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Dokumentarfilm in Österreich – Ruth Beckermann und Arash im Dialog

Das Geheimnis des Familienfilms

| Anchalee Chaiworaporn |

Ruth Beckermann und Arash sprechen sehr persönlich miteinander über ihre neuen Arbeiten, über Traditionen und Intentionen, über Religionen und Visionen.

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Dok.at ist die Interessensgemeinschaft österreichischer Dokumentarfilmschaffender in Österreich. Bei den regelmäßigen Treffen kam die Idee auf, die Gespräche über die eigenen Filme in Kooperation mit ray auch öffentlich zugänglich zu machen. Es wird über die gesellschaftspolitische Relevanz der Themen diskutiert, über den persönlichen Zugang und die Produktionsbedingungen.

Ruth Beckermann, deren Film Zorros Bar Mizwa den Initiationsritus von vier jüdischen Jugendlichen in unterschiedlich religiösen Familien schildert, und Arash, der in dem groß angelegten Familienfilm Exile Family Movie – Einmal Mekka und zurück mit seinen Verwandten, die im Iran und in alle Welt verstreut leben (müssen), über Exil spricht, trafen sich Anfang August im Wiener Café Prückel, um den ersten Schritt zu tun.

Zwei Filme, in denen Familien beschrieben werden: In Zorros Bar Mizwa wird eine jüdische Tradition fortgesetzt, ein Ritual begangen, in Exile Family Movie ein übliches islamisches Ritual benutzt, nämlich die Pilgerreise nach Mekka, um etwas Unübliches, etwas Verbotenes zu tun: sich zusammen zu finden.

Mit dem Abdruck dieses Gesprächs startet ray eine lose Serie von Gesprächen über Dokumentarfilme.

Anja Salomonowitz: Ruth, du hast mir erzählt, dass dein Film von einem iranischen Filmfestival angefragt wurde und Arash, du hast auf der Diagonale gesagt, dass ein israelischer Fernsehsender deinen Film kaufen wollte?
Arash: Ja, die haben ihn schon gekauft. Ich finde es schon interessant, dass ein israelischer Sender einer der ersten ist, der den Film gekauft hat. Was wäre, wenn wir den Film dort zeigen würden? Auf einem Festival? Würde ich hinfahren? Das waren meine Gedanken am Weg hierher. Ich weiß es nicht, ich kann mich nicht entscheiden. Ich weiß nicht, für welche Art von Propaganda mein Film benutzt werden wird. Und wofür sie deinen Film, Ruth, jetzt zum Beispiel im Iran benützen werden? Ich halt mich einfach lieber raus (lacht).

Ruth Beckermann: Ich glaube, es wäre leichter für dich, nach Israel zu fahren, als für mich in den Iran.

Arash: Das glaub ich nicht. Wenn ich jemals in den Iran will, was ich ja nicht vorhabe, dann ist das tödlich, wenn ich einmal in Israel war, weil dann bin ich für die iranische Regierung nicht nur ein Verräter, sondern auch sofort als israelischer Spion abgestempelt.

Beckermann: Als ich hierher gegangen bin, mit dieser ganzen Kriegssituation im Libanon im Kopf, hab ich mir gedacht, ich find das einfach so völlig normal, dass wir hier sitzen und reden. Da ist mir eingefallen, dass in alten Zeiten, also so um 500 vor Christus, nach der Zerstörung des Tempels, Perser und Juden ziemlich gute Beziehungen miteinander hatten. Der persische König hat die Juden zurückgeschickt nach Jerusalem und ihnen sogar Geld gegeben, um den Tempel wiederaufzubauen. Eigentlich würde ich jetzt gerne einen Film im Iran drehen, wo genau diese uralten Geschichten vorkommen. So ein altes Drama. Das im Iran zu drehen geht natürlich im Moment nicht. Für mich schon gar nicht.

Arash: Ich hab keine Ahnung, was sie jetzt im Iran zeigen können, zum Beispiel Filme, wo Frauen drinnen sind, die ohne Kopftuch sind, bei denen man Haare sieht oder wo man Arme sieht oder die tanzen… Ich hab keine Ahnung ob das geht oder nicht. Ich denke, solange sie keine Moslems sind, geht’s. Natürlich in Grenzen.

Beckermann: Ich würde jedenfalls nicht hinfahren, solange dort der Präsident sagen darf, er sei für die Vernichtung Israels und den Holocaust leugnet, also… es würde mich wahnsinnig interessieren hinzufahren und Leute kennen zu lernen, die anders denken, aber ich würde mich fürchten!

Ich geh mal zum nächsten Punkt. Man macht ganz private Filme, weil sie die Menschen berühren und genau durch diese Berührung etwas bewirken können, das heißt, man nimmt etwas ganz Privates, erzählt aber damit eigentlich etwas Politisches oder will damit eine Veränderung bewirken?
Beckermann: Ich will  nichts Großes bewirken, sondern die Aufmerksamkeit auf eine Facette des Lebens lenken. Vor Zorro 
habe ich mich eher für den öffentlichen Raum interessiert. In Jenseits des Krieges zum Beispiel ist es der Raum einer Ausstellung, in den die Leute kommen, oder in homemad(e) eine Straße und ein Kaffeehaus in Wien. Wie sich die Menschen auf dieser Bühne der Öffentlichkeit bewegen, habe ich beobachtet. Jetzt wollte ich ausprobieren, wie das ist, in die Wohnungen hineinzugehen. Ich befürchtete, dass dieses Dispositiv für den Dokumentarfilm langweilig ist; wenn die ganze Familie schon im Wohnzimmer sitzt, was kann da noch passieren?
Und als ich jetzt diesen Film gemacht hab, wo ja vier Familien vorkommen, unglaublich viel Personal, bin ich draufgekommen, dass mit den Zuschauern etwas passiert, was nur im Dokumentarfilm passieren kann: Die Zuseher beginnen zu phantasieren, wie diese Menschen zu einander stehen und miteinander sind. Zum Beispiel „Wieso hat sich diese Frau diesen Ehemann ausgesucht?“ Das kann natürlich nur im Dokumentarfilm geschehen, denn sonst, bei Schauspielern, denkst du dir: besser oder weniger gut gecastet.

Arash: Ich hab da einen anderen Zugang. Ich möchte nicht einfach nur zeigen, mein erklärtes Ziel ist es, ein Bewusstsein zu schaffen für etwas Anderes.
Weißt du, wenn du irgendwo in einem Restaurant sitzt und du siehst  eine ausländische, dir fremde Familie, dann stellst du dir irgendwelche Geschichten vor. Du phantasierst über sie. Ich erzähl meine Geschichte gleich, für die, die dann mich von ihrem Tisch aus sehen und sich denken: „Was hat der wohl für eine Geschichte“.
Und: Iraner im Exil haben Angst vor der iranischen Regierung, hier immer noch. Es hat Ermordungen gegeben von politischen Gegnern, in Paris, in Wien, in Deutschland – der Iran ist ja beim so genannten „Mykonos-Prozeß“ in Deutschland zum Staatsterror verurteilt worden.
Ich möchte mit meinem Film auch versuchen, der iranischen Community Mut zu machen, ihre Geschichten mitzuteilen.

Beckermann: In den letzten Jahren kommen Juden ja eigentlich hierzulande nur entweder in Zusammenhang mit Shoa oder mit Israel vor. Ich wollte einmal einen Film über lebende Juden, jetzt und hier, machen. Und nicht über Alte, sondern über Jugendliche. Die Menschen sollen doch sehen, dass wir noch leben, und sehr verschiedenartig leben!
Diese vier Familien sind ja wirklich ziemlich unterschiedlich.

Arash: Und wie lang hast du dich mit diesen Familien getroffen, wie hast du sie kennen gelernt?

Beckermann: Zuerst kannte ich den André, der diese Bar Mizwa-Filme macht, die Videoclips, die dann auf der Feier aufgeführt werden oder die zur Erinnerung gemacht werden. Er hat mich  zu den verschiedenen Familien führt. Ich hätte nicht direkt einen Film über dieses Ritual gemacht, das wäre mir zu ernsthaft und zu direkt gewesen. Ich bin ja kein religiöser Mensch und kann dieses Ritual auch nur mit einem gewissen Amusement sehen. Dass Andrés Kamera oft vor meiner Kamera war, hat mir die Möglichkeit eröffnet, einen Schritt zurückzutreten und einen distanzierteren Blick auf das Geschehen zu werfen.
Ich war schließlich selbst überrascht, wie vielfältig die Wiener jüdische Community ist: von ganz assimiliert bis orthodox, wo die Männer unter sich sind und die Frauen hinter den Bäumen versteckt tanzen…

Arash: Das ist bei den Moslems im Iran auch so. Da sind die Männer manchmal in dem einen Raum und die Frauen tanzen im anderen Raum dann ohne Kopftuch.

Arash, auf dem Plakat Cover von Exile Family Movie ist deine Schwester zu sehen mit diesen drei schwarz verhüllten Frauen. Du nimmst diese Ingredienzen und alle aufgeladenen Vorurteile und erzählst eine ganz andere Geschichte.
Arash: Danke! Ich hab meine eigenen Vorurteile genommen und versucht heraus zu finden, was davon stimmt. Das ist vielleicht, weil ich mich zu keinem von diesen religiösen Symbolen oder Riten explizit hingezogen fühle. Es war interessant  für mich, die verschiedenen Typen und Einstellungen zur Religion kennen zu lernen von meiner Familie selbst, den Bush Anhänger zum Beispiel. Ich war ja selber auf der Suche: wie ist das jetzt, wer bin ich jetzt, zu welcher Kultur fühle ich mich wirklich hingezogen, bin ich ein Sozialist, ein wirklicher Demokrat oder glaube ich nur, dass ich ein Demokrat bin?

Und Ruth, du bist sehr intim mit diesen Familien. Das hat mich vorhin gewundert, als du gemeint hast, du kanntest die Familien nicht.
Beckermann: Ich hab eigentlich nur eine Familie gekannt, weil der Sohn, Tom, mit meinem Sohn im Kindergarten war. Es war schwierig, einen Film mit Jugendlichen zu machen. Ja. Weil man sich in diesem Alter meistens unsicher fühlt und sich auch verbal noch nicht so gut ausdrücken kann. Es war eine Herausforderung, einen Einblick in dieses Alter der Adoleszenz zu geben. Im Dokumentarfilm hast du es ja meistens mit älteren Leuten zu tun, die schon etwas erzählen können über ihr Leben.

Arash: Hast du viel nachgedreht? Ihr habt ja während der langen Drehzeit schon geschnitten, so wie ich.

Beckermann: Ich hab die orthodoxe Familie erst ziemlich zum Schluss gedreht, da hatte ich schon die anderen drei Familien, und wir haben den Film schon ziemlich geschnitten gehabt und ich hab mir gedacht, eigentlich funktioniert das so auch. Brauch ich noch eine vierte? Dann hat sich das aber ergeben und ich finde, dass Moishy und seine Familie den Film sehr bereichern. Also eigentlich wäre die Antwort „nein“. Und du?

Arash: Bei mir war ja der Film nicht von Anfang an geplant. Nach der Reise nach Saudi Arabien hab ich mir das Material angeschaut und gemerkt, dass es was werden könnte.
Dann hab ich mir die Dramaturgie überlegt. Ich musste natürlich die Zeit vor Saudi-Arabien, die ich ja nicht so bewusst gefilmt hatte, auch erzählen und die Personen vorstellen, die im Film später vorkommen werden.
Mein Vater zum Beispiel musste ziemlich stark als Figur präsent sein, weil er ja eigentlich die meiste Zeit im Film gar nicht vorkommt, trotzdem aber den Film trägt. Und meine Mutter, die Verwandten in Amerika, man musste die alle kennen lernen, damit das überhaupt funktioniert. Von hinten heran. Das Herzstück war da, aber es musste noch eingebettet werden.

Und hat sich deine Familie nicht manchmal lustig gemacht über dich? Das nicht ernst genommen? „Jaja, du machst einen richtigen Film über uns …“
Arash: Ja! In unserer Familie filmen viele Leute und die Kameras sind ständig da. Meine Kamera war ja auch so eine kleine Kamera.
Aber die Konsequenz, dass ich da wochenlang fast immer gedreht hab, war die, dass sie zum Beispiel meine Schultern massieren wollten, weil sie sich Sorgen machten, dass mir der Arm schon wehtun müsse. Sie gehen auch ganz unterschiedlich mit dem Ergebnis um. Ich hatte vorher mit ihnen ausgemacht, dass sich alle den Film anschauen können, bevor ihn jemand Anderer sieht. Manche sehen den Film als Vermächtnis, denn es sind drei Personen gestorben, seit ich begonnen habe zu filmen. Die anderen sehen es als politisches Statement, das ist schon interessant.

Beckermann: Ich finde es immer ein bisschen seltsam, in einem kleinen Land wie Österreich als Minderheit so einen Film über eine Minderheit zu machen.

Arash: Man fühlt sich ein bisschen als Quotenperser. Obwohl – mein Bruder kommt ja jetzt auch, es gibt dann zwei von uns. Aber ich möchte nicht nur Filme machen über mein Leben und meine Leute. Ich werde sicher einmal einen Science-Fiction-Film machen. Ich habe auch nichts dagegen, wenn ich ein Super-Action-Drehbuch kriege.

Beckermann: Aber es ist ja legitim, die Themen, die dich interessieren, sind ja die Themen aus deinem Leben. Fellini hat immer den gleichen Film gemacht in verschiedenen Formen, ich find, da muss man sich gar nicht dafür entschuldigen.

Arash: Ich hab auch lang überlegt wegen des Titels Exile Family Movie. Der Grund war, dass ich mir gedacht hab: Familienfilm, „family movie“, das klingt so Hollywood-mäßig, so locker flockig mit Kindern und Hund und ganz gemütlich … und in meinem Film kommen ja auch Hunde vor und Kinder, aus einem anderen Blickwinkel, quasi. Und „Exile“ passt halt so gar nicht zum Familienfilm …

Beckermann: Der Titel ist sehr gut.

Zorros Bar Mizwa gefällt mir auch!
Ruth: In der Zwischenzeit hat mich schon jemand gefragt: „Was, der Zorro war auch Jude?“

Folgendes Mail schickte der Rechte-Inhaber des „Zorro“-Labels auf die Anfrage von Ruth Beckermann, den Titel benutzen zu dürfen:

Ruth,

I am most pleased to approve of this. I am Jewish, myself, and I like to tell people that Zorro is also. I tell them that he is a morrano (secret Jew after the Spanish Inquisition). My reasoning is that Zorro (a) has a secret identity; (b) he goes down into a secret cave on Friday nights where he lights candles; (c) he wears a cape which is basically a talit; (d) he is dedicated to tikkun olam (the salvation of the world).

Best, John


 

Exile Family Movie von Arash wurde mit dem Großen Diagonale-Preis ausgezeichnet und startet am 29. September.

Zorros Bar Mizwa von Ruth Beckermann wird bei der Viennale uraufgeführt und läuft voraussichtlich im Dezember regulär in den Kinos an.