-Kommentar nachträglich dazufügen, dass wir einfach nur Bilder der Produktionsrealität zeigen, weder positiv noch negativ wertend. Manche waren auch stolz, bei diesem Projekt dabei sein zu können, und oft ist eben auch die richtige Person an der richtigen Stelle gesessen, wie z.B. bei einem Schlachthof in Dänemark: Der Typ hat genau gewusst, dass das Ergebnis wahrscheinlich nicht so gut sein wird für das Image von Schlachthöfen, aber er war der Meinung, dass das irgendwer auch dokumentieren sollte. Bei den Bauern gab es manchmal das Bedürfnis, das völlig falsche Bild vor allem der Städter, dass da ein paar Kühe, Schafe und Henderln friedlich auf der Weide herumtollen, zu korrigieren. Das sind häufig richtige Ich-AGs mit einem enormen Maschinenaufwand, die unter permanentem Preisdruck der Lebensmittelketten stehen.

Wie wichtig war dir die Ästhetik der Bilder?
Mir ist natürlich bewusst, dass die Bilder einen hohen ästhetischen Wert haben, so bekommt man auch schneller die Aufmerksamkeit des Publikums, das ist mir schon klar. Aber die Einstellungen repräsentieren eben ziemlich genau die Erfahrung, die ich gemacht habe mit diesen fast unwirklichen Orten. Man kommt rein in die Fabriken und ist erst einmal einfach überwältigt. Solche Locations könnte man für einen Spielfilm nie bauen. So habe ich zwar damit gespielt, es ist aber auch ein Teil der Realität.

War das Konzept von Anfang an darauf angelegt, auf Interviews und Off-Kommentare zu verzichten?
Nein, wir wollten eigentlich Arbeiterporträts machen, Menschenbilder zeigen, aber die vielen Interviews waren nicht so spannend, das sind ganz normale Jobs von ganz normalen Menschen und darüber gibt es dann nicht so viel zu berichten. Und bevor man irgendwas künstlich aufbaut, haben wir sie dann weggelassen. Das hat auch damit zu tun, dass ich schon seit vielen Jahren parallel einen Film im Waldviertel drehe, wo ich die Sprache verstehe und die Leute mittlerweile sehr gut kenne, im Vergleich dazu ist es mir immer falsch vorgekommen, irgendwo in Europa so zu tun, als ob es eine Nähe , eine Berechtigung gäbe, diese Menschen zu porträtieren. Außerdem hat sich auch in den Testscreenings gezeigt, dass die Bilder, wo man einfach hinschaut und staunt, die sind, die in Erinnerung bleiben.

Warum sind dann die Essenspausen der Arbeiter drinnen geblieben?
Die Essenspausen wurden im Rahmen der Interviews gedreht, und wir haben sie beim Schnitt im Film gelassen und sogar forciert, nicht nur weil es so offensichtlich thematisch Kreise schließt, sondern weil es in diesem Moment eine Interaktion mit dem Zuschauer gibt. Die Leute grinsen etwas, manche fühlen sich leicht unwohl oder spielen etwas, das Kamerateam ist viel spürbarer anwesend als in den Arbeitsszenen, dadurch wird der Zuschauer vielleicht auch wieder zurück in den Film geholt und verliert sich nicht so in den Bildern.

Wertungen sucht man im Film vergeblich.
Natürlich ist Unser täglich Brot so angelegt, dass man zwischen den Zeilen viele Aussagen entdecken kann, aber ich habe mich sehr bemüht, dass ich niemanden etwas aufdränge. Anschauen und selber drüber nachdenken. Vor allem habe ich auch keine Lösung anzubieten, ich bin ja kein Apostel, der weiß, wie es besser geht. Wir haben auch keine Skandale gesucht, sondern wollten einfach den Alltag dieser Parallelwelt adäquat darstellen.

Auf eine sofort ins Auge springende Dramaturgie und auf die üblichen Fakten hast du ebenfalls verzichtet.
Der Film soll sperrig sein. Aber er ist sehr genau gebaut, damit es einen Spannungsbogen gibt, auch wenn einem das beim ersten Mal vielleicht nicht so auffällt. Der Schnitt, den Wolfgang Widerhofer grandios hingekriegt hat, wurde nach dem Wegfall der Interviews noch viel wichtiger, auch der Ton spielt eine große Rolle. Viele Bilder funktionieren sehr stark über das, was man hört, das kann man im Kino nicht in dem Volumen wiedergeben, weil es sonst unerträglich wäre, aber ein Gespür soll man schon dafür bekommen.

Ich finde die Ortsangaben oder irgendwelche beeindruckenden Zahlen und Fakten, die man als Fernsehzuschauer gewohnt ist, nicht so wichtig. Der Informationsgehalt sinkt zwar im Laufe des Films, innerhalb von dem, was man vorher gelernt hat, wird der Neuigkeitswert geringer, aber dafür kann man sich mehr aufs Sehen einlassen, und dann fängt der Film so richtig an zu wirken.

Gab es irgendwann die Überlegung, sich auf weniger Produkte zu beschränken und dafür intensiver den Weg dieser Nahrungsmittel zu verfolgen?
So eine Herangehensweise wäre natürlich nahe liegend. Aber, nein, erstens machen das eh andere Leute, zweitens wollten wir keine Sendung mit der Maus machen. Im Gegenteil, wir haben zuerst die Küken auserzählt und sind dann immer exemplarischer geworden, bis zum Olivenbaum, der in zwei Einstellungen erzählt wird, weil man sich den Rest denken kann. Wir haben nie den Anspruch gehabt, vollständig zu sein, das könnten wir auch nicht. Wir setzen sicher vieles voraus, auch Vorinformation von anderen Produkten, man muss sich einiges mitdenken, mitwachsen mit dem Film.

Willst du mit dem Film zum Nachdenken anregen oder ist dir der Zuschauer beim Filmemachen egal?
Doch ja, zum Nachdenken will ich schon anregen, aber nicht nach einer vor gefassten Meinung von mir. Ich will es dem Publikum nicht zu leicht machen. Es gibt auch keine Bösewichte, die zuordenbar sind. Letztendlich sind die Zuschauer selbst die Bösen, weil sie die ganzen Produkte kaufen und essen. Auch kein Fleisch zu essen, ist wohl keine Lösung, immer wieder gehen Leute aus dem Film und sagen: „Whoa, jetzt esse ich kein Fleisch mehr.“ Aber die haben dann die Hälfte des Filmes nicht mitbekommen, denn dem Pflänzchen geht es auch nicht besser. Es wäre schon ein Erfolg, wenn der Film einige Leute dazu anregt, darüber nach zu denken, was im Hintergrund passiert um Europa zu ernähren, so billig zu ernähren, dass immer genug Geld für das neueste Handymodell übrig bleibt, wenn man das möchte.

Was sagst zum Erfolg von Erwin Wagenhofers „We Feed the World“?
Je mehr Bewusstsein, desto besser, aber die Filme sind doch verschiedene Baustellen. Ich habe auch vor drei Jahren bei Drehbeginn nicht gewusst, dass es andere Projekte zu dem Thema gibt. Ich glaube, es ist für beide Filme gut, dass sie an unterschiedlichen Enden des Spektrums stehen und auch so rezipiert werden.