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Cine Tirol – Made in Tyrol

Made in Tyrol

| Verena Teissl |

Mit den in den letzten Jahren entstandenen regionalen Film Commissions wird Filmtourismus auch in Österreich zunehmend institutionalisiert. Was bedeutet das über die Steigerung der Tourismuseinnahmen hinaus? Eine Reflexion anhand von Cine Tirol.

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Am 1. April 1998 wurde Cine Tirol – Film Commission & Fund als Abteilung der Tirol Werbung gegründet. Es war bundesweit die erste derartige Einrichtung, inzwischen folgten weitere, mit durchaus unterschiedlichem Erfolg. Ziel von Cine Tirol war und ist es, mit Hilfe eines eigenen Budgets den Drehort Tirol aktiv anzupreisen und in Tirol gedrehte Filme zu unterstützen. Maßgeblich an der Gründung beteiligt war der in Schweden lebende Tiroler Produzent Erich Hörtnagl, der seinerzeit eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gab, um Skeptiker vom Mehrwert der Filmproduktion zu überzeugen.

Zwar kann Tirol – und besonders Innsbruck als kleiner Wasserkopf – als cinephiles Territorium bezeichnet werden, in dem sowohl Mutiplex-Kinos als auch Programmkinos florieren, doch der kreative Anteil ist gering, wenngleich Ausnahmen auch hier die Regel bestätigen: Christian Berger wohnt und arbeitet seit vielen Jahren in der Nähe von Innsbruck und widmet sich in seinen Regiearbeiten immer wieder Tiroler Themen: In Raffl (1984) setzte er dem Andreas-Hofer-Mythos eine kritische Sichtweise entgegen und mit Mautplatz (1995) hinterfragte er kritisch den Transitverkehr als Tiroler Reizthema. Auch der Kameramann, Cutter und Regisseur Daniel Pöhacker wohnt nach wie vor im mittelalterlichen Hall, dem Schauplatz seines Dokumentarfilms Der Leib, der bleibt am Kanapee (2005). Hall ist auch der Geburtsort der Kamerafrau und Regisseurin Eva Testor (Crash Test Dummies [Kamera], 24 Sekunden Wirklichkeit [Koregie]), die aber schon einige Jahre in Wien lebt; der Imster Regisseur Markus Heltschl (Der gläserne Blick) arbeitet bereits seit langem in München.

Fluch und Segen platter Witze

Tirol ist nicht für seine Filmkunst bekannt, sondern für seine Berge und die alpine Kulturlandschaft, für so manches Brauchtum und seit einigen Jahren auch für die Après-Ski-Zelte. Dank des Konsums von Hochprozentigem steht das enthemmte Innenleben dieser Zelte dem des „Ballermann“ auf Mallorca nicht mehr nach. Barbara Gräftner, die mit Unterwegs nach … Heimat (2004) einen der tiefsinnigsten und schönsten Dokumentarfilme über zwei Bergbauernfamilien und die Parallelwelt Tourismus in Osttirol realisierte, erlebte Tirol zum ersten Mal in eben diesen Zelten.

Die Haupteinnahmequelle des Landes, der Tourismus, ist Fluch und Segen zugleich. Die negativen Begleiterscheinungen fanden immer wieder auch filmischen Niederschlag, etwa im TV-Vierteiler Die Piefke-Saga (1990) nach Drehbüchern von Felix Mitterer. Dass der platte Witz der Serie durchaus zum Lachen anregen kann, zeigt, wie tief die „Tourismus-Verletzung“ sitzt: Es ist dies das Dilemma einer lautstark vermarkteten Welt, für deren Kultur und Tradition sich außerhalb der Geschäftszeiten auch viele Geschäftsleute nicht mehr wirklich interessieren. In Fridolin Schönwieses teilweise in Tirol gedrehtem Filmessay Volver la vista – der umgekehrte Blick (2005) wird das fehlende Identifikationsvermögen der Einheimischen mit der ländlichen Kultur exemplarisch angesprochen: In einer hintergründigen Montage führt er vor Augen, wie anziehend mexikanisches Brauchtum wirken kann, während das hiesige zumeist als peinlich abgelehnt wird.

Fette Jahre auf der Kotalm

Was nun bedeutet es, wenn eine Tiroler Film Commission & Fund unter den Fittichen der Tourismuswerbung existiert und werkt? Für Johannes Köck, Geschäftsführer von Cine Tirol, beschreibt die deutsche Bezeichnung „Filmförderung“ Sinn und Zweck der Einrichtung nur unzureichend. Cine Tirol verfügt über ein vom Land Tirol zur Verfügung gestelltes jährliches Förderbudget von einer Million Euro, eine geringe Summe für die teuerste aller Kunstformen: „Wir unterstützen Produktionen, die bereits durch andere Stellen maßgeblich finanziert sind“, so Köck. Soll heißen, die Zu- bzw. Aberkennung einer Förderung durch Cine Tirol entscheidet nicht über Leben oder Sterben eines Projektes. Umgekehrt kann der Commission die Absage eines Drehs aufgrund der geringen finanziellen Unterstützungsmöglichkeit drohen: So wollte Antonin Svoboda sein neues Projekt Patsch mit Dirk Stermann und Christoph Grissemann ursprünglich in Tirol realisieren. Die eingereichten 120.000 Euro konnte Cine Tirol allerdings nicht aufbringen, und so wird der Film nun in Niederösterreich gedreht.Vergeben werden die Förderungen von einem dreiköpfigen Beirat, der derzeit aus dem Geschäftsleiter der Tirolwerbung, Josef Margreiter, dem Schauspieler und Regisseur Josef Kuderna und dem langjährigen Leiter des Österreichischen Filminstituts, Gerhard Schedl, besteht. Die Richtlinien für die Förderungszuerkennung sind klar: Zu erfüllen ist der „Tirol-Effekt“, das heißt, 200 Prozent der zugesagten Fördermittel müssen in Tirol ausgegeben werden – eine international übliche Richtlinie, die besonders jenen Produzenten den Schweiß auf die Stirn treibt, die Koproduzenten in verschiedenen Regionen haben. Die zweite Richtlinie nennt sich „Tirol-Bezug“ und ist im weitesten Sinne kulturell gedacht. Tirol soll als Drehort erkennbar und möglichst attraktiv sein: um weitere Filmteams anzulocken, um die touristische Aufmerksamkeit zu vermehren und so die „Marke Tirol“ zu festigen.

Doch kann über die Aufnahmen von letztlich nicht eindeutig erkennbaren Bergen und Almen mit Kulissenfunktion ein „touristischer Output“ entstehen? „Ja“, sagen Köck und seine Mitarbeiterin Sabine Aigner. Seit dem Bestehen von Cine Tirol sei eine beachtliche Steigerung des Tourismus festzustellen. „Wir bekommen sogar Anrufe, wo genau etwas gedreht wurde, weil die Leute dort hinfahren wollen.“ So geschehen im Falle jener Alm, auf der Szenen von Weingartners Erfolgsfilm Die fetten Jahre sind vorbei (2004) realisiert wurden. Sie heißt Kotalm, liegt im stolzen Rofanmassiv über dem Achensee, dessen ökologisches Gleichgewicht immer wieder mal „kippt“, und ist recht unbeschwerlich erreichbar.

Ein besonders ergiebiger Markt für den Schauplatz Tirol sind indische Großproduktionen: Sie scheinen hier besser geeignete Kulissen für die traditionellen Bollywood-Musical-Melodramen vorzufinden als in den Berglandschaften Indiens: Ohne politische Probleme und in einer viel heileren Bergwelt als zu Hause arbeiten sie hier unter ungestörten Rahmenbedingungen in hochalpinen, zugleich leicht erreichbaren Drehorten. „Auch wir haben uns anfangs gewundert, dass indische Drehteams den blauen Himmel und das reine Quellwasser lobten“, so Köck und Aigner. Gebirgsflüsse mit Trinkwasserqualität gäbe es in Indien aber selten, und den Produzenten gefiele diese paradiesische Überhöhung der Kulisse. Die Tiroler Berge hätten weiters den Vorteil, von regionalen mythologischen Zusammenhängen frei zu sein. Köck und Aigner verweisen übrigens auf eine hundertprozentige Steigerung der Nächtigungen indischer Gäste im Zeitraum 2000–2004; seit 1998 betrug der Wirtschaftseffekt durch produktionsbedingte Ausgaben rund 30 Mio. Euro.

Tourismushochburgbeschmutzer

Den Schwerpunkt des Selbstverständnisses von Cine Tirol legen Köck und Aigner auf jenen Teil der Arbeit, der in der Bezeichnung „Commission“ steckt: erste Anlaufstelle zu sein, die Drehteams vor Ort zu betreuen und auf der Suche nach Locations zu beraten. Diese werden penibel in Karteien erfasst und von Scouts ständig vermehrt. Auch das Bestreben, Tiroler Filmfachkräfte zu vermitteln, steht im Vordergrund. Aigner hat mittlerweile eine Datenbank von rund 130 Tiroler Filmschaffenden erstellt, die frühzeitig über geplante Drehvorhaben informiert werden. Das Angebot, heimische Fachleute zu beschäftigen, werde tendenziell immer besser angenommen, so Aigner, weil „viele merken, dass es von Vorteil ist, Einheimische dabei zu haben.“

Auf die Frage, ob es ihnen schwer fällt, mit einigen der in Tirol gedrehten Filme Klischees zu bedienen, stellen beide klar: Um den eigenen Geschmack und künstlerische Vorstellung gehe es nicht, im Vordergrund stünden Standortmarketing, der ökonomische Aspekt sowie die Bewerbung der „Marke Tirol“. Deshalb reicht die Palette der rund 180 seit der Gründung von Cine Tirol vor Ort gedrehten Filme von Fernsehserien wie Soko Kitzbühel über Heimatfilme mit Hansi Hinterseer bis zu anspruchsvollen Filmen wie Unterwegs nach … Heimat und Sabine Derflingers Vollgas. Dieser Film bewirkte auch so etwas wie eine Zäsur: Derflingers kritische Studie über die Arbeitsbedingungen einer Kellnerin in einer Tourismushochburg stieß auf breite Ablehnung seitens der Touristikvertreter, an der sogar eine geplante Tirol-Tournee des Films scheiterte. Cine Tirol wurde als „Nestbeschmutzer“ bezeichnet, und der Konflikt, der dem ganzen Vorhaben innewohnt, trat zu Tage: Einerseits hatte Vollgas eindeutig Tirol-Bezug und erfüllte – als fast zur Gänze vor Ort gedrehter Film – den Tirol-Effekt vorbildlich. Andererseits wurde aber nicht ein Tirol der vermarktbaren Kulisse sichtbar, sondern die Lebensbedingungen im allmächtigen Tourismus – was jene vor den Kopf stieß, die sich auf das Projekt Cine Tirol eingelassen hatten und ihre Skepsis Filmproduktionen gegenüber mit Geldgegenwerten beruhigt hatten. Köck und Aigner überlebten die Gratwanderung, die Filmtournee hingegen nicht. Immerhin wurde klar, dass eine inhaltliche Beschneidung kritischer Themen für Cine Tirol nicht in Frage kommt. Nur: Wie viele kritische Filme und Filmvorhaben, die sich seriös mit den negativen Auswirkungen des Tourismus und des Transit auseinander setzen, gibt es schon? Niki Lists Helden in Tirol darf man wohl kaum dazu zählen. Die klare Linie, wie sie von Köck und Aigner vertreten wird, hat Cine Tirol vielleicht auch davor bewahrt, wieder von der Bildfläche zu verschwinden. Die dem Cine-Tirol-Konzept verwandten Commissions in Salzburg und Kärnten etwa überdauerten ihre Testphase nicht.

Im Dezember 2005 lief der schwedische Film Wie im Himmel im Innsbrucker Leokino. Der Andrang war verblüffend, verblüffender noch die Jubelrufe, als zu Ende des Films Innsbruck auftauchte – eine Ansicht der dem Publikum bestens vertrauten Nordkette, eine weitere auf das Goldene Dachl (Tirol-Bezug!). Nach der Vorführung wurde an der Bar heftig diskutiert, dass es im Film einen groben Fehler gebe: Die Protagonisten reisen aus Schweden an, aus dem Norden, während die erste Einstellung die Nordkette aus einem südlichen Blickwinkel zeige. So leicht kommen sich geografisches Selbstverständnis der Einheimischen und die Sprache des Films in die Quere.