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Casino Royale – Mehr als rot und schwarz

Mehr als rot und schwarz

| Andreas Ungerböck :: Jörg Schiffauer |

Die immer währende Faszination des Glücksspiels und des Casinos schlägt sich im Film mit schöner Regelmäßigkeit und einer gehörigen Portion Nostalgie nieder. Eine Auswahl.

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Brot und Spiele für den Homo ludens: Das (Glücks-) Spiel ist so alt wie die so genannte zivilisierte Menschheit selbst. Das Spiel, die Spielsucht, das Gewinnen, das Verlieren, und die Orte, an denen sich diese Dramen abspielen, sind aus Literatur, Bildender Kunst, Theater, Musik und Film nicht wegzudenken. Was eignet sich auch trefflicher als Metapher für Aufstieg und Fall, Glück und Unglück, Euphorie und Verzweiflung eines Menschen? Der Spielerfilm als Subgenre des populären Kinos ist bis heute ungebrochen faszinierend, und so ist es wenig überraschend, dass durchaus alle paar Jahre ein neues Highlight auf den Leinwänden auftaucht.

Die Gleichheit vor dem Croupier

Nicht von ungefähr hat das Glücksspiel in der Form, wie wir es heute kennen, sehr viel mit dem Aufkommen des organisierten Verbrechens zu tun. Bald war es vorbei mit den Saloons des Weste(r)ns, wo vergleichsweise gepflegt und gemütlich gepokert und gelegentlich, wenn einer falsch spielte, mit Schusswaffen hantiert wurde. Mit dem Anwachsen der Städte und deren vordergründiger „Domestizierung“ durch Gesetz und Moral wanderte das Spiel in eigens errichtete Häuser ab, die, egal ob mit erlesenem Prunk gestaltet oder von anheimelnder Schlichtheit und Schäbigkeit, immer auch schon etwas Anrüchiges an sich hatten, das man bis heute gerne mit „Flair“ oder „Atmosphäre“ verwechselt. Für die Mobster, egal wo auf dem Planeten, war und ist die Spielleidenschaft armer und reicher Leute eine lukrative und sichere Einnahmequelle – siehe das überaus prägnante Zitat des von Robert De Niro dargestellten Casino-Betreibers Ace Rothstein aus Martin Scorseses Meisterwerk Casino.

Das Spielcasino ist ein Ort, an dem – scheinbar – alle Klassenschranken aufgehoben und alle anderen sozialen Unterschiede eingeebnet sind: Jeder hat hier die gleichen Chancen, denn das Glück kann theoretisch jedem ein Vermögen bescheren. So weit, so gut. Um dieses nackte Faktum hat sich eine Mythologie angelagert, die fast allen Spielern dieser Welt mehr oder weniger zum Verhängnis wird: Denn fast alle Spieler glauben, bewusst oder unbewusst, das Glück lasse sich in Regeln, Systeme und Wahrscheinlichkeitstheorien zwingen und somit bei Bedarf abrufen. Fast alle Spieler glauben, dass sie durch beständige Verdoppelung des Einsatzes irgendwann wieder im Plus landen – das stimmt aber nur so lange, als das Geld dafür reicht. Fast alle Spieler glauben, dass die Chancen beim Roulette 50:50 stünden, weil sie allzu gerne darauf vergessen, dass es auch eine Zahl Null gibt. Und fast allen Spielern beginnen dann doch die Nerven zu flattern, wenn 17 Mal hintereinander Rot kommt. Die Abkürzung vom sprichwörtlichen Tellerwäscher zum Milliardär über das Casino funktioniert nur in Ausnahmefällen.

Als der Gangsterfilm in den 30er Jahren zu boomen begann, weil ihm der Tonfilm und die neuen technischen Gegebenheiten (Telefon, automatische Schusswaffen, schnellere Autos) zu Gute kamen, kam auch der Spielerfilm auf. Der Dschungel der Großstadt, in dem man gut abtauchen konnte, das schnelle Geld, das lockende Glück verbanden den Gangster und den Gambler – oder auch die Gamblerin. Barbara Stanwyck war die protoytpische „pragmatische neue Frau“, die der Film der 30er Jahre als Protagonistin feierte: Frauen strebten auch auf der Leinwand weg vom heimischen Herd. Sie traten ins Berufsleben ein, und beileibe nicht nur als Krankenschwestern oder Lehrerinnen. Bemerkenswerterweise drehte Stanwyck gleich drei schöne, recht unterschiedliche Spielerfilme mit ähnlich klingenden Titeln: Gambling Lady (1934) von Archie Mayo, The Lady Eve (1941) von Preston Sturges und The Lady Gambles (1949) von Michael Gordon. In Mayos kurzem, schnellem und handfestem Film ist sie eine aufrechte Casinobesitzerin, die von einem Syndikat gezwungen werden soll, ihre „Ehrlichkeit“ den Gästen gegenüber aufzugeben – ein Topos, der sich im Laufe der Jahrzehnte im Casino-Film immer wieder findet. In Sturges’ großartiger romantischer Komödie umgarnt sie als (mit ihrem Vater) reisende Spielerin den weltfremden Brauerei-Erben Henry Fonda, und bei Gordon schließlich verfällt sie, als sie ihren Mann auf einer Dienstreise nach Las Vegas begleitet, rettungslos der Spielsucht. Gemessen an der Zahl der Opfer des Glücksspiels ist ihr Auftreten in Filmen jedoch sehr spärlich – Gordons Film ist da eine Ausnahme.

In der Wüste

Stichwort: Las Vegas, seit der Legalisierung des Glücksspiels im Jahr 1931 der Stachel im Fleisch des puritanischen Amerika, ist natürlich die Casino-Stadt par excellence und als solche Schauplatz vieler Spielerfilme. Barry Levinson erzählt mit Warren Beatty in der Titelrolle die Geschichte bzw. den Gründungsmythos der Stadt: Bugsy (1991) ist somit mehr als bloß ein Biopic über den von der Ostküste stammenden Gangster Benjamin „Bugsy“ Siegel, dessen Vision eines Spielerparadieses in der Wüste von Nevada ihn so elektrisierte, dass er 1945 mit seinem von der Mafia finanzierten Flamingo Hotel durchstarten wollte. Der Umbau des Hotels verschlang jedoch aberwitzig viel Geld, und das Casino erwies sich (zunächst) nicht als der erhoffte Knüller, sodass seine Partner ihn kurz darauf umbringen ließen. Auch sein Freund seit Kindheitstagen, das Finanz- und strategische Genie Meyer Lansky, konnte ihn davor nicht bewahren.

Scorseses Casino erzählt in gewisser Weise eine Variante der Geschichte, angesiedelt in den 70ern und 80er Jahren, als der (ebenfalls jüdische) Gangster Ace Rothstein (Robert De Niro) von der Mafia mit der Leitung des Tangiers Casinos in Las Vegas betraut wird. Auch Casino hat historische Bezüge. Die reale Figur, auf der Ace Rothstein beruht, war Frank „Lefty“ Rosenthal. Mafia-Experte Nicholas Pileggi schrieb wie für GoodFellas (1990) das Drehbuch, und wieder geht es nur vordergründig um Action, Gewalt und Sex – wiewohl all das reichlich vertreten ist. Pileggis und Scorseses Interesse gilt dem „System“ dahinter, der Mafia als einer zutiefst konservativ-kapitalistischen Organisation, den wirtschaftlichen Interessen und dem Streben nach Macht. Casino wirft einen gründlichen Blick auf die Schattenseiten der Glitzerstadt, so ganz anders als Mike Figgis’ im selben Jahr gedrehte sentimentale Leidensgeschichte Leaving Las Vegas mit Nicholas Cage und Elizabeth Shue in den Hauptrollen.

Hinter die Kulisssen blickt auch Wayne Kramers schöner Film The Cooler (2003). In einem altehrwürdigen Casino arbeitet der notorisch glücklose Bernie Lootz (William H. Macy) als „Cooler“, das heißt, er greift ein, wenn jemand an einem der Tische eine zu lange Glückssträhne hat. Dass seine bloße Präsenz den Spielern Unglück bringt, davon ist sein Boss Shelly Kaplow (Alec Baldwin in seiner ewigen Rolle als grober Klotz) nicht zu Unrecht überzeugt. Erst als Bernie eine hübsche Kellnerin kennen lernt, wendet sich das Blatt; Shelly ist gar nicht begeistert, und auch davon nicht, dass die Mafia ihm immer vehementer zusetzt, er möge das Casino doch „modernisieren“.

Nostalgie und Handarbeit

Das ist das Paradoxe am Casino-Film: Während oder obwohl auf der einen Seite „aufgedeckt“ wird, wirtschaftliche und kriminelle Mechanismen sichtbar gemacht werden, insinuieren Filme wie The Cooler (aber auch Casino), dass früher „alles besser“ gewesen sei; als das Casino-Geschäft zwar hart, aber trotzdem irgendwie „menschlich“ gewesen sei, „ehrliche Handarbeit“ quasi im Unterschied zum unpersönlichen Fließbandbetrieb, wie sie beide Filme als düstere Alternative darstellen. Ace Rothstein mag einem ungebärdigen Spieler die Hand mit einem Hammer zertrümmern lassen, Shelly Kaplow mag das zart knospende Glück seines Coolers mit brutalen Methoden im Keim ersticken – aber irgendwie sind sie beide „vom alten Schlag“, Entrepreneurs, die 18 Stunden am Tag für das Geschäft schuften und weder ihre Gegner noch sich selbst schonen. Diese nostalgische Sicht korreliert mit der eines hoch geschätzten europäischen Regisseurs, Louis Malle, der in Atlantic City (1980, mit Burt Lancaster und Susan Sarandon) einen ähnlichen Blick auf die gleichnamige Spielerstadt in New Jersey wirft.

Las Vegas, nach seiner großen Krise in den 80er Jahren, hat quasi die Kurve gekratzt und revitalisiert sich mit Hilfe stets neuer Attraktionen und Aufsehen erregender Hotel- und Casinobauten selbst. Doch über das Publikum, das heute dort verkehrt, würden Frank Sinatra, Sammy Davis Jr., Dean Martin und der Rest des rat pack (Ocean’s Eleven, 1960) aber vermutlich bittere Tränen weinen. Auf den Straßen und in den mehr oder weniger gediegenen Spielhallen dominiert der türkisblaue Polyester-Trainingsanzug. Statt Elvis, Frankieboy und Dino kann man sich heute wochenlang Shows von Celine Dion und Elton John anschauen. Ocean’s Eleven in seiner Originalversion hat im Rückblick etwas hoffnungslos Nostalgisches und Romantisches – wie auch Casino Royale, die Bond-Parodie aus dem Jahre 1967 – das stargespickte Remake von Steven Soderbergh aus dem Jahr 2001 erst recht. Beide Ocean’s Eleven feiern die Handarbeit (und sei es die, ein Casino durch einen genialen Beutezug auszurauben) und eine gentlemanlike Gewitztheit, die man in den modernen Casinos dieser Welt wohl eher vergeblich sucht. Das „Manuelle“ ist auch zentrales Element im unterschätzten, eigentlich für das Fernsehen gedrehten Film Stacy’s Knights (1982): Ein smarter Bursche, der aber nicht spielen kann (Kevin Costner in seiner ersten größeren Rolle) tut sich mit Stacy zusammen, die ein phänomenales Kartengedächtnis hat. Gemeinsam mit einer Gruppe weiterer Spezialisten beginnen die beiden, die Blackjack-Tische der näheren Umgebung unsicher zu machen. Der Plot (es geht um Rache an einem Casino-Besitzer) ist hier zweitrangig, es ist faszinierend zuzusehen, wie diese Gang sich die Fähigkeit antrainiert, den Kartendealer mit Hilfe perfekter Konzentration aus dem Konzept zu bringen (während es doch in der Realität gerade umgekehrt abläuft).

Aber nicht nur die Amerikaner, die ein hoch komplexes Spiel wie Roulette mit Hilfe vereinfachter Regeln und begrenzter Spieleranzahl (macht nicht das schier endlose Warten auf den Coup, wenn endlich alle gesetzt haben, den Reiz des Spiels aus?) zu American Roulette vereinfacht haben, feiern bis heute, im Zeitalter der Trivialisierung durch Wettcafés, Online-Casinos und (welch treffender Name) einarmige Banditen, in ihren Filmen das gute alte Casino, auch in einer vom Glücksspiel besessenen Stadt wie Hongkong ist dies der Fall. Anfang/Mitte der 90er Jahre rollte eine Spielerfilm-Welle an, die bis heute nicht abgeebbt ist: Casino Tycoon, Casino Raiders, All for the Winner, God of Gamblers (samt Prequels, Sequels und Remakes), das sind Klassiker des nostalgischen Casino-Films: als das Spielen angeblich noch geholfen hat.

Casino Royale

Daniel Craig übernimmt im neuen James Bond-Abenteuer die Rolle von Agent 007 – und schafft ein Debüt mit durchschlagendem Erfolg.

Leicht hat es der neue Bond von Anfang an nicht gehabt. Seit es offiziell feststand, dass Daniel Craig die Nachfolge Pierce Brosnans antreten und den berühmtesten Agenten im Auftrag ihrer Majestät verkörpern würde, hagelte es Kritik von allen Seiten am neuen James Bond-Darsteller. Inhaltlich blieb diese Kritik stets ein wenig diffus (was angesichts einer Performance, die noch gar nicht stattgefunden hatte, auch nicht weiter verwundert), sieht man davon ab, dass die Fangemeinde zunächst jeden neuen Bond-Darsteller als Zumutung abqualifizierte, seit Sean Connery dem Agenten das erste und prägende Gesicht auf der Kinoleinwand verlieh. Um es vorwegzunehmen:Daniel Craig meistert die schwierige Aufgabe mit Bravour, sein James Bond ist der überzeugendste und glaubwürdigste seit Sean Connery, der sogar den Vergleich mit der Legende keineswegs zu scheuen braucht.

Casino Royale, die mittlerweile 21. James Bond-Verfilmung, basiert auf Ian Flemings gleichnamiger Romanvorlage, kurioserweise das erste Buch jener Krimireihe, mit der die phänomenale Erfolgsgeschichte 1953 ihren Anfang nahm. Dabei sieht sich Bond mit dem geheimnisumwitterten Le Chiffre (Mads Mikkelsen), Bankier global operierender Terrornetzwerke, konfrontiert. Um diese Geldflüsse zu unterbinden, muss Bond Le Chiffre in einem hoch dotierten Pokerspiel schlagen.

Casino Royale scheint überhaupt eine Art von Rückkehr zu den Wurzeln der Reihe zu markieren. Martin Campbells Inszenierung ist deutlich härter, geradliniger, mit stärkerer Betonung der typischen Elemente des klassischen Agentenfilms, als dies in einem Bond-Streifen seit langer Zeit  der Fall war. Eine Neupositionierung, die längst überfällig war, krankte die Reihe doch seit, grob geschätzt, zehn Filmen, an einer überbordenden Mischung aus unzähligen ironischen, vorwiegend selbstreferentiellen Zitaten und einem Overkill an Spezialeffekten, die jedweden Plot erstickten und zur unwichtigen Nebensächlichkeit degradierten. Dass Casino Royale sich endlich wieder darauf konzentriert, eine Geschichte zu erzählen (und dies auch noch durchaus spannend zuwege bringt), werden vermutlich nicht nur Kenner von Ian Flemings literarischen Vorlagen als Befreiungsschlag ansehen.

Daniel Craigs Interpretation der Titelrolle passt kongenial zu dieser Linie, seine Bond-Darstellung ist vor allem durch eine ausgeprägte physische Präsenz gekennzeichnet. So erledigt Bond seine Arbeit auch nicht mehr mit der mühelosen Leichtigkeit eines Superhelden, sondern es bedarf schon seines körperlichen Höchsteinsatzes, um der diversen Schurken Herr werden zu können. Dass Daniel Craig auch schauspielerisch nicht unterfordert bleibt, dafür sorgt nicht zuletzt seine Partnerin Eva Green, deren Rolle so gar nichts mit den bislang üblichen oberflächlichen, nur dekorativen Zwecken dienenden, Auftritten von Bond-Girls zu tun hat.

James Bond bleibt auch nicht länger der unantastbare Superagent, er muss, deutlich sichtbar, physische Schmerzen erst überwinden, ja eigentlich durchleiden, um sich schlussendlich behaupten zu können. Was nicht nur zur Folge hat, dass die Spannungsbögen in einem Bond-Film doch wieder einmal gut funktionieren, sondern auch, dass Bonds Charakter durch Daniel Craigs gelungene Darstellung  in Casino Royale jene unerbittlichen, gnadenlosen und zynischen Züge annimmt, die denen der Romanvorlage und der allerersten Verfilmungen sehr nahe kommen. Sean Connerys Status als bester Bond könnte erstmals in Gefahr geraten.
Jörg Schiffauer