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Kim Novak

Kim Novak – Ein Gespräch

„Vielleicht war ich doch keine schlechte Schauspielerin“

| Marc Hairapetian |

Sie war geheimnisvoll und bodenständig, melancholisch und zupackend, kühl und doch von warmherziger Erotik. Sie diente Hitchcock in „Vertigo“ als Fetisch und stand Sinatra in „The Man With The Golden Arm“ zur Seite. Die Faszination für Kim Novak jedoch ist geblieben.

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In ihren besten Filmen wandelt sie wie in Trance durch die Szenerie, als ob sie nicht von dieser Welt wäre. Sie war das erste Sexsymbol, das bei allen optischen Reizen auch einen Hauch von Verlorenheit in ihre Rollengestaltung einfließen ließ. Obwohl die 1933 in Chicago als Tochter eines Eisenbahnbeamten und einer Geschichtslehrerin geborene Marilyn Pauline Novak lange Zeit auf den Rollentyp der aufopferungsvollen, leidenden Schönheit festgelegt wurde, ist sie in ihrer von Gegensätzlichkeiten geprägten Ausstrahlung selbst nie ganz zu fassen gewesen. Manchmal beherrscht sie die Leinwand mit ihrer grandiosen Physis, die sie wie ein platinblondes Überweib erscheinen lässt, und doch weckt sie in einem das Bedürfnis, sie beschützen zu wollen.

Kim Novak war der Prototyp des patenten Mädels von nebenan, das zum glamourösen Superstar der Traumfabrik avancierte. Nach dem Gewinn einiger Schönheitswettbewerbe posierte sie landesweit als „Miss Deep Freeze“ für eine Kühlschrankreklame. 1953 wirkte sie als Model bei einem Komparsenauftritt in Lloyd Bacons The French Line mit. Durch die Vermittlung eines Talentscouts wurde schließlich Columbia-Chef Harry Cohn auf sie aufmerksam der sie zum blonden Gegengift von Marilyn Monroe formte, die damals bei der 20th Century Fox unter Vertrag stand.

Das Columbia-Retortenbaby, das Cohn anfänglich Kit Marlowe nennen wollte, bis man sich auf Kim Novak verständigte, wurde in ihren ersten Filmen wie Pushover (Richard Quine, 1954) systematisch als moderne Städterin mit unwiderstehlichem Sexappeal aufgebaut: Enger Rock und Blusen, die immer einen Knopf, niemals zwei Knöpfe zu weit geöffnet waren, sollten dabei zu einer Art Markenzeichen werden. In Otto Premingers über weite Strecken beklemmend realistischem Drogen-Drama The Man with the Golden Arm (1955) spielte sie erstmals die Hure mit Herz, die aufopferungsvoll versucht, Frank Sinatra zum Entzug zu bewegen. Der endgültige Durchbruch kam mit Picnic (Joshua Logan, 1956), in dem sie als braves Up-Town-Girl einem von William Holden verkörperten Vagabunden blind ins Ungewisse folgt. 1958 sollte sie zwei Mal an der Seite von James Stewart zu sehen sein: Bleibt Richard Quines Hexen-Komödie Bell Book and Candle als charmante Unterhaltung in Erinnerung, ist es Alfred Hitchcock, dem sie mit Vertigo ihre bis heute bekannteste Rolle verdankt. Dabei war sie für Hitchcocks anfangs verkanntes Meisterwerk um einen Mann, der seine vermeintlich tote Geliebte durch eine ihr ähnlich sehende Frau „wiederbeleben“ will und nicht ahnt, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt, nur zweite Wahl – Vera Miles musste wegen ihrer Schwangerschaft absagen. In dem tiefenpsychologischen Höhenangst-Thriller voller erotischer Anspielungen brillierte Novak in einer Doppelrolle als blonde Madeleine beziehungsweise rothaarige Judy. Die suggestive Musik Bernard Herrmanns unterstützt dabei ihr weltentrücktes Spiel, das sie endgültig als große Leinwandtragödin auszeichnete.

Auf der Brüsseler Weltausstellung 1958 als „beliebteste Schauspielerin des Globus“ gefeiert, setzte Novak ihr Image in Of Human Bondage (Ken Hughes, 1963) aufs Spiel: mit der Rolle der selbstsüchtigen Mildred, die den von Laurence Harvey verkörperten liebeskranken Medizinstudenten Philip Carey fast um den Verstand bringt. Bette Davis und Eleonor Parker hatten mit ihren Interpretationen in den ersten beiden Leinwandadaptionen von W. Somerset Maughams autobiografisch gefärbtem Entwicklungsroman darstellerische Ausrufezeichen gesetzt, und viele Kritiker trauten Novak im Vorfeld eine derart komplexe Charaktergestaltung nicht zu. Doch entgegen aller Prognosen übertraf sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Vorgängerinnen.

Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere begann sie eine Affäre mit Sammy Davis jr. Dass dieser nicht nur schwarz, sondern auch verheiratet war, verursachte einen gewaltigen Skandal, und angeblich beendete der streng über seine Technicolor-Eurydike wachende Harry Cohn die Liebesgeschichte mit Mafia-Hilfe. (Zehn Jahre später folgte ihre – verspätete – Abrechnung mit Cohn & Co. in Robert Aldrichs The Legend of Lylah Claire. Der Film wurde ein Flop.)

Danach kehrte sie dem Filmgeschäft längere Zeit den Rücken. Erst in den 70er und 80er Jahren trat Novak, die auch eine ambitionierte Hobbybildhauerin war, wieder sporadisch vor die Kamera. In All-Star-Movies wie Just a Gigolo (David Hemmings, 1979) oder The Mirror Crack’d (Guy Hamilton, 1980) sowie als skrupellose Kit Marlowe (!) in der Fernsehserie Falcon Crest entfaltete sich nochmals der Glamour von einst. In Mike Figgis’ Liebestraum hatte Kim Novak 1991 ihren bislang letzten Leinwandauftritt, sechs Jahre später wurde ihr auf der Berlinale der „Ehrenbär“ für ihr Lebenswerk verliehen. Bei einem Interview im Vorfeld fragte die noch immer blendend aussehende Schauspielerin selbstironisch: „Muss ich da ein Abendkleid mitnehmen?“ Annehmbare Altersrollen bietet man ihr nicht an, also wird es vorerst kein Kino-Comeback geben. Schade.