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Sommerkinos – Ein umfassender Überblick

Sommerkinos

| Lukas Maurer :: Andreas Ungerböck :: Roman Scheiber :: Jörg Schiffauer :: Ralph Umard :: Michael Pekler |

Alle Jahre wieder: Hollywood startet seine globale Großoffensive, um die Schlacht an den Kinokassen schon im Sommer für sich zu entscheiden. Einige Vorzeigemodelle der diesjährigen Kollektion.

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Fun With Dick and Jane
(Dean Parisot, USA 2005)
Dagegen waren Bonnie & Clyde Dünnbrettbohrer-Ganoven: Jim Carrey in Bestform und Tea Leoni markieren ein reiches, braves Großstadtpärchen, das sich von heute auf morgen auf die Seite der Modernisierungsverlierer gespült sieht. Von der Kunst, stilvoll zu verarmen, haben die beiden freilich noch nichts gehört. Als der letzte Dollar dahin und der Strom in der idyllischen Vorstadtvilla abgedreht ist, bleibt nur noch ein Ausweg – ebenso lustvoll wie dilettantisch auf Raubtour zu gehen. Das folgende Gagfeuerwerk (zum Niederknien: ein Überfall mit Gasmaske und Sprechdurchfall) treibt sogar ehemaligen Enron-Mitarbeitern die Tränen aus den Augen. (rs)

Frankenstein
(James Whale, USA 1931)
Auf der Kaiserwiese vor dem Riesenrad geht die Neuauflage des Praterfilmfestivals über die Bühne, und die Schau „Horror. Freaks. Wahnsinn. Eine Geisterbahnfahrt durch die Filmgeschichte“ passt recht gut zum Ambiente, repräsentiert doch der Tummelplatz im Film seit jeher den autoritätsfreien Raum, in dem die Fantasien, Wünsche und Begierden zum Ausdruck kommen. Wie sich überhaupt die Suche nach der Grenze im Horrorfilm stets an realen und gleichzeitig fremden Orten manifestiert, die so viele Protagonisten auf der Leinwand befällt und sie in dunkle Verliese, verfallene Häuser und Orte treibt. Entgegen Mary Shelleys Vorlage lässt etwa James Whale in Frankenstein das blasphemische Experiment in einem alten, von Stürmen umtobten Wachturm geschehen. Die letzte Grenze markiert die zum Wahnsinn und zur hoffartigen Wiederversündigung des Menschen. Der Wachturm als zivilisatorische Bastion ist seiner eigentlichen Funktion längst enthoben, der Außenposten des aufgeklärten Geistes wird zum Sinnbild für dessen Verkommenheit und An-

Rosemary’s Baby
(Roman Polanski, USA 1968)
Dass die abgründigsten Schreckensszenarien aus zunächst zutiefst vertrauten Dingen erwachsen können, gehört zum festgeschriebenen Kanon des Horrorgenres, selten wurde dies jedoch effektvoller unter Beweis gestellt als im Fall von Rosemary’s Baby. Roman Polanski verzichtet dabei völlig auf plakative, vordergründige Schockeffekte, vielmehr baut er eine paranoid angehauchte Atmosphäre auf, die sich wie schleichendes Gift immer mehr ausbreitet. Doch die Bedrohung nimmt für die Protagonistin Mia Farrow immer handfestere Formen an und verwandelt ihre familiäre Idylle samt Schwangerschaft zusehends in  einen nicht enden wollenden Alptraum.(js)

Zatoichi
(Takeshi Kitano, Japan 2003)
Takeshi Kitano, der vielleicht schillerndste Kinopoet der Gegenwart, legte mit Zatoichi 2003 sein erstes Historiendrama vor. In seiner Interpretation gerät der in Japan allseits beliebte Film- und Fernsehheld Zatoichi, ein blinder Masseur und meisterlicher Schwertkämpfer, zu einem Racheengel Eastwoodscher Prägung: Er schlägt sich nicht mehr eindeutig auf die Seite der Guten, sondern bleibt eher neutral, unberechenbar. Kitano erweist in den kunstsinnig choreographierten Kampfszenen Akira Kurosawa die Ehre und schlägt einen Erzählrhythmus an, der in seiner Gelassenheit perfekt zu einer lauen Sommernacht passt. (lm)

2001: A Space Odyssey
(Stanley Kubrick, USA 1968)
Kaum ein anderer Film wurde Gegenstand einer derartig großen Zahl von Interpretationsversuchen wie 2001: A Space Odyssey. Allein die Frage nach der Auslegung des (offenen) Endes liefert immer noch ausreichenden Diskussionsstoff. Kubricks Klassiker, der die Grenzen des Science Fiction Genres weit hinter sich ließ, bestach nicht nur durch seine für die damalige Zeit bahnbrechenden Spezialeffekte, sondern vor allem durch seine philosophisch anmutende Ausrichtung, die den gängigen Konventionen des Genres zuwiderlief und dem Film rasch zu seinem Kultstatus verhalf. (js)

Domino
(Tony Scott, USA 2005)
Die rebellische Tochter eines berühmten Hollywoodstars bricht aus Modelkarriere und High-Society-Dasein aus, um sich einer Truppe von modernen Kopfgeldjägern anzuschließen. Was sich wie die überdrehte Phantasie eines Drehbuchautors anhört, basiert auf der tatsächlichen Lebensgeschichte von Domino Harvey, Tochter des prominenten Schauspielers Laurence Harvey. Tony Scott setzt diese unglaublich anmutende Biografie mittels einer von Beginn an dahinrasenden, sich an der Videoclip-Ästhetik orientierenden Bildsprache in Szene, lässt dabei die Wandlung ihrer Geschichte von der Farce zur Tragödie als geradezu logische Folge erscheinen. (js)

The Blair Witch Project
(D. Myrick, E. Sánchez, USA 1999)
Schriftsteller Thomas Glavinic (siehe auch Interview auf Seite 36) berichtet, der Film habe ihm wochenlang den Schlaf geraubt. Dabei ist eineinhalb Stunden nichts anderes zu sehen als ein paar Teenager mit Handkamera im Wald, die unfreiwillig das Zehn-Kleine-Negerlein-Spiel spielen – mit durchaus unbefriedigender Auflösung. Der (Internet-)Hype um den No-Budget-Provinz-Noir verhalf dem Horrorgenre abseits von zitatenüberladenen Spaßschockern wie Scream zu einer kleinen Renaissance. Dass verwischte, grobkörnige Aufnahmen laubbedeckten Waldbodens herrlich impressionistische Bilder ergeben können, ist ein schöner Nebeneffekt dieses Studentenfilms. Seinen durchschlagenden Kassenerfolg verdankte er allerdings nicht dem, was auf der Leinwand, sondern dem, was zum Beispiel in Thomas Glavinics Kopf gelaufen ist. (rs)

Rang De Basanti
(Rakeysh Omprakash Mehra, Indien 2006)
Ein kleiner Höhepunkt aus der Reihe „Best of Bollywood“: Im ersten Filmteil eine Bollywood-typisch überdrehte College-Komödie mit herumalbernden Studenten, die spaßeshalber beim Dreh eines Kinodramas mitspielen – über eine Gruppe heroischer Freiheitskämpfer gegen die britische Kolonialherrschaft in Indien Anfang des 20. Jahrhunderts. Im zweiten Teil eine frappierende Action-Tragödie, in der die Studenten ihre historischen Filmrollen verinnerlichen und ernst machen: Als ein eng befreundeter Air Force-Pilot durch die Schuld des korrupten Verteidigungsministers tödlich verunglückt und eine friedliche Demonstration zu Ehren des Toten blutig von der Polizei niedergeknüppelt wird, greifen die Studenten zur Waffe und erschießen den Minister in Dehli auf offener Straße. Erstaunlich, wie radikal dieser Film das politische System in Indien kritisiert, Mord als Mittel zum Kampf gegen das korrupte Regime propagiert, und die Täter zu Helden hochstilisiert. Kaum denkbar, das so etwas im deutschen Sprachraum möglich wäre zu Zeiten des Terrorismus-Verfolgungswahns. (ru)

Das Arrangement
(Nathalie Borgers, Ö 2005)
Nathalie Borgers dokumentiert Hochzeiten im Wiener Migrantenmilieu und porträtiert mehrere junge Wiener Frauen türkischer Abstammung, die über ihre Wünsche, Vorstellungen und teilweise auch leidvollen Erfahrungen zum Thema Zwangsheirat berichten: eine Medizinstudentin, eine junge Friseurin oder eine 19-Jährige, die sich gerade auf den Weg in die Türkei zur Vermählung macht. Borgers, in der Auswahl der „Fälle“ um Ausgewogenheit bemüht, sucht nicht nach Antworten, sondern legt vielmehr dar, dass diese je nach Perspektive unterschiedlich ausfallen müssen. Denn hier geht es weniger um die Frage nach dem Willen zur sprachlichen Anpassung, sondern um die Möglichkeit, diese Anpassung als freie Willensentscheidung zu praktizieren. Und dies hat am Ende einfach mit Toleranz an sich zu tun. (mp)

Habana Blues
(Benito Zambrano, Spanien, Kuba, Frankreich 2005)
Die beiden Freunde Ruy und Tito wollen mit ihrer Band den musikalischen Durchbruch schaffen, doch im wirtschaftlich desolaten Kuba reichen ihre Einkünfte kaum für das tägliche Überleben aus. Als zwei spanische Musikproduzenten sie unter Vertrag nehmen wollen, scheint für die beiden Freunde die lang ersehnte Chance endlich gekommen zu sein. Benito Zambrano zeichnet ein komplexes, authentisches Bild der sozialen und politischen Realität Kubas, der Film besticht aber auch durch seine furiosen Konzertsequenzen und den grandiosen Score. (js)

Der letzte Mann
(Friedrich Wilhelm Murnau, D 1924)
Murnaus Stummfilmkassiker, begleitet von Live-Orchestermusik,
mit Emil Jannings in der Glanzrolle als stolzer Hotelportier, der wegen„Altersschwäche“ dazu degradiert wird, die Toiletten zu warten und durch eine Last-Minute-Erbschaft zum reichen Mann wird. Eine oftmals missverstandene Satire auf eine Gesellschaft, in der Geld und Prestige mehr zählen als Menschlichkeit. (au)

My Summer of Love
(Pawel Pawlikowski, GB 2004)
Ein Sommer der Liebe, ein Sommer der Gegensätze. Während der ehemalige Trunkenbold und Knastbruder Phil glaubt, seine Nähe zu Gott gefunden zu haben, entdeckt seine kleine Schwester Mona in der schöngeistigen Ferienbekanntschaft Tamsin mehr als eine Seelenverwandte. Der britische Regisseur Pawel Pawlikowski (Last Resort) kreuzt in seinem Kleinstadtdrama My Summer of Love die Mystik des Glaubens mit der Mystik der Gefühle, hebt in seiner Inszenierung an zu einem märchenhaften Reigen aus Farben, Körpern, Leidenschaften. Wunderschön! (lm)

Brokeback Mountain
(Ang Lee, USA 2005)
Ein Film über Schuld, Angst und Sehnsucht, mithin ein Film über das allgemein Menschliche. Zwei einfache junge Männer, die in den grünen Bergen Wyomings Schafe hüten, finden einander und kommen nicht mehr voneinander los. Sie prallen an den gesellschaftlichen Normen im Amerika der 60er Jahre ab, doch unter den glatt gebügelten Oberflächen, der Leere des Alltags und dem Stillstand rumort es. In seinen besten Momenten erinnert dieser Film an die Melodramen eines Douglas Sirk, wenn Ang Lee den Farben, der Architektur, den Innen- und Außenräumen als Ausdruck geltender moralischer Codes Bedeutung verleiht. Was bleibt, sind ein Blick aus einem Wohnwagen durch ein kleines Fenster, die Erinnerung der kurzen Freiheit und ein zerbrochenes Herz. (mp)

Nosferatu, eine Symphonie des Grauens
(Friedrich Wilhelm Murnau, D 1922)
Stummfilm mit Live-Klavierbegleitung durch Gerhard Gruber. Murnaus expressionistische Variation des Vampirthemas gilt zu Recht als Meisterwerk in der Geschichte des Horrorfilms. Nosferatu, von einem Kritiker als „ein kühler Windstoß am jüngsten Tag“ bezeichnet, entwickelt eine subtile, intensiv um sich greifende Atmosphäre des Schreckens, die die kollektiven Ängste der Weimarer Republik kongenial widerspiegelt. Max Schrecks Interpretation des Vampirs Graf Orlok gilt dabei als stilbildende schauspielerische Leistung. (js)

North Country
(Niki Caro, USA 2005)
Eine etwas unterschätzte Perle des diesjährigen Kinoangebots bisher. Charlize Theron als einfache Arbeiterin bekämpft – beruhend auf historischen Tatsachen – Ende der 80er Jahre den Sexismus und die Frauenfeindlichkeit in den Kohlenrevieren Minnesotas und erzwingt einen Musterprozess. Ein Stück Americana mit einem politischen Touch – so weit das in Hollywood halt möglich ist. (au)

Alpinale
Jedes Jahr im August wird das Filmfestival Alpinale veranstaltet. Es hat den Zweck, Newcomern des Filmschaffens, ob aus dem professionellen oder nicht-professionellen Bereich, aus allen Ländern, hauptsächlich aus dem europäischem Raum, in Vorarlberg zusammenzubringen. Sie sollen untereinander Kontakte knüpfen, Meinungen austauschen, Erfahrungen sammeln, ihre Filme dem Publikum vorstellen und über ihre Arbeiten diskutieren. Dieses Jahr findet bereits die 21. Ausgabe der ambitionierten Veranstaltung statt. (au)

Behind the Green Door
(Artie Mitchell / Jim Mitchell, USA 1972)
Sexuelle und andere Revolutionen machten es in den Siebzigern möglich, dass so mancher Pornofilm die bislang zugewiesene Schmuddelecke verlassen durfte und den Weg zu einem breiteren Publikum fand. Porno Chic nannte man den trendigen Versuch, Sexfilme mit künstlerischem Anspruch gesellschaftsfähig zu machen. Behind The Green Door zählt dabei zu jenen ganz wenigen Filmen, denen es tatsächlich gelang, die Synthese von explizit gezeigter Sexualität, elaborierter Spielhandlung und filmhandwerklichem Können zuwege zu bringen. Immerhin verschaffte sich Behind The Green Door dank dieser Qualitäten Aufmerksamkeit und Respekt bei der etablierten Filmkritik,  Hauptdarstellerin Marilyn Chambers sogar so etwas wie bis heute anhaltenden Starruhm. Zu sehen im Rahmen der Filmschau „Summer of Love“. (js)

No Name City
Der Überfall
(Florian Flicker)
Ein schönes Open-Air-Double-Feature mit zwei höchst unterschiedlichen Filmen des österreichischen Regisseurs Florian Flicker. Sein vor wenigen Monaten gestarteter Dokumentarfilm über die gleichnamige Westernstadt (in der Nähe von Wiener Neustadt gelegen, bekanntlich) ist eine subtile Studie über das Auseinanderklaffen zwischen Autonomie und Ökonomie am Arbeitsplatz: Hinter den Fassaden von No Name City regiert der Frust.

Der Überfall, 2000 beim Filmfestival in Locarno ausgezeichnet, ist der erfolgreiche Versuch, den viel geschmähten Kabarettfilm auf eine höhere Ebene zu holen, wo er sich ganz prächtig macht.Tragikkomik, angemessene Ironie und bestens disponierte Darsteller (Roland Düringer, Josef Hader und Joachim Bißmeier) verbinden sich zu einem wunderbaren Ganzen.

The Road To Memphis
(Richard Pearce, USA 2003)
Martin Scorsese produzierte diese musikalische Reise mit B.B. King in die Heimatstadt des Blues, nach Memphis, Tennessee. Die Stadt an den Ufern des Mississippi ist nicht nur Elvis-Town, sondern auch Heimat der meisten Blues-Größen, die hier in noch nie gezeigten historischen und aktuellen Aufnahmen zu sehen sind. Ein Musikfilm von einem Musikliebhaber. Zu sehen – und vor allem zu hören – sind neben B. B. King Rufus Thomas, Ike Turner, Fats Domino, Howlin‘ Wolf und viele andere. (au)

Der Tiger und der Schnee
(Roberto Benigni, I 2005)
Benignis Burleske im Stil von Das Leben ist schön ist zu Unrecht einer der Verlierer des heurigen Kinofrühlings: Als versponnener Poet (was sonst) landet Benigni als Dichter Attilio im Irak, um seine Angebetete aus einem Krankenhaus heimzuholen. Allein sie ist ohnmächtig, und als ob es darum ginge, diese Reglosigkeit zu kompensieren, verstrickt sich der Held in Hyperaktivität und Wortkaskaden, bis er endlich gar in einem Gefangenenlager landet. „I’m Italian“, brüllt er, doch die Amerikaner erkennen ihre Verbündeten nicht mehr. Ein mutiger Film nicht aufgrund seines Themas oder der Inszenierung, sondern aufgrund der Eigensinnigkeit seines Regisseurs, der für ein einziges wunderschönes Bild bereit ist, zuvor ganze Szenen in den Wüstensand zu setzen. (mp)

Königreich der Himmel
(Sir Ridley Scott, USA 2004)
Einer der letzten Ausläufer der Monumentalfilmwelle, und tatsächlich werden am Ende dieses Films die letzten Verteidiger Jerusalems als allerletztes Aufgebot zum Ritter geschlagen: Am Schluss tut sich ein schmaler Durchbruch in der Stadtmauer auf, und die Massen von außen drängen den Massen von innen entgegen. Sarazenen und Christen, beide von einer den Frieden desavouierenden Wahnsinnstat eines Einzelnen mit Blindheit geschlagen, stürmen aufeinander zu. Doch eigenartig: es ist zu wenig Platz – das Bild friert ein, und das Massenkino für die Massen ist buchstäblich ins Stocken geraten. Hier geht nichts mehr. (mp)

Lukas Maurer (lm), Michael Pekler (mp), Roman Scheiber (rs), Jörg Schiffauer (js), Ralph Umard (ru), Andreas Ungerböck (au)