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Filmarchiv – Ein Filmaktiv für ein neues Deutschland

Ein Filmaktiv für ein neues Deutschland

| Jörg Becker |

Vor 60 Jahren, am 17. Mai 1946, wurde in Berlin die Deutsche Film Aktiengesellschaft, kurz DEFA, gegründet. Eine Retrospektive im Filmarchiv Austria beleuchtet die frühen Jahre der späteren DDR-Staatsfilmschmiede.

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Der Krieg war noch nicht ganz zu Ende, die Rote Armee stand im Berliner Tiergarten, und im Bunker unter der Reichskanzlei spielte sich die Realvorlage für den Untergang ab, da hatte der sowjetische Stadtkommandant, Oberst Bersarin, bereits die Erlaubnis zur Eröffnung von Theatern und Kinos erteilt. Im Mai 1945 – man schrieb die „Stunde Null“ – machten sich frühere Studiomitarbeiter der Ufa-Babelsberg und der Tobis-Johannisthal nach den schweren Bombenangriffen und Straßengefechten an den Wiederaufbau ihrer Arbeitsstätten, der Ateliers und Vorführräume, noch bevor dazu irgendeine offizielle Order ergangen war. Schon im Juni konnte Wolfgang Staudte, der noch bis Kriegsende bei der Tobis gedreht hatte, mit den Synchronarbeiten für Sergej Eisensteins Iwan der Schreckliche (1945) beginnen, den die Russen zuallererst in deutsche Kinos bringen wollten. Offiziell war Film im unmittelbaren Nachkriegsberlin administrativ verortet in der seit August 1945 tätigen „Zentralverwaltung für Volksbildung“ – Unterabteilung: Literatur und Kunst, zu der auch der Film gehörte. Zurückgekehrte Emigranten aus der Sowjetunion und Widerstandskämpfer im Deutschland der NS-Zeit waren hier zuständig und versuchten sich zunächst an einer Bestandsaufnahme aller künstlerisch tätigen Personen. Zu den Begründern des „Filmaktivs“ – allesamt Mitglieder der KPD –, das eine deutsche Filmproduktion nach dem Krieg vorbereiten sollte, gehörte auch Kurt Maetzig, der 1947 mit Ehe im Schatten sein Spielfilmdebüt gab. Die Geschichte dieses Films unter dem bezeichnenden Exposétitel „Es wird schon nicht so schlimm“ handelt von politischer Ignoranz und Scheinoptimismus. Der Film erinnert an den realen Freitod des Schauspielers Joachim Gottschalk und seiner jüdischen Frau am 7. November 1941, die er vor der Deportation nicht mehr hätte schützen können. Der erfolgreichste Film jener Jahre war von der melodramatischen Wirkung vor allem der Sterbeszene aus Kabale und Liebe getragen, die das Schauspielerehepaar zunächst auf der Bühne spielt. Auch Maetzigs eigene Mutter hatte sich das Leben genommen, um nicht der Gestapo in die Hände zu fallen.

Zeitnaher politischer Film

Wolfgang Staudtes Exposé zu Die Mörder sind unter uns – Arbeitstitel noch „Der Mann, den ich töten werde“ – war von den  Engländern, Amerikanern (Peter van Eyck) und Franzosen abgelehnt worden; nur der sowjetische Kulturoffizier interessierte sich auf Anhieb dafür, und im März 1946 wurde ein Drehbuchvertrag geschlossen. Wolfgang Staudte hatte mit seiner Gegenwartsgeschichte, die in die Kriegsphase zurückreichte, einen Film als geistige Abrechnung mit dem Faschismus konzipiert. Wenngleich die Zensur der sowjetischen Stellen kaum massiv Einfluss nahm in der ersten Nachkriegsphase, musste hier der Schlussteil geändert werden: Im Drehbuch erschießt der heimgekehrte Truppenarzt seinen ehemaligen Hauptmann, der einen Befehl zur Ermordung von Geiseln an der Ostfront gegeben hatte; diese Art verständlicher Selbstjustiz konnte die Sowjetische Militäradministration nicht akzeptieren, und so musste Hildegard Knef, die eine Überlebende des KZ spielt und mit gerade zwanzig Jahren zum Nachkriegsstar des deutschen Kinos wurde, ihm zuletzt in den Arm fallen. Der Film schließt mit der Forderung nach Gerechtigkeit und Sühne.

Als sich Kulturfunktionäre, Schriftsteller und Filmemacher im November 1945 erstmals zu einer gemeinsamen Beratung zusammenfanden, zwischen den Trümmern des vormaligen Hotels Adlon, sprach man von humanistischen, antifaschistischen und demokratischen Inhalten, die nichts gemein haben sollten mit der Tradition der Ufa, man verwies auf das „Erbe der Klassiker“ und propagierte den „zeitnahen politischen Film“ mit Bekenntnischarakter. Johannes R. Becher nannte es eine filmische „Generaldurchforschung der deutschen Geschichte“. Am Anfang noch war man sich einig über den aufklärerischen Anspruch des neuen Films und die Arbeit an der Schuldfrage: Wie konnte es in Deutschland zum Faschismus kommen? Aus dem so genannten Filmaktiv ging die Deutsche Film Aktiengesellschaft hervor, gegründet am 17. Mai 1946, zwei Wochen nach der ersten Klappe für Die Mörder sind unter uns, auch zu Irgendwo in Berlin von Gerhard Lamprecht entstanden zur gleichen Zeit bereits Außenaufnahmen; Lamprecht war durch seine „Zille-Filme“ bekannt und durch Emil und die Detektive (1931) berühmt geworden. Die Kinder seines Films in ihrer solidarischen Gemeinschaft vermitteln den niedergeschlagenen Erwachsenen Mut zum Neubeginn. Ebenfalls im Frühjahr 1946 drehte Milo Harbich an Originalorten in der Priegnitz seinen Film Freies Land über die Aufteilung vormaliger Großgrundbesitztümer. Fast durchweg mit Laien gedreht dokumentiert dieses Bauernepos unter fast Dovženko-haftem hohen Himmel die Entwicklung der Bodenreform („Junkerland in Bauernhand“) zwischen neorealistischen Szenen und einer Bildgestaltung sowjetischer Prägung.

Am individuellen Schicksal des Arbeiters Behnke, eines als typisch dargestellten politisch indifferenten Deutschen schilderte Staudte in Rotation (1949) den möglichen Wandel zu politisch bewusster, aktiver Haltung. Die Beanstandung der Zensoren gegenüber der Szene, in der die von Paul Esser gespielte Hauptfigur – es ist der erste eigentliche Proletarier im DEFA-Film – die Uniform seines aus Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Sohnes verbrennt, dürfte mit dem seinerzeit aktuellen Aufbau der Volkspolizei zu tun gehabt haben. Unbedingter Pazifismus, wie ihn der Regisseur eigentlich vertrat, war nicht mehr gefragt, kam es doch darauf an, in wessen Händen die Waffen lagen, und dass man sich gegen Unterdrückung wehren könne. Die Forschung nach den Gründen für Faschismus und Krieg bildete die erzählerische Haupttendenz in der Pionierphase der DEFA bis zur Konstituierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Verkündung ihrer Verfassung am 7. Oktober 1949. Ästhetisch suchte man an den besten Filmtraditionen der Weimarer Republik anzuknüpfen – dem expressionistischen Stil, dem Kammerspiel, dem proletarischen deutschen Film (Slatan Dudows Kuhle Wampe), der poetischen Sozialstudie.

Und wieder 1848

Razzia (1947) von Werner Klingler war eine erfolgreich gelaufene Kriminalgeschichte im Schwarzmarktmilieu, die erstmals nach dem Krieg die Durchsetzung neuer Ordnung als Verbrechensbekämpfung vorführte und Genre, Typen und Klischees mit zeitgemäßer Nachkriegswirklichkeit verband. Wozzeck nach dem Dramenfragment von Georg Büchner war ein seit der Vor-Nazizeit gehegtes Projekt von Georg C. Klaren, für das die Zeit gekommen war. Starke Licht-Schatten-Studien weisen auf das expressionistische Erbe zurück, doch die mitunter aufkeimende Kritik an „bürgerlich dekadentem“ Stil hatte keine Zensurauswirkungen. „Was 1848 unvollendet blieb, müssen wir heute vollenden“ verkündete ein Plakat zum Volksbegehren für die deutsche Einheit – Und wieder 48 steht in diesem Kontext. Für den Regisseur Gustav von Wangenheim sind die Barrikadenkämpfer gegen die Monarchie in Und wieder 48 nicht umsonst gestorben; der KP-Emigrant war in Moskau mit dem Film Kämpfer / Borzy hervorgetreten und hatte vor 1933 bereits mit Agitprop-Gruppen gearbeitet. Die Buntkarierten (1949) verfolgt die Geschichte einer deutschen Arbeiterfamilie vom Kaiserreich bis in die Gegenwart; der Film ist eine Chronik von unten, die dem wohlfeilen Pfaffenwort am offenen Grab über ein Leben, das, wenn es Mühe und Arbeit gewesen, süß gewesen sei, ins Gesicht schlägt. „Ich wollte zeigen, dass auch das Leben der Armen nur einen Sinn hat, wenn sie aus der Geschichte lernen und ihre Erkenntnis nutzen“, so die Autorin Berta Waterstradt. Affaire Blum (1948) von Erich Engel geht auf einen authentischen Justizskandal von 1926 zurück, den der Autor und Regisseur Robert A. Stemmle (der auch den Roman verfasste) in seiner Heimatstadt Magdeburg noch selbst erlebt hatte. Ein jüdischer Intellektueller sollte eines Mordes schuldig gesprochen werden, den ein Reichswehrangehöriger und politischer Kumpan der Rechten begangen hatte. Es wird deutlich, wie sehr Exekutive und Justizapparat in ihrer antisemitischen Attacke gegen Links einig sind. Erich Engel, der Premierenregisseur der Dreigroschenoper, inszenierte mit Gerhard Hauptmanns Biberpelz eine Art klassisches Pendant zur Affaire Blum, mit Fita Benkhoff als Mutter Wolfen und Erwin Geschonneck in seiner ersten großen Rolle als Motes. Parallel bereitete er Mutter Courage für die Bühne am Schiffbauerdamm vor.

Grube Morgenrot (1948) geht ins Jahr 1930 zurück, als der Versuch von Bergleuten scheiterte, eine Zeche selbst zu betreiben. Mit diesem Projekt dürfte auch dem damals aktuellen Modell volkseigener Betriebe Vorschub geleistet worden sein. Autor war Alexander Graf Stenbock-Fermor (der „rote Graf“), Klassenkonvertit aus russischem Adel, der im Bergwerk gearbeitet und auf einer langen Reise durch die proletarische Provinz Armut und Hunger kennen gelernt hatte. Sein Buch Deutschland von unten erschien 1931. Im ersten Nachkriegsfilm Slatan Dudows, Unser täglich Brot (1949) geht es um die Entscheidung zwischen zwei Söhnen, von denen einer mit Enthusiasmus die Fabrik aufbaut, während der andere mit unlauteren Geschäften schnelles Geld macht. Der Vater erlebt, dass letzterer, sein Liebling, auf die schiefe Bahn gerät, während die Fabrikarbeit voranschreitet, so entscheidet er sich für den volkseigenen Betrieb. Und wenn’s nur einer wär handelt von straffälligen Jugendlichen und polarisiert seine Handlung zwischen demokratisch-antifaschistischen Erziehungsprinzipien und diktatorischen Methoden der früheren Gewaltherrscher. Schließlich wurde die These öffentlich diskutiert, ob Jugendgefängnisse nicht überhaupt abzuschaffen seien. Die jugendlichen Darsteller „rekrutierte“ man direkt beim Polizeipräsidium am Schlesischen Bahnhof.

Gemeinsam war den meisten Filmen der DEFA die authentische Geschichte und der Blick von unten, der dem geläufigen Eskapismus der Ufa-Illusionsindustrie entgegenwirkte. 1947 noch war die Orientierung der SBZ-Kulturpolitik an Gesamtdeutschland gegeben, 1948 bereits ging die ideologische Offensive so weit, dass die führende Rolle der Partei auch in der marxistischen Kulturpolitik anerkannt werden sollte. Für die DEFA hieß das: Bisherige Vorstandsmitglieder wurden durch Parteimitarbeiter ersetzt, die zwar große Kenntnisse im illegalen politischen Kampf erworben haben mögen, keinerlei Kenntnis jedoch in Sachen Filmästhetik besaßen. Die Übertragung der korrekten Linie in den klassenpolitischen Gesinnungsfilm sollte sich in den 50er Jahren durchsetzen.