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Borat – Bildung oder Baywatch

Bildung oder Baywatch

| Ritchie Pettauer |

Wer Ali G mag, der wird auch Borat mögen, die zweite bekannte
Kunstfigur des britischen TV-Komikers Sacha Baron Cohen. Wer beide nicht kennt, der kann zumindest dem Fake-Kasachen jetzt im Kino begegnen.

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Sacha Baron Cohens „kasachischer Reporter“ Borat geht auf seine bisher weiteste Reise. Von seinem kleinen Heimatdörfchen im verschlafenen Kasachstan, wo Mensch und Vieh friedlich die Schlafstatt miteinander teilen, bricht der Star des staatlichen Fernsehens zu einem Abenteuer auf, das sich zu einer veritablen dramatisch-komischen Odyssee entwickelt. Der Bildungsauftrag treibt den Moderator in die USA – er soll dort Eindrücke sammeln und eine Dokumentation drehen, aus der Kasachstan für seine zukünftige Entwicklung lernen soll. Begleitet wird er von einem Kameramann und seinem anfangs getreuen, später jedoch umso abtrünnigeren Produzenten Azamat Bagatov.

Coming to America

Katastrophen sind von dem Moment an vorprogrammiert, als der blauäugige Pechvogel amerikanischen Boden betritt. Zuerst noch ausschließlich an der Erfüllung seines kulturellen Auftrages interessiert, verlagert sich der Schwerpunkt von Borats Suche blitzartig, als er Videos und Fotos von Pamela Anderson zu Gesicht bekommt. Quer durch die USA führt der Trip, der schließlich im Heiratsantrag an die Baywatch-Nixe gipfeln soll. Doch bis Borat die Autogrammstunde seiner Angebeteten stören kann, muss er sich durch eine Serie selbstverschuldeter peinlicher Situationen manövrieren und moderieren – was dem selbstsicheren Kasachen zumindest in seiner eigenen Wahrnehmung stets brillant gelingt.

„Cultural Learnings of America for Make Benefit Glorious Nation of Kazakhstan“ – schon der Untertitel des Films lässt vermuten, dass die Geschichte des hier präsentierten halb fiktiven Landes nur eine Geschichte voller Missverständnisse sein kann. Dass eine erfolgreiche Fernsehfigur zum Protagonisten eines Spielfilms mutiert, ist per se nichts Neues doch während andere Spaß-TV-Formate ihren Fun-Faktor aus grotesker Übersteigerung oder gezieltem Durchbrechen von Lifestyle-Konventionen beziehen, bohrt Cohen dort, wo es wirklich schmerzhaft wird: Genau, gekonnt und analytisch-präzise sondiert der Brite kulturelle Konventionen und Verbindlichkeiten des Alltags, um sie dann genüsslich zu sezieren. Die Maske des naiven Borat steht ihm für diese Aufgabe perfekt zu Gesicht: Denn der vorgebliche Kasache präsentiert jede noch so hart jenseits der Grenze der Unerträglichkeit liegende Peinlichkeit mit einem nachhaltig um Verzeihung bittenden Gesichtsausdruck, der deutlich zu sagen scheint: „Ich bemühe mich ja, aber ich verstehe einfach nicht, warum ihr alle so konsterniert reagiert!“

In den besten Passagen des Films verweigert sich Borat dem genussvollen Verweilen an der Oberfläche der Harmlosigkeiten. Wenn Cohen seine perfekt einstudierte Naivität im nahezu sokratischen Sinne einsetzt, dann fungiert die Position des „unmöglichen“ Außenseiters als überdeutliche Projektionsfläche für die Neurosen der Gesellschaft. Als Borat etwa vor einem Sportmatch die amerikanische Nationalhymne schamlos umtextet und anschließend eine kriegstreiberische Rede hält, in der er sich bei der versammelten Menge für das harte Durchgreifen der USA bedankt, dann wird der zuerst frenetische Beifall der Menge immer leiser, der Gedanke „Welcher Idee applaudieren wir da eigentlich?“ dagegen fast hörbar.

Mockumentary

Sacha Baron Cohen, 1971 in London geboren, wuchs in einer jüdischen Familie in Wales auf. Nach einem längeren Aufenthalt in Israel studierte er Geschichte an der Universität Cambridge. In seiner Abschlussarbeit beschäftigte er sich mit der Rolle jüdischer Persönlichkeiten in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre. Ab 1998 schuf er mit seiner Kunstfigur des Immigranten Ali G, mit der er zunächst auf Channel 4 in der Eleven O’Clock Show auftrat, eine kulturelle Metapher, die in Zeiten der Globalisierungsdiskussion einen mindestens spannenden Blick auf die alte Frage nach Identität erlaubt. Die Figur wurde so populär, dass Cohen im Jahr 2000 mit der Ali G Show auf Sendung ging – 2002 folgte schließlich der Kinofilm Ali G in Da House. Seit 2003 ist Sacha Baron Cohen mit seiner Show auch in den USA vertreten, und dieser Tage ist er nicht nur in Borat, sondern auch im Komödien-Überraschungshit Ricky Bobby – König der Rennfahrer im Kino zu sehen.

Zweifellos erlaubt gerade Borat verschiedene Lesarten und wird auf noch heftigere Kritik stoßen als die bisherigen Kurzauftritte des kauzigen Kasachen, dessen Moderation der MTV Europe Music Awards im Jahr 2005 zu einer offiziellen Protestnote der Regierung jenes Landes führte, das Borat so gern in besonders schlechtes Licht rückt. Dass die Wahl gerade auf Kasachstan fiel, verdankt die ehemalige russische Teilrepublik der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Wie Produzent Dan Mazer und Sacha Baron Cohen erklären, suchte man schlichtweg ein Land, dessen tatsächlichen Einwohnern man möglichst selten begegnet und über die generell wenig bekannt ist.

Dass die Kinovariante von Cohens TV-Miniserien-Figur so reibungslos funktioniert – in scharfem Kontrast übrigens zur Leinwandfassung des Jackass-Formats – liegt an der Qualität des Drehbuchs. Produktionsästhetisch folgen die Macher den Regeln des mockumentary (ein Spielfilm, der sich vermeintlich klassischer dokumentarischer Stilmittel bedient) – ein Trend, den Michael Hirschborn in seinem Essay Thank You, You Tube als „Do It Yourself-Video“ bezeichnet. Die neue Videoästhetik, die ihre ungeheure Popularität auch dem Vertriebskanal der Internet-Homemade-Videos verdankt, wirkt wieder als Gestaltungsstrategie aufs Kino ein. Während Blair Witch Project eindrucksvoll die Eignung des Handkamera-Wackel-Formats für den Mystery-Film demonstrierte, verwendet etwa Jackass die simple Aufnahmetechnik ganz im Stile von Skatervideos zur Unterstreichung der „Authentizität“.

Borat schöpft aus der Homevideo-Ästhetik eine erstaunlich dichte Atmosphäre, die zu einem hohen Grad dem nicht nur vorgeblich zum Einsatz kommenden Improvisationstalent des Hauptdarstellers geschuldet ist. Selbst wenn sich in den genau geskripteten Szenen Borat mit seinem Produzenten Azamat nackt quer durchs Hotel prügelt oder versucht, Pamela Anderson in seinen kasachischen Hochzeitssack zu stecken, bleibt der Eindruck der Spontaneität stets erhalten. Bleibt zu hoffen, dass die USA nicht das einzige Land bleiben, das der unerschrockene falsche Kasache mit seiner Kamera bereist.