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Krieger

Krieger

| Alexandra Seitz |

Der größte aller Krieger in der Mutter aller Schlachten, sowie ein Englischlehrer in der Normandie.Auf der Suche nach Wahrheit und Heldentum im Großfilm.

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Brad Pitt in Troy
(Wolfgang Petersen, USA 2004)

Bevor von Troy, Wolfgang Petersens wahnwitzigem Versuch, den Trojanischen Krieg zu verfilmen, die Rede sein kann, muss über die Vorlage gesprochen werden.

Homers Ilias ist das gültige Schlachtengemälde, eine Steilvorlage zum Thema Krieg. Der antike Gesang schildert die Geburt aller Gefühle aus dem Kampf, und den Kampf als einen Zustand, in dem das Zerrissene und die Bedrohung der menschlichen Existenz erfahrbar werden. Das Schlachtfeld vor Troja, jener überschaubare und begrenzte Raum, ist die Welt – alles, was der Mensch jemals über sein Sein in der Welt zu erkennen vermag, findet sich hier. Das große Paradoxon, mitten im Leben vom Tod umgeben zu sein, findet keinen vollkommeneren Ausdruck als diesen Ort, an dem die Vernichtung allgegenwärtig ist und jeder Atemzug ein abgetrotzter. Das blutige Getümmel kennt nichts außerhalb seiner selbst. Homers Gesang wühlt in den Eingeweiden. Blutfontänen schießen hoch auf, Gliedmaßen werden abgeschlagen, Gebeine zerschmettern, Schädel zertrümmern. Lanzen, Pfeile und Schwerter bohren sich ins Fleisch, Schweiß und Tränen mischen sich in Stöhnen und Geschrei. Rüstungen werden geraubt, Leichen geschändet, vergeblich wird um Gnade gefleht. Auf dem Schlachtfeld bricht, unverstellt, das Tier hervor, und Töten ist harte Arbeit. Aus seiner Haut kann keiner heraus, sie ist die ultimative Begrenzung, physisches Schicksal – auch deswegen handelt Homers Epos vom Aufeinanderprallen der Körper und von der kriegerischen Lust. In der Behandlung der Körper, ihrer gegenseitigen Verletzung und Vernichtung, kristallisiert sich das Zentrum menschlichen Daseins: Dem Tod entkommt keiner. Am Körper setzt er den Hebel an. Der Tod ist der letzte Rest Metaphysik, selbst noch im säkularen Zeitalter.

So viel zur immanenten Bedeutung des Schauplatzes. Die dort handelnden Krieger, die durch Homers Schilderung unsterblichen Ruhm erlangt haben, so dass wir uns noch nach tausenden von Jahren ihrer Namen erinnern, diese Krieger sind jedoch nicht mehr als von den Göttern umhergeworfene sterbliche Heroen, wobei der Sachverhalt des göttlichen Eingreifens ins Kampfgeschehen den Aufruhr im Inneren des Heros bezeichnet. Eine gelungene Konstruktion, umso mehr, als die Götter der Antike ihren Geschöpfen so fatal ähneln; wie diese sind sie von Leidenschaften getrieben, impulsiv, unberechenbar und waghalsig. Sie verwirren, verbergen, täuschen und manipulieren; sie lenken der Krieger Geschicke, die sich im Wechsel olympischer Allianzen erst realisieren. Vorsehung und Vorherbestimmtheit reichen immer nur bis zum nächsten tollkühnen Einfall Apollons, einer Grille Aphrodites, oder dem Zeus’schen Machtwort. Für das er sich von Hera wird schelten lassen müssen. Und über das sich Athene dann hinwegsetzt. Das geflügelte Wort von der „Laune der Götter“, es drückte nie nur eine leere Drohung aus.

Nimmt man die Götter aus diesem Zusammenhang heraus und raubt damit der Erzählung ihren vorpsychologischen Kontext schicksalhafter Unabänderlichkeit, strömt die seelische Verfasstheit der Kämpfer in die entstehende Lücke und zieht individuelle Interessen und politisches Kalkül nach sich. Plötzlich steht der moderne Charakter auf dem Schlachtfeld und weiß nicht, wohin mit sich.
„Den Zorn singe, Göttin, des Peleus-Sohns Achilleus,
Den verderblichen, der zehntausend Schmerzen über die
Achaier brachte“

Petersen, der der Kraft seines Stoffes nicht vertraut, verrät Troy an ein Special-Effects-Spektakel; nun muss man unengagiert Zehntausenden Digitalos beim Aufmarsch- und Schlachtengetümmel zusehen, wo 200 bis 300 gut choreografierte echte Mann auch gereicht hätten. Das ist umso trauriger, als im Mittelpunkt dieses seelenlosen Spektakels ein an seiner Seele kranker Krieger steht: Achill, dessen nicht geringer Einfluss auf die Schlacht unter anderem darin besteht, dass er, während die anderen kämpfen, beleidigt in seinem Zelt sitzt, weil ihm Agamemnon seine Kriegsbeute, die schöne Briseis, weggenommen hat.

Schon zu Beginn, da ist von Troja noch keine Rede, verhallt der Ruf nach dem Helden ungehört, weil sich der noch auf dem Lager wälzt. Ein Junge wird geschickt, ihn zu wecken, und er erhebt sich grunzend, um widerwillig seinem Job nachzugehen. Dem Jungen, der kleinmütig seiner Ehrfurcht Ausdruck verleiht, verpasst er scharf: „That’s why nobody remembers your name.“ Als Wanderer am Rande der Welt der Lebenden, in deren Diensten er kämpft, und bei welcher Gelegenheit er immer wieder in das Reich des Todes hinüberreicht, muss Achill die Welt der Menschen klein und bedeutungslos erscheinen. Und so behandelt er sie auch. Einzig, dass sein Name eine Spur in der Geschichte hinterlässt, ist ihm wichtig.

„The vastness of eternity” beschwört ein sozusagen homerisches Voiceover gleich in der ersten Einstellung. Der Öde der Ewigkeit, die sich dem Einzelschicksal gegenüber gleichgültig ins Unermessliche erstreckt und in der sich die Menschen und ihre Taten verlieren, wohnt etwas zutiefst Erschreckendes inne. Den horror vacui, den die Indifferenz der Geschichte bedeutet, den hält Achill nicht aus und schleudert der drohenden Vernichtung sein Streben, seine Forderung gar, nach „Immortality” entgegen. Seine Mutter Thetis, Tochter des Meergottes Nereus, hatte ihn gelockt: „Your name will never be forgotten”, wenn er in den Kampf um Trojas Feste zöge. Dass der Preis für die Unsterblichkeit sein Tod ebendort sei, verschweigt sie ihm nicht.

Eine Rolle wie die des Achill, des größten aller Krieger, muss es einem outrierten Instinkt-Schauspieler wie Brad Pitt notwendigerweise angetan haben und natürlich lässt er sich die Gelegenheit, alle Möglichkeiten kreatürlichen Ausdrucks auszuloten, nicht entgehen und sich selbst die Zügel schießen. Pitts Achill paart das Göttliche mit dem Animalischen. Das Problem allerdings ist, dass Pitts Charakterisierung das Hadern Achills mit dem ihm von den Göttern auferlegten Schicksal sichtbar macht, während auf der Ebene des Drehbuchs von Ruhm und Ehre ausschließlich im geschichtsschreiberischen Sinne die Rede ist. Dabei ist es, wörtlich, God’s Speed, der Achill beseelt und seine Schritte lenkt, ihn wie eine wilde Bestie unter den Sterblichen wüten lässt. Seine Bestimmung drückt auf ihm wie eine schwere Last, er hadert, wehrt sich, schickt sich wieder drein, todesmutig, todesverachtend, stolz und unnachgiebig. Der Zynismus des Söldners ist Achills zweite Rüstung, die er trägt, auch wenn er nackt ist. Das ist nachvollziehbar, macht man sich seine Abkunft klar, jedoch nicht mehr so leicht zu akzeptieren, soll es lediglich das subjektive Interesse am Weltruhm sein, das ihn motiviert, in die Schlacht zu ziehen. Darin liegt die Krux, in der Tat die Kreuzung – von Drehbuchinteresse und Pitts Konzeption; sie laufen einander entgegen, widersprechen sich. Der Held, wie Brad Pitt ihn anlegt, will nicht, kann aber nicht anders. Er muss kämpfen, töten, Instrument der Gewalt sein, Gewalt werden, wie Zeus’ Blitze vom Himmel fahren, weil das sein Schicksal ist. Ein Schicksal, dessen Existenz das Drehbuch, durch die Entfernung der Götter aus dem Diskurs, gleichzeitig verneint. Damit ist das motivische Gleichgewicht der Erzählung zerstört und deswegen haut das alles hinten und vorne nicht hin. Aus der Ilias wird in Troy eine halbherzige Charakterstudie Achills. Halbherzig, weil einzig Eric Bana mit seinem leidlich durchdachten Hektor Pitts konsequentem Entwurf das Wasser reicht, während die anderen Heroen zu Statisten degradiert sind und sich der Rest auf das Tragen von Bärten und Kostümen beschränkt. Ein Trauerspiel.

Tom Hanks in Saving Private Ryan
(Steven Spielberg, USA 1998)

Captain John Miller in Steven Spielbergs Saving Private Ryan ist kein außergewöhnlicher Mensch, das bezeugt schon sein durchschnittlicher Name: Hans Müller – wer so heißt, dessen Heldenlied wird nicht an den Lagerfeuern gesungen. Aber Cpt. John Miller verfügt über ein gutes Gedächtnis und einen nicht minder ausgeprägten analytischen Verstand, er hat strategisches Vorstellungsvermögen und Führungsqualitäten, und er bewahrt in entscheidenden Momenten Ruhe und den Überblick. Das alles macht ihn zu einem guten Soldaten und einem verlässlichen Mann, dem man knifflige Aufträge anvertrauen kann. Und weil seine Vorgesetzten das wissen, betrauen sie Cpt. Miller mit einer veritablen FUBAR-Mission.*

Zusammen mit sieben seiner Männer soll er Private James Francis Ryan aus Iowa im Kriegsgebiet ausfindig machen und aus der Kampfzone schaffen. Pvt. Ryan, der in der Nacht vor der Invasion irgendwo über der Normandie abgesprungen ist, soll umgehend nach Hause. Weil er der einzige Überlebende der vier Ryan-Brüder ist, die allesamt auszogen, um auf der Seite der Guten zu kämpfen. Um ein Leben zu retten, werden acht aufs Spiel gesetzt; diese Verlustrechnung ist drastisch. Sie legitimiert sich mit dem sichtbaren Schicksals-Schlag, der Mutter Ryan auf ihrer Veranda niedersinken lässt, als vor dem Haus ein Wagen des Militärs hält, dem ein Priester entsteigt. In Verbindung mit der Vorstellung, dass sie vom Tod gleich dreier ihrer Söhne nun erst noch erfahren wird, ein erschütterndes Bild.

Doch natürlich denkt der Private, als ihn Miller und seine Mannen endlich aufgestöbert haben, gar nicht daran, seine Kameraden zugunsten von Mutters Rockzipfel im Stich zu lassen. Schließlich sind sie, so James, die einzigen Brüder, die ihm jetzt noch geblieben sind. Mit welch pathetischer Äußerung einmal mehr im Vorübergehen die Binsenweisheit bewiesen wäre, dass die Frauen im Krieg immer das Nachsehen haben, weil ihre Väter, Männer, Söhne dann die Verrichtung großer Taten im Sinn haben und nicht der Weiber Schmerz. Also nisten sich Miller und die Seinen nolens volens in dem Trümmerfeld ein, das ehemals ein französisches Kaff war, und verteidigen heroisch und bis zum sprichwörtlichen letzten Mann die dort befindliche, strategisch bedeutsame Brücke. Ryan überlebt, Miller nicht. Er bleibt auf dem Feld der Ehre; und es ist stark anzunehmen, dass er, wenn es nach ihm gegangen wäre, die Heimkehr dem Heldentum vorgezogen hätte. FUBAR eben.

Inmitten von Spielbergs zum Fundamental-Epos aufgedonnertem Kriegsfilm, der die Gefühlsklaviatur als Stalinorgel einsetzt und so die Zuschauer nicht einfach nur manipuliert, sondern gleich platt walzt – inmitten dieses teuflischen Gebräus aus Rührseligkeit, Pathos und Gewalt steht John Miller wie ein Fels in der Brandung. Er steht dort als überraschend authentische Gestalt, die sich unter all den Soldaten-Chargen ein wenig wie ein Fremdkörper ausnimmt. Zu danken ist das Tom Hanks, der sich mit der ihn auszeichnenden Sorgfalt seiner Figur annimmt, Miller ebenso verständnis- wie liebevoll ergründet und einen Charakter schafft, der auf lange Sicht funktioniert. Soll heißen, dass sich das Wesen Millers allmählich erst erschließt, dann aber in Erinnerung bleibt als Porträt eines einfachen Mannes, der die Tragweite der Entscheidung, in den Krieg zu ziehen, unterschätzt hat. In Hanks’ Miller wird der Krieger auf zweierlei Weise sichtbar: als heldsches Potenzial und als Zerstörung von Humanität.

Das geht, wie gesagt, langsam vor sich. Zu Beginn fällt einem an Miller, außer seiner zitternden Hand, vielleicht auf, dass er selbst nach dem wüstesten Schlachtgetümmel noch einen schier endlosen Vortrag über den Verlauf des Angriffs halten kann, präzise Angaben über Minentypen macht und genau weiß, wie viele seiner Männer tot und wie viele verwundet sind. Miller wirkt in dieser Szene geradezu unheimlich ausgeglichen, als wäre er durch nichts zu erschüttern und mit sich im Reinen – ein Mann an seinem Platz. Alles unter Kontrolle. Dann aber macht man sich auf den Weg, und Neuzugang Corporal Upham, Funktion: Dolmetscher, stellt seinen Kameraden die entscheidenden Fragen: Wo kommt John Miller her? Und was hat er vor dem Krieg gemacht? Die Bedeutung dieser Fragen wird dadurch erhöht, dass keiner die Antworten weiß. Nicht einmal Sgt. Horvath, der am längsten mit ihm unterwegs ist. Ein Geheimnis also, an dessen Wahrung Miller offenbar sehr gelegen ist. Inzwischen fällt einem auch auf, dass er seinen Trupp nicht im Kasernenhofton führt, sondern mit natürlicher Autorität. Er genießt Respekt, den er mit Nachsicht und Geduld erwidert.

Der Wendepunkt kommt, als bei der Eroberung eines deutschen Maschinengewehrnests der Sanitätssoldat des Trüppchens erschossen wird und allgemein die Nerven blank liegen. Unbeobachtet von den anderen, geschützt von einem Bunkerbrocken, beginnt der Captain zu weinen. Vielmehr, es will ein lautes Klagen aus ihm heraus, Geheul, Wehgeschrei drängt machtvoll an die Oberfläche – darf aber natürlich nicht hörbar werden, weil Mann, und weil Krieg. Den härtesten Kampf seines Lebens ficht John Miller gegen seine eigenen Tränen. Nun weiß man, dass diese Figur nicht an die Propaganda vom tapferen Helden, der in jedem von uns nur auf seine Geburt wartet, verraten werden wird. Kurz darauf – Pvt. Reiben aus Brooklyn meutert und kündigt seinen Abgang an, Sgt. Horvath will ihn dafür sogleich erschießen – gibt Miller, um die Situation zu retten, sein Geheimnis preis: Er sei Englischlehrer an einer Oberschule in einer Kleinstadt in Pennsylvania, sagt er, und er frage sich, ob er seiner Frau jemals von Tagen wie diesen werde erzählen können. Und: „Für mich rückt mit jedem Mann, den ich töte, die Heimat ein Stück weiter weg.“ In das sich anschließende Schweigen schleicht sich der Verdacht, dass Miller mit seinem Geheimnis auch sich selbst preisgegeben hat. Der Gott des Krieges, der keine Gewissensbisse kennt, wird diesen Mann dafür strafen, dass er sich als einer zu erkennen gab, der unabhängig von Vernichtung und Schlachtfeld (weiter)leben will. So kommt es dann auch. Doch kurz zuvor noch verteidigt Miller ein letztes Mal die Erinnerung an seine heile, unbeschädigte Existenz, die er so leichtfertig zurückgelassen hat, die nun aber das Einzige geworden ist, was ihn überhaupt noch einen Fuß vor den anderen setzen lässt. „Nein. Nein, das möcht’ ich für mich behalten“, antwortet er auf Ryans Bitte, von seiner Frau und den Rosenbüschen zu erzählen. Dann kommen auch schon die Deutschen.

Mnemosyne, die Göttin der Erinnerung, ist voll der Gnade. Auch sie erscheint in zweifacher Gestalt, und tröstet im Inneren jene, die sie zugleich der Vergessenheit anheim fallen lässt.

* FUBAR = Fucked Up Beyond All Recognition

Dieser Text ist Teil einer in unregelmäßigen Abständen und an unterschiedlichen Orten erscheinenden Reihe, in der sich die Autorin mit der Figur des Kriegers im Film beschäftigt. Erörtert wurden bislang: Gladiator, Soldier, Cleopatra, Apocalypse Now Redux, Baader, Fight Club und Last Samurai.