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The Road to Guantanamo – Das wahre Bild im falschen

Das wahre Bild im falschen

| Alexandra Seitz |

Michael Winterbottom und Mat Whitecross rekonstruieren mit „The Road to Guantanamo“ die Geschichte jener Briten, die zwei Jahre im US-Gefangenenlager auf Kuba eingesperrt und gefoltert wurden. Heiligt auch im Film der Zweck die Mittel?

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Bei der Programm-Pressekonferenz der Berlinale wurde Festivaldirektor Dieter Kosslick gefragt, was er sich für die diesjährigen Filmfestspiele wünsche. Nach einem floskelhaften „es soll alles glatt über die Bühne gehen“ fiel ihm doch noch etwas richtig Wichtiges ein: Er würde gerne die über 500 Gefangenen, die im US-Gefangenenlager auf Kuba widerrechtlich festgehalten werden, am Abend der Aufführung von The Road to Guantanamo auf dem roten Teppich begrüßen können. Ein frommer Wunsch, der freilich auch ein solcher blieb. Aber immerhin jene drei, deren, ja, Leidensweg Michael Winterbottom und Mat Whitecross in ihrem Dokumentarfilm nachvollziehen, schafften es nach Berlin, auf den roten Teppich und in die Arme des freudestrahlenden Kosslick. Wie „bad people“ sahen sie nicht aus, trotz ihrer Bärte.

The Road to Guantanamo, das war sozusagen der Film der Berlinale. Deutlicher ließ sich das politische Selbstverständnis des Festivals kaum signalisieren, als mit der Entscheidung, diese offene Anklage einer arroganten Weltmacht in den Wettbewerb zu nehmen. Und dieser Anklage damit nicht nur die Aufmerksamkeit der internationalen Presse zu garantieren, sondern auch den Zugang zum ausländischen Markt zu erleichtern. Dem kontroversen Potenzial des Themas entsprechend groß waren die Erwartungen, und noch ehe überhaupt jemand den Film gesehen hatte, wurde er schon als Kandidat für den Goldenen Bären gehandelt. Den gewann er dann zwar nicht, sondern „nur“ den Silbernen Bären für die Beste Regie, aber auch diese Auszeichnung war eine rein prinzipielle Entscheidung und hatte weniger mit der künstlerischen Qualität des Films zu tun, als mit der Notwendigkeit, in Sachen Guantánamo Stellung zu beziehen. Es wurde ein Zeichen gesetzt. Neben einen Film, der im Grunde auch nicht mehr ist als ein Zeichen. Ein Zeichen, das eine Leerstelle füllt.

Leerstelle, schwarzes Loch, blinder Fleck

Denn was drückte sich in der fast schon hysterischen Gespanntheit aus, mit der The Road to Guantanamo in Berlin erwartet wurde? Was in den Vorschusslorbeeren, mit denen Winterbottom und Whitecross bekränzt wurden?
Zunächst einmal ergriffen all jene, die sich, im blinden Vertrauen darauf, auf der „richtigen“ Seite zu landen, auf jene von Winterbottom und Whitecross schlugen, damit dankbar die Gelegenheit, einmal mehr unverhohlen wohlfeilen Anti-Amerikanismus artikulieren zu können. Als stünde in Guantánamo, und weiteren gerüchteweise in anderen Ländern stationierten Lagern, lediglich die Reputation einer Großmacht auf dem Spiel und nicht vielmehr das Wertesystem und die moralische Ordnung der gesamten freiheitlich-demokratisch organisierten Welt. Darüber hinaus aber zeugt der Hype um diesen Film von jener Faszination, die das Verbotene erregt: jener gefährlichen Neugier auf das, was sich hinter der verschlossenen Tür abspielt, im dunklen Keller verbirgt, überall dort geschieht, wo wir nicht hin dürfen.

Aus den hermetisch abgeschotteten Camps X-Ray und Delta in Guantánamo Bay auf Kuba dringt nichts zu uns. Die wenigen Fotos von dort sind längst zu Sinnbildern von Machtmissbrauch und Unterdrückung geworden, losgelöst vom konkreten Ort ihrer Entstehung. Die Anlage selbst droht im Niemandsland politischer Symbolik und Rhetorik zu verschwinden. Bushs Einladung an Journalisten, sich selbst ein Bild zu machen, ist nicht nur zynisch, sondern eine dreiste Verarschung der Pressefreiheit; das diplomatische Herumgeeiere europäischer Politiker, das Thema bei ihren Audienzen in den USA „ansprechen“ zu wollen, ist wenig mehr als hilfloses Gefasel und ein ebensolches Armutszeugnis wie die eigene passive Stammtisch-Entrüstung.

Guantánamo ist ein rechtsfreier Raum, in dem nun bereits seit mehreren Jahren Männer festgehalten werden, ohne zu erfahren, wessen sie angeklagt sind, ohne Zugang zu Anwälten. Ein Ort, an dem Bürger zu Gesetzlosen gemacht, staatlicher Willkür und struktureller Gewalt ausgeliefert werden. Guantánamo, das ist ein unaufhörlicher Juckreiz an unerreichbarer Stelle, ein blinder Fleck, an dem die Gegenwart ein besonders hässliches und peinliches Kapitel der Geschichte schreibt: Im Folterlager auf Kuba kollabiert das Selbstbild der so genannten freien Welt. Es ist ein Skandal, der zum Himmel stinkt.

In solcher Lage kommen Winterbottom und Whitecross mit The Road to Guantanamo gerade recht. Ihre geschickte Montage aus Interview-Sequenzen, Ausschnitten aus Nachrichtensendungen und nachgestellten Spielszenen dokumentiert die Geschichte eines ungewollten Hineinschlitterns in den War on Terror. Endlich Wahrheit, wo Propaganda herrscht, Augenzeugenberichte, wo Gerüchte waren, ein authentischer Blick, wo verzerrte Wahrnehmung die Sicht bestimmt. Schön wär’s.

Von Tipton nach Camp Delta

Denn natürlich ist es mal wieder nicht so einfach. Was die drei als „Tipton Three“ bekannt gewordenen pakistanisch-stämmigen Engländer, die über zwei Jahre in Guantánamo festgehalten wurden, erzählen, ist zwar ihre Geschichte, aber sie ist es in einem eingeschränkten Sinn. Was sie preisgeben, ist mit ihren Anwälten abgesprochen, wirkt mitunter löchrig und wirft Fragen auf.

Ihren Ausgang nimmt die Odyssee der drei Männer Mitte September 2001, als Asif Iqbal (19) von Tipton, Birmingham, nach Pakistan reist, um dort zu heiraten. Sein Freund Ruhel Ahmed (19) und dessen Freunde Shafiq Rasul (23) und Monir Ali (22) treffen wenig später ein. Dem Aufruf eines Imams folgend, machen sie sich auf den Weg ins Nachbarland, „um dem afghanischen Volk beizustehen“, und landen bald mitten im Krieg. In Kunduz, einer der letzten Taliban-Hochburgen, die zu jenem Zeitpunkt bereits von den Truppen der Nordallianz umzingelt ist, verlieren sie Monir Ali aus den Augen; von ihm fehlt seither jede Spur. Die übrigen werden gefangen genommen und über Gefängnisse in Sheberghan und Kandahar schließlich im Januar 2002 nach Camp X Ray und später Camp Delta in Guantánamo Bay auf Kuba gebracht. Sie werden verhört, geschlagen und gefoltert. Im Mai 2003 legt das FBI ein Video vor, das sie angeblich bei einer Kundgebung mit Osama Bin Laden und Mohammed Atta zeigt. Alle drei waren zum Zeitpunkt der Kundgebung jedoch in Lipton, was vom MI5 später auch belegt wird. Im März 2004 werden Asif Iqbal, Ruhel Ahmed und Shafiq Rasul nach England geflogen, bei ihrer Ankunft von der Anti-Terror-Einheit verhört und anderntags endlich freigelassen.

So weit so gut, oder vielmehr schlecht. Denn man fragt sich ziemlich rasch, was um alles in der Welt die vier überhaupt dazu bewogen haben mag, ausgerechnet im September 2001 nach Afghanistan zu fahren? Und wie sie dann dort auch noch in Kunduz landen konnten? Trieb sie wirklich das Bedürfnis, humanitäre Hilfe zu leisten? Was hat man sich unter „dem afghanischen Volk beistehen“ eigentlich vorzustellen? Gab Neugier den Ausschlag? Die Abenteuerlust junger Männer, die sie immer weiter ins Geschehen hinein riss, bis aus dem aufregenden Spiel blutiger Ernst wurde? Oder steckt womöglich etwas ganz anderes dahinter? Sind die drei nicht so unschuldig, wie sie behaupten? – Da stimmt doch etwas nicht, denkt man, und während man das noch denkt, sitzt man auch schon in der Falle. Es gibt nämlich keine Position, von der aus Guantánamo und die Praxis, für die es steht, zu rechtfertigen wären. Und deswegen ist es auch vollkommen egal, warum die vier nach Afghanistan fuhren. Dass sich diese, die Zeugen diskreditierenden Überlegungen überhaupt einstellen, beweist jedoch, wie vehement man sich dem verweigern möchte, was Winterbottom und Whitecross zeigen, wenn ihre Geschichte erst einmal im Lager angelangt ist.

Don’t move! Don’t look! Don’t talk!

Was sich hinter der verschlossenen Tür abspielt, im dunklen Keller verbirgt, dort geschieht, wo wir nicht hin dürfen – es ist mindestens so schlimm wie befürchtet. Die Lagerszenen, nachgestellt in den beiden im Iran rekonstruierten Camps X-Ray (offene Käfige unter freiem Himmel) und Delta (Käfige in Baracken), vermitteln einen nachhaltigen Eindruck davon, wie im 21. Jahrhundert gefoltert wird, welche Methoden angewendet werden, um Menschen ihrer Würde zu berauben und sie zu brechen, ohne sie dabei körperlich allzu sehr oder allzu sichtbar zu beschädigen. Was zu sehen ist, ist unwürdig und obszön, es zu sehen aber ist von großer Wichtigkeit. Zum einen, weil der abstrakte Schrecken sich nun mit Bildern füllt und endlich konkret wird, was im Metaphernraum zu entschwinden drohte. Zum anderen, und vor allem, weil der Terror, der dort ungestraft ausgeübt wird, eine in blindwütiger Raserei um sich schlagende Staatsmaschinerie zeigt, ein maß- und ziellos vor sich hin schredderndes Vernichtungs-konstrukt. Don’t move! Don’t look! Don’t talk!” brüllen die Soldaten die Gefangenen an. Es ist das Gebrüll eines atavistischen Ungeheuers auf Rachefeldzug, das nicht aufhören kann zu toben, weil es andernfalls auf der Stelle implodieren müsste, aus Scham über sich selbst.

Mit den herkömmlichen Werkzeugen der Kritik tut man sich in diesem Kontext schwer, mit den üblichen Einsortierungen kommt man nicht weit, und Fragen nach Manipulation und Propaganda führen nirgendwohin. In der ersten Einstellung von The Road to Guantanamo sagt George W. Bush: „All I know is that these are bad people.“ Anschließend übergeben Winterbottom und Whitecross das Wort an drei der so Apostrophierten. Sie haben ein Recht darauf, dass man ihnen zuhört. Und mitdenken kann auch nicht schaden.