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Simpsons – Die Maske unter der Haut

Die Maske unter der Haut

| Roman Urbaner |

Unter den gelben Gestalten, die die Cartoon-Stadt Springfield bevölkern, ist Krusty mit Sicherheit die ambivalenteste.
Dennoch sehen viele jüdische
„Simpsons“-Fans in dem verkommenen Clown einen Bannerträger jüdischer Identität.

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Krusty ist anders. Im knallgelben Universum der Simpsons gehört der missmutige Clown deshalb gewiss nicht zu jenen Figuren, die geeignet wären, sich dem Publikum als Sympathieträger besonders aufzudrängen. Mit seinem Hang zu Lastern und fragwürdigen Geschäften stellt der Serienclown mit dem grünen Haar vielmehr so etwas wie den schäbigen Gegenpart zum ganz und gar untadeligen Ned Flanders dar. Wühlt man sich durch die 367 Folgen, die The Simpsons seit 1989 zur erfolgreichsten Cartoonserie der Fernsehgeschichte gemacht haben, fügen sich die Details aus Krustys Lebenswandel denn auch zu einem wahren Schmuddelpanorama: Während Flanders – als Personifizierung des evangelikalen Amerika – selbst die übelsten Zumutungen seiner Nachbarn mit christlicher Sanftmut erträgt, vertreibt sich der kettenrauchende Clown die Zeit bei Glücksspiel und pornografischer Lektüre – und greift unentwegt zur Flasche und zu Psychopharmaka.

Doch Springfields Jugend hat sich ausgerechnet den verkommenen Clown als Idol auserkoren; mit seiner Fernsehshow und den blutrünstigen „Itchy and Scratchy“-Cartoons hat Krusty die Kinder fest in der Hand. Und er weiß dies mit einer bizarren Palette an Merchandizing-Produkten – von Krusty-Cornflakes bis zum Krusty-Schwangerschaftstest – einfallsreich in bare Münze zu verwandeln. Da überrascht es nicht, wenn als Resultat seiner abenteuerlichen Geschäfte manchmal auch Springfields Unterwelt oder Steuerfahnder hinter ihm her sind.

Die Zeichen am Leib

Auch wenn uns die Serienautoren (darunter einige jüdischen Glaubens) den Fernsehclown nicht wiederholt und mit Nachdruck als jüdische Figur präsentieren würden: Seine Eigenarten, von der Geldgier bis zur Lasterhaftigkeit, lesen sich wie eine Persiflage auf die Inventarliste antisemitischer Klischees. Dass der Medienclown dabei skrupellos seine Position im Showbusiness für seine manipulativen Manöver ausnützt, versteht sich da fast schon von selbst. Und zu allem Überfluss zeigt sich in der Episode Homer the Great, dass der machtbewusste Clown oberndrein auch noch Mitglied einer Geheimloge ist, die auf den „Auserwählten“ wartet (und ihn irrtümlich in Homer zu erkennen glaubt).
Das Stigma der Andersartigkeit trägt Krusty am eigenen Leib: als Muttermal (in Form eines Rinderschädels), als Narbe (von seinem Herzschrittmacher) oder als physische Deformation (als dritte Brustwarze). In der Folge Bart the Fink erfahren wir, dass Krusty darüber hinaus auch seine fahle Clownmaske nicht dick aufgetragener Schminke, sondern seiner „Natur“ verdankt: Kurz sieht man ihn mit ungewohnt gelbem Teint; beim Schwimmen schwappen ihm dann aber Wellen ins Gesicht, und unter dem satten Gelb kommt wieder das bekannte Clowngesicht zum Vorschein. Wer anders ist, lehrt uns die Pointe, kommt aus seiner Haut nicht so leicht heraus.
Natürlich, man ließe sich allzu sehr an der Nase herumführen, wollte man das komplexe Bedeutungsgefüge der Serie einfach beim Wort nehmen – schon gar nicht da, wo die Simpsons mit stereotypen Bausteinen jonglieren. Schließlich unterläuft der Schabernack die Klischees meist mehr, als er sie nährt. Und dennoch hätte man annehmen können, dass das jüdische Publikum Krusty nicht sonderlich nachtrauern würde, als vergangenen Herbst bekannt wurde, dass der jüdische Komiker den Adaptionen fürs arabische Fernsehen zum Opfer gefallen sei. Der Sturm der Entrüstung, der die Simpsons-Community erfasste, u. a. weil Homer (nunmehr: Omar al-Shamshoon) in der islamkompatiblen Version seiner Vorliebe für Schweinespeck und Duff-Bier beraubt wurde, fand seinen Niederschlag aber auch in jüdischen Medien. Sogar die ehrwürdige Jüdische Allgemeine ließ ein verärgertes Murren über die Streichung des jüdischen Spaßmachers vernehmen und rief zum Protest auf. Hinter der Empörung steht aber viel mehr als nur das Unbehagen, dass hier in vorauseilendem Gehorsam ein „judenfreies“ Springfield geschaffen wurde: Denn ungeachtet seiner – schein-bar antisemtisch grundierten – Unarten hat man Krusty den Clown jüdischerseits fest ins Herz geschlossen.

Herschel Schmoikel Krustofski

Noch immer ist die Repräsentanz jüdischen Lebens im Mainstream der amerikanischern Alltagskultur nämlich keineswegs so selbstverständlich, wie es den Anschein hat. Dankbar wird jede jüdische Anspielung, die ins Paralleluniversum der Populärkultur einsickert, registriert. Als dann im Oktober 1991 erstmals eine Simpsons-Folge über die Bildschirme flimmerte, deren Plot ausschließlich um Krustys jüdische Identität kreist, war die Aufregung dementsprechend groß – kaum eine andere TV-Serie hatte bislang dem Judentum einen derart prominenten Platz eingeräumt.

In Like Father, Like Clown rückt Krusty, zu Gast am Mittagstisch der Simpsons, erstmals mit dem Geheimnis seiner Herkunft heraus: Nachdem er das Tischgebet sprechen sollte, stammelt er widerwillig einige Brocken auf Hebräisch und enthüllt unter Tränen, dass er einer orthodoxen Rabbinerdynastie entstamme, sich aber mit seinem gestrengen Vater schon vor Jahrzehnten überworfen habe, weil er, statt der Familientradition zu folgen, lieber als Komiker seine Faxen machte. So sei aus dem Rabbinersohn Herschel Schmoikel Krustofski, wie sein wahrer Name lautet, schließlich Krusty der Clown geworden. (Der Religionspublizist Mark I. Pinsky vergisst in seinem Buch The Gospel According to the Simpsons dankenswerterweise nicht zu erwähnen, dass „Schmoikel” an das jiddische Wort für „kleiner Penis” erinnert.) Um Krusty wieder mit seinem Vater zu versöhnen, verstricken Bart und Lisa den Rabbi daraufhin in einen talmudischen Disput. Dabei erweist sich Lisa als wahre Schriftgelehrte, und der Rabbi, der ihr bald nichts mehr zu entgegnen weiß, schließt seinen unfolgsamen Sohn wieder in die Arme.

Kaum war die Folge zu Ende, konnte sich der Sender kaum mehr der Anrufer erwehren, die im Auftrag jüdischer Verbände oder Museen eine Kopie anforderten. Seitdem gilt der Zeichentrickclown vielen als Bannerträger jüdischer Identität. Bei einer Umfrage, die den Favorite Jewish Hero küren sollte, schaffte es Krusty auf Anhieb unter die ersten Zehn. Und als das neue US-Magazin Heeb 2002 rotzfrech daran ging, Jüdischsein mit einer kräftigen Dosis Hipness zu würzen, widmete es Krusty nicht zufällig gleich in seiner Eröffnungsausgabe einen langen Artikel. „Es ist durchaus möglich, dass Krusty der berühmteste jüdische ‚Schauspieler‘ der Welt ist“, heißt es etwas überschwänglich auf der Internetseite jewhoo.com: „Die Sitcom ist schließlich rund um den Erdball zu sehen, und kein Fan hat noch Zweifel daran, dass Krusty Jude ist.“

Krustys Bar Mizwa

Natürlich legten die Simpsons-Autoren später noch einmal kräftig nach: In Today I Am a Clown (2003) schlendert Krusty über Springfields „Jewish Walk of Fame“ und ist entsetzt, als er bemerkt, dass man ihn als gefeierten Entertainer dabei einfach übergangen hat – dies, wie sich herausstellt, weil er nie seine Bar Mizwa, das jüdische Fest der Religionsmündigkeit, absolviert hat. Um die Zeremonie nachholen zu dürfen, stürzt sich Krusty daraufhin kopfüber ins Talmud-Studium: Die Versöhnung mit der Religion seiner Väter ist vollzogen. Seit Bam-Bams Beschneidung in den Flintstones sei es nicht mehr vorgekommen, dass die jüdische Religion in einer Zeichentrickserie eine so bedeutende Rolle gespielt hat, hieß in der Laudatio, als Drehbuchautor Joel Cohen 2004 für Today I Am a Clown den Preis der National Foundation for Jewish Culture in Empfang nahm. Und Rabbi Joshua Hammerman feierte Krustys Bar Mizwa in einem Beitrag für The Jewish Week gar als den triumphalen Wendepunkt, an dem das Judentum endlich seinen Platz im amerikanischen Mainstream eingenommen habe.

In Krustys schwierigem Verhältnis zur religiösen (Familien-)
Tradition finden offenkundig viele jüdische Fans ihr eigenes Dilemma wieder. Und dass die Serie Krustys Entfremdung zu guter Letzt in eine bekenntnishafte Rückkehr zu den verleugneten „Wurzeln“ münden lässt, erntet auch den Applaus der Religiösen. Die Zeichentrickparabel von Krustys Umkehr fand ihren Weg deshalb sogar ins Lehrmaterial nicht weniger Rabbiner. Der New Yorker Rabbi Noah Gradofsky etwa übertrug Lisas dialektische Übungen als talmudisches Lehrstück (mit dem Titel The Simpsons Talmud) gleich auch ins Hebräische. Und der gelegentliche Fokus auf das jüdische Springfield
inspirierte einen Fan zudem zu einer eigenwilligen Online-Variante des jüdischen Kalenders (The Homer Calendar).
„Es steht außer Frage“, zitiert Mark I. Pinsky den Reformrabbi Steven Engel, „dass die Simpsons in vielerlei Hinsicht und sehr präzise die Gefühle, Sorgen, Hoffnungen und Realitäten widerspiegeln, die das Leben heutiger Juden prägen. Natürlich ist das alles lustig und bringt die Leute zum Lachen. Aber ist es deshalb auch gut für die Juden?“ Das hänge wohl, antwortet sich der Rabbi selbst, am Ende davon ab, wer am lautesten lacht. Und solange es Krusty gibt, sieht es so aus, als wären dies ohnedies die jüdischen Fans.