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Roberto Rossellini – Italien im Jahre Null

Italien im Jahre Null

| Barbara Schweizerhof |

Vier Filme von Roberto Rossellini, zwei davon mit Ingrid Bergman, sind in einer schönen Geburtstagsedition auf DVD erschienen.

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Was zu seinem 100. Geburtstag geschrieben wurde, brachte es ungewollt an den Tag: Von den großen italienischen Regisseuren, die das europäische Nachkriegskino so wesentlich geprägt haben, ist Roberto Rossellini derjenige, dessen Ruhm am meisten verblasst ist. Das war vor allem daran zu merken, dass seine Geschichte mit Ingrid Bergman weit mehr Platz in den Gedenkartikeln einnahm als die Diskussion seiner Filme. Fast könnte man zu dem Schluss kommen, Rossellini habe es der Bergman zu verdanken, dass an seinen 100. Geburtstag überhaupt erinnert wird. Roma, città aperta, Germania anno zero oder Stromboli sind zwar Titel, die einem breiteren Publikum etwas sagen, aber auch Schulterzucken auslösen: Man weiß nicht so recht, ob es sich lohnt, sie heute noch anzuschauen.

Koch Media hat eine edel gestaltete DVD-Box herausgebracht, mit der sich das bestens überprüfen lässt. Die vier Filme der Box repräsentieren die zwei wesentlichen Phasen des Lebenswerks Rossellinis: Es sind zwei aus der „Kriegstrilogie“, die seinen legendären neorealistischen Ruf begründete – Germania anno zero und Paisà – und zwei aus der Bergman-Phase, die ihn so nachhaltig berühmt machte, obwohl die Filme eher unpopulär waren – Stromboli und Viaggio in Italia (nach der Martin Scorsese seine Reise durch die italienische Filmgeschichte benannt hat, siehe die Geschichte über die DVD-Edition Filmgeschichte weltweit auf Seite 88).

Bezeichnenderweise zeigen die Fotos im beigelegten Booklet fast ausschließlich Ingrid Bergman. Man muss das nicht unbedingt kritisch sehen, denn tatsächlich stellt ihre Zusammenarbeit etwas Besonderes dar. Rossellini hat seine Frau nicht nur als erotischen Mittelpunkt besetzt, sie war zugleich sein Ausgangsmaterial und gewissermaßen seine Mitautorin, denn ihre Eigenarten und Situationen flossen als Bestandteile in die Figuren ein. Der mangelnde Erfolg der Filme lässt sich auch damit erklären, dass sie dem Glamourinteresse, das die als skandalös empfundene Hochzeit der beiden auslöste, nicht standhielten. Es war, als ob der falsche und außerdem zu grelle Scheinwerfer auf sie gerichtet wäre.

Erstaunlich erbarmungslos

Das ist ein guter Ansatzpunkt, um zu begreifen, was an Roberto Rossellini eigentümlich ist: Er war ein ausgesprochen uneitler Filmemacher; kein „Künstlertyp“, wie ihn Antonioni oder Visconti repräsentieren, auch kein egomanischer Selbsterforscher wie Fellini. Rossellini interessierte sich für das, was vor der Kamera stattfand. Sein Blick war dabei von erstaunlicher Erbarmungslosigkeit, gerade was sein Objekt Bergman anbelangt, und das löste beim Publikum auch Erschrecken aus. In Stromboli gibt es diese Perspektive auf die fremde Frau, die fast etwas vom Beobachtungsinteresse an einem Versuchstier hat: Kriegsflüchtling Karin wird durch die Heirat mit dem Italiener von einem Gefängnis, dem Internierungslager, ins nächste versetzt: auf die von bitterer Armut geprägte Insel Stromboli. In einer Szene läuft sie durch das menschenleere Labyrinth von Gassen, weil sie irgendwo ein Kind weinen hört – hilf- und orientierungslos.

Es geht in Stromboli nicht um die Anklage der Armut oder die Ungleichzeitigkeit der Moderne. Bergmans Karin ist eines jener kompromittierten Opfer, für die Rossellini sich stets besonders interessiert hat. Ein Mädchen aus besserem Hause, zum besitzlosen Flüchtling geworden, ohne dass sie für sich einen heroischen Leidens-Status beanspruchen könnte: sie steht nicht auf der politisch korrekten Seite. Als ihr am Ende des Films die Flucht von der Insel misslingt, verwandelt sich der Moment der größten Verzweiflung überraschend in das Erleben persönlicher Stärke: Mit der Ausweglosigkeit ihrer Situation konfrontiert, gibt Karin ihr Sich-Treiben-Lassen auf und nimmt eine Bestimmtheit an.

Auf einer ganz ähnlichen emotionalen Note endet auch Germania anno zero. Hier spielt Bergman eine verheiratete englische Frau mittleren Alters. Der ungeheuer präzis beobachtete Film zeigt in lauter Nichtereignissen die Brüchigkeit ihrer Ehe. In den ersten Szenen sieht man sie am Steuer des Wagens auf der Fahrt nach Neapel, neben ihr ein gelangweilt gähnender Gatte. Sie stellen fest, dass sie das erste Mal seit langer Zeit alleine sind und fühlen sich nicht wohl dabei. In der Abfolge von alltäglichen Handlungen wie Essengehen, Sonnenbaden, Zubettlegen spitzt sich die Entfremdung zu. Sie üben sich im Selbstständigsein – der Mann versucht sich an einer Affäre, sie widmet sich den Sehenswürdigkeiten Neapels, aber beide scheitern und erfahren damit etwas über ihr Alter und ihre Einsamkeit. Am Ende steht wieder nicht mehr, aber auch nicht weniger als die größere Bestimmtheit der Figuren, die das Resultat von Selbsterkenntnis ist.

Das Horizontlose

Es ist dieses Moment der Offenheit, der Ermächtigung der Figuren über ihr Schicksal, das auch die Filme der „Kriegstrilogie“ prägt. Die akademische Diskussion, ob diese Filme nun zum Kanon des Neorealismus gehören oder nicht, erscheint heute überflüssig: Sie beeindrucken durch ihr Gespür für den historischen Augenblick des „Horizontlosen“. In Germania anno zero etwa ist der Krieg zwar vorbei, aber seine Verwüstungen scheinen so groß, dass sie den Blick in die Zukunft gänzlich verstellen. Schmerzhaft deutlich illustriert Rossellini das, indem er den 12-jährigen Edmund in den Mittelpunkt stellt. Kinderdarsteller sind oft ein einfaches Verfahren, um die Emotionalität eines Films zu steigern, hier aber erwächst eine besondere Spannung daraus, dass Edmund als der Erwachsene seiner Familie vorgestellt wird. Mit seinen Schwarzmarktaktionen ernährt er den bettlägerigen Vater und seine ängstlicheren, aber auch bequemen älteren Geschwister. Es ist die Last, aber auch der Stolz auf diese Verantwortung, die ihn dazu bringt, das „Problem“ des Vaters ein für alle Mal lösen zu wollen. In der ergreifendsten Sequenz des Films streift er nach vollbrachtem Mord in totaler Isolation durch die Trümmerlandschaft – und will zurück in die Kindheit: „Lasst mich mit euch spielen!“, bittet er eine kleine Schar kindlicher Fußballspieler, die ihn grausam abblitzen lassen.

Die Schonungslosigkeit Rossellinis gilt hier vor allem dem Ort: In kaum einem anderen Film sieht man die Zerstörung Berlins in solcher Deutlichkeit. Darin war Rossellini tatsächlich Neorealist: ob Edmund, dessen Zuhause die Ruinen sind, oder Karin im Gassenlabyrinth auf Stromboli oder der schwarze Soldat in den Höhlen bei Neapel in Paisà – die Originalschauplätze sind essenzieller Bestandteil der Handlung. In Paisà verfolgen die sechs Episoden topografisch von Süd nach Nord die letzten Kriegs- und die ersten Friedenshandlungen 1944 in Italien. Über 60 Jahre nach Kriegsende erstaunt die Düsternis dieser Geschichten, die von lauter Nicht-Helden handeln, von überflüssigen und verkannten Toten, von Opfern, die für den Gang der Historie keine Bedeutung haben. Die DVD-Edition – die außer dem Booklet leider ohne nennenswerte Extras auskommt – belegt in ihrer Auswahl schließlich auf schöne Weise, dass Rossellini weniger als Vertreter einer Schule oder eines Kanons interessant ist, sondern wegen seines Blicks auf die unglamouröse Rückseite der historischen Situation. „Niemand wird wissen, wie ich gestorben bin“, sagt ein Soldat in der sechsten Episode von Paisà, kurz bevor er einem der letzten deutschen Erschießungskommandos zum Opfer fällt. Dank Rossellini haben wir eine Vorstellung davon, dass es ihn gegeben hat.

 

ROBERTO ROSELLINI – GEBURTSSTAGSEDITION
4 DVDs
Sprache(n) Deutsch, Italienisch, Englisch
Untertitel Deutsch
Bildformate 4:3
Soundformate Dolby Digital 2.0
Koch Media Home Entertainment

PAISÀ (1946)
Mit Carmela Sazio, Robert Van Loon, Alfonsino Pasca, Maria Michi,
Harriet Medin, Renzo Avanzo, William Tubbs, Cigolani
126 Minuten

GERMANIA ANNO ZERO / DEUTSCHLAND IM JAHRE NULL (1948)
Mit Edmund Moeschke, Ernst Pittschau, Ingetraud Hinze, Franz-Otto Krüger, Erich Gühne
73 Minuten

STROMBOLI (1950)
Mit Ingrid Bergman, Mario Vitale, Renzo Cesana, Mario Sponzo
87 Minuten

VIAGGIO IN ITALIA / REISE IN ITALIEN (1953)
Mit Ingrid Bergman, George Sanders, Maria Mauban, Anna Proclemer, Paul Muller, Anthony La Penna, Natalia Ray, Jackie Frost
85 Minuten