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The Black Dahlia – Verlorene Seelen

Verlorene Seelen

| Jörg Schiffauer :: Thomas Abeltshauser |

Mit „The Black Dahlia“ taucht Brian De Palma in die düsteren Abgründe James Ellroys ein.

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Kino ist Licht, das erst bei einem gewissen Grad an Finsternis die Leinwand zum Leuchten bringt. Auch das strahlende Filmbusiness selbst hat seine Schattenseiten, und damit setzen sich in den nächsten Monaten gleich mehrere Hollywoodproduktionen auseinander. Den Anfang macht Brian De Palmas Noir-Thriller The Black Dahlia, der auf einem bis heute unaufgeklärten Mord an einem Starlet im Jahr 1947 basiert. Das Opfer, Elizabeth Short, war eine 22-jährige Schönheit aus Massachussetts, die nach Los Angeles kam, um in der Traumfabrik ihr Glück zu finden. Ihr betont laszives Autreten unterstrich sie, indem sie Haare und Kleider bevorzugt schwarz trug, was ihr in der Statistenszene den Spitznamen „Black Dahlia“ eintrug. Brian De Palma zeigt Elizabeth fast ausschließlich über als Beweismaterial sichergestellte Probeaufnahmen, die das Mädchen in der  Hoffnung auf eine Hollywoodkarriere absovieren musste, und die neben der Erfolglosigkeit vor allem die psychischen Demütigungen aufzeigen, die Elizabeth Short dabei über sich ergehen lassen muss. Nach dem Zerplatzen ihrer Filmträume gleitet sie in die Pornografie ab, wo die Erniedrigungen physische Dimensionen annehmen. Und schließlich spielt sie jene tragische Rolle, die sie doch noch berühmt werden lassen sollte: als Opfer eines Verbrechens, dessen Grausamkeit selbst die abgebrühten Cops des L.A. Police Department erschüttert. Ihre entstellte Leiche wird im Straßengraben einer zwielichtigen Gegend aufgefunden, der Körper in zwei Hälften zerteilt, ausgeweidet und ausgeblutet wie Schlachtvieh, und, um die zynische Brutalität der Tat zu illustrieren, das Gesicht zu einer blutig grinsenden Maske verstümmelt.

Ein Mord wird zum Mythos

James Ellroy, traumatisiert durch den Mord an seiner Mutter, schuf 1987 vor dem Hintergrund des Black-Dahlia-Falles seinen gleichnamigen Roman mit etlichen fiktionalen Figuren, der schnell einen eigenen Mythos entwickelte. Es sollte der erste Teil seines Los Angeles Quartetts werden (Nummer 3, L.A. Confidential, wurde 1997 von Curtis Hanson verfilmt). Die Rechte waren schnell verkauft, doch dann verstrichen bis zum Kinostart fast zwei Dekaden, in denen Regisseure wie etwa David Fincher und unzählige Drehbuchadaptionen kamen und gingen.

Bis der Name Brian De Palma auftauchte, der in Verbindung mit James Ellroy wie ein wahr gewordener Kinotraum klang: Zwei Männer, die sich auf ihre ganz subjektive Art mit Obsessionen um Gewalt, Sex und Weiblichkeit auseinandersetzen –  und nicht zuletzt auch mit dem Mythos Hollywood. Die Erwartungen waren entsprechend hoch, doch das Ergebnis könnte prädestiniert dafür sein, ambivalente Reaktionen  hervorzurufen. The Black Dahlia ist zunächst hervorragendes Genrekino,  eine gelungene Retro-Inszenierung, die als ausgezeichnete Hommage an den Film noir funktioniert. Die Ästhetik des Genres wird von Kostüm und Ausstattung stilsicher getroffen (wobei Los Angeles in einem bulgarischen Studio nachgebaut wurde), es wird viel geraucht, und selbst das Filmmaterial wirkt sepiafarben verblasst.

De Palmas Inszenierung versucht nicht, den labyrinthartig verlaufenden Plot der literarischen Vorlage zugunsten einer  stringenten, mainstream-gerechten Erzählstruktur geradezu- biegen. Stattdessen werden die vielfältigen Handlungsstränge wie ein Mosaik zusammengesetzt, das streckenweise lose, fast episodenhaft wirkt und erst am Schluss den Blick auf des vollständige Bild zulässt. Ein solcher Erzählduktus kann Erwartungen an das Genre zuwiderlaufen, was etwa die dichte Spannung betrifft, die über L.A. Confidential liegt. Dafür entwickelt The Black Dahlia eine zunächst langsam, aber  immer unausweichlicher um sich greifende, düstere, fiebrige Atmosphäre, die so charakteristisch für Ellroys Romane ist. Der Vorwurf der überzogenen Stilisierung, der De Palma von manchem Kritiker immer wieder gemacht wurde,  kann bei seinem neuen Film nicht erhoben werden. Zwar ist The Black Dahlia in jeder Einstellung präzise komponiert, doch dient die Inszenierung vor allem dem Generieren der erwähnten kongenialen Atmosphäre.  Und auch typische De-Palma-Sequenzen finden sich wieder: etwa in einer entfesselten Kamerafahrt von einer Schießerei über Hausdächer hinweg, die in jenem Straßengraben endet, in dem die zerstückelte Frauenleiche liegt oder der elaboriert komponierte Schusswechsel in einem Treppenhaus – in seiner Schwindel erregenden Auflösung eine Hommage an Vertigo. Der zu Beginn seiner Karriere oft als Hitchcock-Epigone apostrophierte De Palma zitiert diesen Psycho-Thriller, in dem Kim Novak ihre Identität tauscht, nicht grundlos: Auch in The Black Dahlia wimmelt es von Doppelgängern, Spiegelungen und Täuschungsmanövern.

Ellroys dunkle Welten

Die beiden Polizisten, die auf den Fall angesetzt werden, kennen
sich bereits aus vergangenen Boxertagen, als die beiden noch unter ihren Spitznamen  „Fire“ und „Ice“ besser bekannt waren. Lee Blanchard (Aaron Eckhart) ist ein Hitzkopf und Benzedrin-User, der zusehends obsessiver agiert in seinem Verlangen, alles über den Mordfall herauszufinden. Bucky Bleichert (Josh Hartnett), der ruhigere, fast introvertiert Auftretende, erscheint wie der Prototyp eines Ellroy-Charakters, nicht unähnlich dem des Bud White aus L.A. Confidential. Als solcher muss er sich in einer Welt zurechtfinden, in der amoralisches Verhalten die Regel ist, und die von Gier, Opportunismus, Gewalt und eiskalter Gefühllosigkeit bestimmt wird. Vertrauen kann man in einer solchen Welt ohnehin niemandem, selbst die engsten Vertrauten können dunkle, gefährliche Geheimnisse verbergen. Als typischer Ellroy-Protagonist hat Bleichert längst keine Ideale mehr, er ist ein zusehends einsamer, isolierter „Held“, der sich, im Gegensatz zu seiner Umwelt, wenigstens noch einen Restinstinkt für moralische Werte bewahrt hat. Jener Rest an Anstand führt auch dazu, dass Bucky hin- und hergerissen wird zwischen seiner Loyalität zu Lee und seiner Liebe zu dessen Freundin Kay Lake (Scarlett Johansson), während er versucht, den Überblick über den immer mysteriöser  und verwickelter werdenden Mordfall zu behalten. Und doch nicht verhindern kann, immer tiefer in diesen hineingezogen zu werden. Als er bei seinen Recherchen in einer Lesben-Bar auf die mysteriöse, dunkle Schönheit Madeleine Linscott (Hilary Swank) trifft, ist er ihr, nicht zuletzt wegen ihrer Ähnlichkeit zur ermordeten Elizabeth Short, erlegen. Die beiden Frauen hatten ein anstößiges Verhältnis, Elizabeth wurde in Madeleines ebenso prominenter wie grotesk-durchgeknallter Familie willkommen geheißen. Doch was wusste diese von ihrer Ermordung?

Die Frauenfiguren besitzen in The Black Dahlia symbolträchtigen Charakter. Hilary Swanks dunkelhaarige, abgebrühte Femme-Fatale-Figur repräsentiert dabei die dunkle, abgründige Seite, die in James Ellroys Welt eine so dominierende Rolle einnimmt. Scarlett Johansson, strahlend blond und stets in helle Farben gekleidet, erscheint fast wie eine Figur von märchenhafter Unschuld (die sie, natürlich, möchte man hinzufügen, nicht ist), bei der die beiden Cops die einzige Zuflucht vor einer brutalen, unerbittlichen Wirklichkeit zu finden scheinen. Aaron Eckhardt überzeugt als fanatischer Polizist, getrieben von seinen eigenen, inneren Dämonen, während Josh Hartnett seinen Part nicht mit derselben Souveränität zu meistern versteht. Dabei käme Bucky Bleichert eigentlich besondere Bedeutung bei; er spricht als eigentlicher Protagonist des Films doch auch den intensiv eingesetzten Offkommentar.

Dieser Offkommentar steht in guter Film-noir-Tradition und passt damit perfekt in die Inszenierungsstrategie. Denn das Selbstreferenzielle des Hollywoodkinos wird hier, ähnlich wie in den demnächst anlaufenden Produktionen Hollywoodland von Allen Coulter über den mysteriösen Tod des TV-Superman-Darstellers George Reeves und David Lynchs halluzinatorischem Inland Empire, nicht nur auf der narrativen Ebene, sondern auch in der Inszenierung aufgegriffen. Die Erzählebenen wechseln zwischen der innerfilmischen Wirklichkeit des Jahres 1947 und den Schwarzweiß-Screentests und Nudies von Elizabeth Short, in denen sich ein unsicheres, naives Mädchen als verruchte Göre zu inszenieren versucht und sich dabei nur zum Sexualobjekt degradieren lässt. Diese Szenen gehören in ihrer hilflosen Traurigkeit zu den stärksten des Films. Den Ton angebenden Regisseur hinter der Kamera dieser Filmchen-im-Film spricht De Palma selbst. In bester Hitchcock-Manier schafft er es so, den Zuschauer zu manipulieren und ihm diese Manipulation zugleich als dem Kino inhärent vor Augen zu führen.

Dass der Auflösung des Kriminalfalls schlussendlich nicht jene Bedeutung zukommt, wie man das traditionellen Erzählkonventionen zufolge vielleicht erwarten würde, erscheint nicht unlogisch. Welches der vielen menschlichen Ungeheuer, die in den Welten Ellroys und De Palmas beheimatet sind, tatsächlich zugeschlagen hat, spielt letztlich nur eine untergeordnete Rolle. Die Wahrheit um den realen Black-Dahlia-Mythos bleibt ohnehin weiter im Dunkeln.