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Franz Waxman – Blaupausen für Hollywood

Blaupausen für Hollywood

| Stefan Schmidl |

Franz Waxman komponierte die Musik zu Klassikern wie “Sunset Blvd.”, “Rear Window” oder “A Place in the Sun”. Ein Porträt des großen Filmkomponisten, Dirigenten und Arrangeurs, dessen Geburtstag sich am 24. Dezember zum 100. Mal jährt.

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Es waren große Momente der amerikanischen Filmgeschichte, in denen sich die Musik Franz Waxmans dem kollektiven cineastischen Gedächtnis einprägte: Nach dem Mord an ihrem Liebhaber tritt der vergessene Stummfilmstar Norma Desmond in wahnsinniger Erwartung eines Comebacks Reportern und Polizisten entgegen, begleitet von irisierendem orchestralem Pathos à la Richard Strauss (Sunset Blvd., 1950). Wie in einem Fieberwahn erschafft Henry Frankenstein seiner Kreatur eine Gefährtin, die zu gleichermaßen schaudernder wie berückender Musik zum Leben erwacht (The Bride of Frankenstein, 1935). Überschattet vom sich verführerisch schlängelnden Thema des Phantoms Rebecca geht das düstere Schloss Manderley in Flammen auf (Rebecca, 1939). Eine zart betörende Streichermelodie suggeriert dem zaudernden George Eastman die Verlockungen einer großbürgerlichen Existenz in Form der Erbin Angela Vicker (A Place in the Sun, 1951).

Den Mann, der hinter dem audio-visuellen Erfolg solcher Szenen stand, umgab zwar nicht der Nimbus eines Starkomponisten wie Erich Wolfgang Korngold, dennoch wusste das Studiosystem der Goldenen Ära Hollywoods den Wert Franz Waxmans richtig einzuschätzen – und zu nutzen. In seiner Filmmusik gelang es ihm, Erschreckendes wie auch Erhabenes in eine erzählende Grammatik zu gießen, die sich wohltuend von der erdrückenden Melodramatik Max Steiners abhob. Es war dieser flexibleren Semantik zu verdanken, dass Waxman weniger unter dem Hollywood-üblichen Typecasting leiden musste als etwa Bernard Herrmann, der dem Thriller- und Horrorgenre bis in seine späten Jahre nur selten entrinnen konnte. Waxmans anerkannt weites Spektrum ermöglichte es ihm sogar, wiederholt mit so unterschiedlichen Regisseuren wie Alfred Hitchcock, Billy Wilder, George Stevens oder Fred Zinnemann zu arbeiten.

Beginn einer Karriere

Waxman wurde als Franz Wachsmann am 24. Dezember 1906 im schlesischen Königshütte, dem heutigen Chorzów, geboren. Der Vater sah ihn ursprünglich für eine Bankkarriere vor. Bald jedoch widersetzte sich der junge Waxman dem patriarchalischen Diktat, brach diese Ausbildung ab und ging nach Berlin, um am dortigen Konservatorium Komposition und Dirigieren zu studieren. Daneben arbeitete er als Pianist bei der Tanzmusik-Formation Weintraub Syncopators, die 1929 von der UFA unter Vertrag genommen wurde. So bekam er Gelegenheit, Friedrich Holländers Musik zu Josef von Sternbergs Der Blaue Engel (1930) zu orchestrieren und zu dirigieren. Der Riesenerfolg des Klassikers ebnete Waxman eine Karriere in der Filmbranche, zunächst noch mit einigen kleineren deutschen Komödien. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 machte jedoch ein weiteres Arbeiten in Deutschland unmöglich. Als ihm der legendäre Produzent Erich Pommer wenig später das Angebot unterbreitete, in Paris für Fritz Lang die Musik zur Verfilmung von Ferenc Molnárs Bühnenstück Liliom zu schreiben, packte er diese Gelegenheit beim Schopf und lieferte eine erste große Probe seines Talents: eine kühne Komposition, die mit akustischen Experimenten und einem neuartigen elektronischen Instrument überrascht – dem Ondes Martenot, das von der zeitgenössischen Avantgarde erst Jahre später entdeckt werden wird.

In Hollywood

Mit Erich Pommer geht Waxman 1934 schließlich in die Vereinigten Staaten. Die symphonische Tonfilmmusik der dortigen Filmindustrie steckt erst in den Kinderschuhen. Erst zwei Jahre zuvor hatte Max Steiner mit King Kong einen völlig auf die filmische Aktion abgestimmten orchestralen Soundtrack geschaffen. Daher ist auch die innovative Liliom-Musik nicht unbeachtet geblieben: Der Regisseur James Whale verpflichtet Waxman für sein bereits lang erwartetes Sequel The Bride of Frankenstein. Mit der Partitur zu diesem Film entsteht die Blaupause für jede Horror-Filmmusik der folgenden drei Jahrzehnte, in denen sie noch oft wiederverwertet, kopiert und schließlich persifliert wird. Nach diesem Erfolg bleibt er für zwei Jahre bei Universal, anschließend unterschreibt er 1936 einen Sieben-Jahres-Vertrag mit MGM. Mehrmals wird er von diesem Studio an David O. Selznick „verliehen“, unter anderem für Alfred Hitchcocks US-Debüt Rebecca. 1943 wechselt Waxman schließlich zu Warner Bros. und vertont dort auch propagandistische Streifen wie God Is My Co-Pilot, Hotel Berlin und Objective, Burma! (alle 1945), die zeigen, dass er auch den musikalischen Wochenschau-Stil der Kriegsjahre beherrschte.

Neue Einflüsse, Neue Filme

1947 gründet Waxman das Los Angeles International Music Festival, das Premieren von zeitgenössischen, dem amerikanischen Konzertpublikum weitgehend unbekannten Komponisten wie Arnold Schönberg, Igor Strawinsky oder Dmitri Schostakowitsch auf dem Programm hat. In diesem Zusammenhang intensiviert er seine Dirigenten-Tätigkeit. 1962 ist er der erste US-amerikanische Dirigent, der in der UdSSR auftritt. Die Begegnung mit zeitgenössischer Konzertmusik wirkt sich befruchtend auf Waxmans Stilistik aus: Das zeigt etwa die Musik zu Billy Wilders Lindbergh-Biografie The Spirit of St. Louis (1957), deren frenetische Passagen deutlich auf die Vorbilder Prokofjew und Schostakowitsch verweisen. Die stupende Kompositionstechnik Waxmans bewahrte jedoch seine Partituren vor reiner Epigonalität.

Der Beginn der 50er Jahre brachte auch die offizielle Anerkennung der amerikanischen Filmwirtschaft: Zwei Jahre hintereinander erhält er den Oscar: für Billy Wilders Sunset Blvd. und für George Stevens’ A Place in the Sun. Ähnlich wie auch seine Musik zu Hitchcocks Rear Window (1954) belegen diese beiden Kompositionen Waxmans Affinität zu Jazz-Idiomen.

Diskrepanzen

Die neuen Einflüsse in Waxmans Schaffen gingen einher mit dem allmählichen Umbruch des alten Studiosystems: Der Siegeszug des Fernsehens zwang die Majors zu Maßnahmen, die sich letztlich auf die Qualität der Produktionen auswirkten. Mit CinemaScope und Drive-Ins sollten ausbleibende Zuschauer wieder in die Kinos gelockt, mit biblischen und antiken Spektakeln konservativere Schichten als neue Konsumenten gewonnen werden. Trotz einiger herausragender Beispiele dieses Genres (z. B. Spartacus) konnte die Mehrzahl dieser Filmepen der 50er und 60er Jahre die Ansprüche nicht erfüllen, die ihre Themen erfordert hätten, und auch Waxman sah sich zunehmend mit diesem Problem konfrontiert. Mit einer gewissen Unbekümmertheit ignorierte er jedoch die dramaturgischen und technischen Mängel der ihm anvertrauten Filme und stattete sie mit Partituren aus, die eher von der jeweiligen Idee hinter dem Drehbuch als von deren tatsächlicher Umsetzung ausgingen. Ein signifikantes Beispiel dafür ist die Filmmusik von The Silver Chalice (1954): Für die kolportagehafte Geschichte rund um den heiligen Gral zog Waxman das so genannte „Dresdner Amen“ heran, jene musikalisch-liturgische Formel, die vor allem durch ihre Verwendung in Richard Wagners Parsifal mit spiritueller Bedeutungsschwere aufgeladen war. Diese und viele andere, ähnlich subtile Anspielungen auf die europäische Kulturgeschichte setzten Kenntnisse voraus, die selbstverständlich weit über jene des durchschnittlichen amerikanischen Publikums gingen und daher nicht ausreichend rezipiert werden konnten. Das Scheitern dieses Anspruchs ist die Tragik des Filmkomponisten Waxman.

Spätwerke

Taras Bulba (1962) und Lost Command (1967) waren neben einigen Fernsehserien die letzten Werke, die Waxman für die amerikanischen Medien ablieferte. Schon seit dem Ende der 40er Jahre hatte er sich neben seiner auslaufenden Filmkarriere vermehrt der Komposition für den Konzertsaal gewidmet. Es entstanden unter anderem eine neoklassizistische Sinfonietta für Streicher und Pauken (1955), das groß angelegte biblische Oratorium Joshua (1958) zum Gedenken an seine verstorbene Frau, die von Gemälden Goyas inspirierten Instrumental-Miniaturen Goyana (1960) und der symphonische Liederzyklus The Song of Terezin (1965) nach Gedichten, die Kinder im Konzentrationslager Theresienstadt hinterlassen hatten. Bei seinem Tod am 24. Februar 1967 bleiben mehrere Werke unvollendet liegen, die das künstlerische Selbstverständnis des „ernsten“ Komponisten Franz Waxman belegen: ein Cellokonzert für den renommierten Solisten Pierre Fournier und eine Oper nach Robert Louis Stevenson, Dr. Jekyll and Mr. Hyde.

Einer breiten Öffentlichkeit ist Waxman paradoxerweise mit einem Stück in Erinnerung geblieben, das gar nicht von ihm stammt, sondern von ihm nur neu arrangiert wurde: Die Violin-Fantasie nach Themen aus Georges Bizets Dauerbrenner Carmen schrieb Waxman ursprünglich für den Film Humoresque (1947). Sie steht, vom Virtuosen Jascha Heifetz weithin populär gemacht, auch heute noch auf Konzertprogrammen.

 

Stefan Schmidl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kommission für Musikforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Schwerpunkt Filmmusik.