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Berliner Schule – Gepflegte Monotonie

Berliner Schule – Gepflegte Monotonie

| Bettina Schuler |

Eine neue Generation von Filmemachern, die so genannte „Berliner Schule“, widmet sich erfolgreich der deutschen Alltäglichkeit.

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Nicht alle Feiern müssen so enden wie die des Filmmoguls Clutterbuck (Stephen Liss), der vom Partyschreck höchstpersönlich heimgesucht wird. Und in dessen Haus nach dem Besuch von Hrundi V. Baskhi alias Peter Sellers so ziemlich alles renovierungsbedürftig ist, was nicht aus Beton besteht. Doch ein bisschen Tumult gehört bei einer ordentlichen Party schon dazu. Die Mittzwanziger in Ulrich Köhlers Kurzfilm Rakete hingegen scheinen von ausschweifenden Partys nicht allzu viel zu halten: Gelangweilt sitzen zwei schon reichlich zerstörte Pärchen auf einer Treppe, die ein klassisches deutsches Vorstadtreihenhaus in zwei Etagen teilt. Von Energie und jugendlichem Tatendrang ist hier nichts zu spüren, stattdessen beherrschen Stille und Langeweile den Raum. Selbst der schlaksige Bursche und das Mädchen mit der dunklen Perücke, die jetzt lieber alleine wären, obwohl sie nicht zusammen gehören, haben keine Kraft, sich in ein neues Beziehungsabenteuer zu stürzen. Sie haben sich schon zu sehr mit der Situation abgefunden. Und so bleibt alles wie gehabt – trotz des flüchtigen Kusses am Treppenabsatz.

Diese Lethargie kennzeichnet einen Zustand, den man immer wieder in den Arbeiten einer neuen Generation von Filmemachern antrifft, die gerne unter dem Begriff „Berliner Schule“ zusammengefasst werden, dies wohl, weil die Älteren unter ihnen, wie Christian Petzold (Gespenster), Thomas Arslan (Dealer) und Angela Schanelec (Marseille), an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin studiert haben und die meisten von ihnen – wie etwa auch die aus München stammenden Christoph Hochhäusler und Benjamin Heisenberg – mittlerweile in Berlin wohnen. In Frankreich schon lange als „Nouvelle Vague Allemande“ gefeiert, wurden zwei ihrer Filme, Hochhäuslers Falscher Bekenner und Heisenbergs Schläfer, 2005 bei den Filmfestspielen in Cannes in der Sektion Un Certain Regard gezeigt. Und auch in Deutschland scheint nun dank der Jüngeren um Hochhäusler und Heisenberg, die man auch als zweite Generation bezeichnen könnte, das Interesse an den neuen deutschen Filmen geweckt.

Perfide Alltäglichkeit

Es gibt kein Manifest, das diese Filmemacher wie bei den dänischen Dogma-Regisseuren an eine bestimmte Ästhetik bindet, eher ein zufälliger ähnlicher filmischen Blick auf ihre Heimat Deutschland und insbesondere bei der Gruppe um Hochhäusler ein Interesse an denselben Themen. Es sind Filme, die für die einen – insbesondere besagte Franzosen und diverse Kritiker – für einen Aufbruch in der deutschen Filmlandschaft stehen, und von anderen, etwa vom Kollegen Oskar Roehler (Elementarteilchen), als trist und spröde bezeichnet werden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Es geht Petzold, Hochhäusler oder auch Valeska Grisebach, die in ihrem aktuellen Film Sehnsucht die Geschichte einer Dreiecksbeziehung in der ostdeutschen Provinz in Szene setzt, nicht darum, ihre Figuren zu psychologisieren oder die vermeintlich großen Kino-Geschichten zu erzählen. Vielmehr befassen sich die Filmemacher mit dem Zwischenmenschlichen, den kleinen alltäglichen Katastrophen und perfiden Plänen, die jeder kennt und die ihre Filme so schlicht erscheinen lassen. Doch gerade diese scheinbar unspektakulären Alltagsgeschichten, die meistens im Idyll Familie spielen, fangen besser als jeder Dokumentarfilm die Stimmung ein, die im heutigen Deutschland herrscht. Damit gelingt ihnen etwas, was vielen deutschen Regisseuren, die lieber von der Gegenwart in die deutsche Vergangenheit flüchten, partout nicht gelingen mag: eine Bestandsaufnahme des Ist-Zustands, insbesondere der desillusionierten Jugendlichen und Mittdreißiger. Die vor allem eines verbindet: die Ratlosigkeit, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen.

Die Älteren, noch in der wirtschaftlichen Hoch-Zeit aufgewachsen, haben sich schon mit dem Konzept Familie abgefunden und ahmen das Leben ihrer Eltern nach. Post 1968 scheint es nichts mehr zu geben, gegen das zu rebellieren sich lohnt. Die Eltern sind einfach zu aufgeklärt, selbst der Kalte Krieg, gegen den sie in den Achtzigern in der Friedensbewegung noch aktiv werden konnten, ist passé, und die Regierung höchstpersönlich setzt sich für ein atomkraftfreies Deutschland ein. Sie wohnen, wie in Ulrich Köhlers Montag Kommen die Fenster oder in Christoph Hochhäuslers Milchwald, in der Vorstadt-Reihenhaus-Idylle, in der die Welt noch in Ordnung scheint. Doch schon der Zustand ihrer Häuser, die sich immer noch im Bau befinden, verweist auf ihre Unausgeglichenheit. Auch wenn sich ihr Leben in geordneten und vorgezeichneten Bahnen bewegt, ist doch alles nur provisorisch, das vermeintlich endgültige Lebenskonzept eine ewige Baustelle, das Haus noch kein Heim. Sie alle drohen am Anspruch einer intakten Familie zu zerbrechen, ihre Kinder sind mehr Bestätigung als Freude, eine oft lästig eingegangene Pflicht. In Milchwald sind es noch nicht mal die eigenen, sondern die des Lebensgefährten, die Silvia (Judith Engel) in den Wahnsinn treiben und die sie restlos genervt einfach an der Straße aussetzt. Und die ihr schlussendlich zeigen, dass die Entscheidung für Familie und Vorstadt wahrscheinlich doch nicht die Richtige für sie ist. Auch in Montag Kommen die Fenster ist der Bezug des eigenen Hauses, der letzte Schritt in Richtung Bürgerlichkeit, Auslöser für Ninas (Isabelle Menke) Flucht. Job, Familie, Haus: Alles scheint für die nächsten Jahre vorgezeichnet. Doch statt Freude und Erleichterung empfindet sie nur Langeweile. Selbst ihr verzweifelter Ausbruchsversuch scheitert an Alternativlosigkeit. Und so kehrt Nina, obwohl sie weiß, dass dies nicht das richtige Lebenskonzept für sie ist, ins traute Heim zurück.

Idyll und Gefängnis

Die Jugendlichen in Henner Wincklers Lucy hingegen glauben noch an das Glück der Familie und versuchen sich daran zu orientieren. Wie die 18-jährige Maggy (Kim Schnitzer), die sich rührend um ihre neugeborene Tochter Lucy kümmert, obwohl sie auch lieber in der Disco wäre. Und die, statt bei ihrer Mutter zu bleiben, wo es ein Leichtes für sie wäre, eine Lehre anzufangen oder einfach noch ein bisschen ihre Jugend zu genießen, Hals über Kopf mit ihrem neuen Freund Gordon (Gordon Schmidt) zusammenzieht, um Papa-Mama-Kind zu spielen. Im Gegensatz zu Bruno (Jérémie Renier) aus dem Film L’Enfant der Brüder Dardenne, der sowohl thematisch als auch ästhetisch Wincklers Lucy sehr nahe steht, bemüht sich auch Gordon um das Familienidyll. Doch am Ende müssen beide einsehen, dass dieses scheinbare Ideal das reinste Gefängnis für sie ist. Und so trennen sie sich, ohne Alternative in der Hinterhand, und leben einfach weiter wie gehabt, solange das Geld eben reicht.

Auch Armin (Constantin von Jascheroff) aus Christoph Hochhäuslers Falscher Bekenner ist auf der Suche nach dem richtigen Weg. Von der Aufmerksamkeit seiner Familie erdrückt, sucht er nach einer Nische, die ihn aus seiner gesellschaftlichen Unsichtbarkeit katapultiert, ohne dabei wirklich Initiative ergreifen zu müssen. Weder politische Revolte noch eine steile Karriere, wie es durch eigene Ideen und Konzepte in den boomenden 90er Jahren noch möglich war, sind für ihn eine wirkliche Alternative. Und so beginnt er anonyme Briefe zu verfassen, in denen er sich zu Taten bekennt, die er nicht begannen hat – denn selbst dazu fehlt ihm die Kraft. Ähnlich wie bei Paul (Lennie Burmeister) in Ulrich Köhlers Bungalow, der sich unerlaubt von seiner Bundeswehrtruppe entfernt, ist sein Verstoß gegen das Gesetz kein politisches Statement, sondern geschieht aus einer gewissen Langeweile und Orientierungslosigkeit heraus.

„Langweile ich dich eigentlich?“, fragt Frieder (Hans-Jochen Wagner) Nina in Montag Kommen die Fenster, nachdem sie abgehauen ist. Ihre Antwort ist kurz und bündig: „Ja!“ Trotzdem kehrt sie am Ende zu ihm und ihrem alten Leben zurück – nicht als reumütige Ehefrau, die auf ihrer Reise gelernt hat, ihr altes Leben zu schätzen, sondern völlig lustlos und unmotiviert. Ihr fällt eben nichts Besseres ein.

Das sind keine großen Geschichten voller Hass, Revolten oder Liebesschwüren, sondern ein Abbild des grauen deutschen Alltags, in dem Lethargie, Langeweile und Antriebslosigkeit selbst das Leben derjenigen bestimmen, die eigentlich mit einem „Uns gehört die Welt“-Gefühl ins Leben stürmen müssten. So imitieren sie, gesättigt durch die verständnisvollen Eltern, zu denen sie immer ins sichere Nest flüchten können, lieber alte bekannte Muster, als sich auf das Abenteuer Leben einzulassen und sich aus ihren eigenen Erfahrungen ein Lebenskonzept zu basteln. Bloß kein Risiko eingehen. Statt Bewegung und Innovation beherrschen Stillstand und Monotonie die deutsche Gesellschaft. Diesen Zustand filmisch zu beschreiben: Das ist ziemlich spektakulär.