ray Filmmagazin » Interview » Das digitale Lichtspielhaus – Michael Stejskal im Gespräch

Das digitale Lichtspielhaus – Michael Stejskal im Gespräch

| Carlo Hoffmann |

Michael Stejskal, Mitbegründer und Geschäftsführer des groß gewordenen heimischen Filmverleihs Filmladen und des Wiener Votiv-Kinos, über Zukunftsszenarien, Vor- und Nachteile und Sinn und Unsinn des digitalen Vertriebs.

Werbung

Was würden Sie dazu sagen, wenn das Kino in zehn bis zwanzig Jahren zu 100 Prozent digital funktioniert? Filme werden von einem Server heruntergeladen und via Digitalprojektion gezeigt…
In Multiplexen mag das so sein. In Programmkinos wird es noch sehr lange nötig sein, auch eine 35mm-Abspielmöglichkeit zur Verfügung zu haben, weil anzunehmenderweise nicht das ganze Angebot digital zur Verfügung stehen wird. Außerdem ist das eine Frage der Kosten und der technologischen Ausgereiftheit.

Aus der Sicht eines Verleihchefs: Wie sieht Ihr optimales Szenario in, sagen wir, fünf Jahren aus?
Mein optimales Szenario ist ziemlich komplex: Die Projektionsqualität darf zumindest nicht schlechter sein als jene einer 35mm-Projektion. Die Freiheit der Kinos, über ihr Programm selbst zu bestimmen, darf nicht eingeschränkt werden. Es muss eine einheitliche technische Norm für die Projektionsgeräte geben, weil die Kinos aus Angst vor einer Fehlinvestition nur sehr zögernd investieren würden, und zugleich darf es keine Abhängigkeiten von Monopol-Anbietern geben (bezüglich Hardware, Software, Lizenzen, usw.). Das heißt, es muss mehrere Anbieter geben, die auch in Konkurrenz zueinander stehen. Es muss die Möglichkeit gewahrt bleiben, über die Projektionsgeräte auch nicht-genormten Content abzuspielen (Mini-DVD, DVD, usw.), um auch kleinen und alternativen Produktionen den Weg auf die Leinwand offenzuhalten. Für kleinere Arthaus-Produkte wird der Content nicht über Satellit eingespeist, sondern auf einer transportablen Festplatte zur Verfügung gestellt. Fünf Jahre werden dafür nicht reichen. Wenn das überhaupt jemals zu schaffen sein wird!

Die Digitalisierung ermöglicht eine flexiblere Handhabung der Kopienherstellung. Es kann besser auf eine unerwartete Nachfrage nach einem Film reagiert werden, etwa bei einem weltweit gleichzeitigen Kinostart. Ist die digitale Distribution organisatorisch und logistisch einfacher und somit kostengünstiger?
In der Umstellungsphase wird die Digitalisierung für die Verleiher sicher keine Verbilligung bringen, sondern auf Grund diverser Doppelgleisigkeiten teilweise sogar eine Verteuerung. Auch die Logistik wird kurzfristig komplizierter und nicht einfacher. Wie sehr es sich in weiterer Zukunft tatsächlich verbilligt, wird vom Ausmaß der Konkurrenz unter den Anbietern und von der Aufwändigkeit diverser technologischer Zusatzmaßnahmen (Verschlüsselung, Wasserzeichen, usw.) abhängen. Die Nachfrage kann durch die Digitalisierung sicher nicht leichter eingeschätzt werden, aber dass man kurzfristiger auf aktuelle Marktereignisse reagieren kann, steht außer Frage. Neu ist heute, dass wir durch einen BMW-Motor durchfliegen können und genau zuschauen können, wie dieser funktioniert, obwohl es eine Computeranimation ist. Die Reflexe und alles andere sagen uns ständig, dass es echt ist. Und die unmöglichen Kameraflüge sagen uns: „Es ist simuliert, simuliert, simuliert“.

Das Kino heute steckt in einer ernsten Krise – welche Änderungen müssten gemacht werden, um das Filmtheater wieder attraktiv zu machen?
Das Kino muss sich und seine Inhalte neu definieren. Wenn die Auswertungsfenster zwischen Kinoeinsatz und DVD (bzw. in Zukunft Video-on-Demand) noch kürzer werden, muss sich auch die Abrechnungsgrundlage zwischen Kino und Verleih bzw. zwischen  Verleih und Weltvertrieb ändern. Kino und Verleih werden in der gesamten Wertschöpfungskette einen immer kleiner werdenden Anteil am Ertrag bekommen. Möglicherweise werden die Kinos und Verleiher der Zukunft zu bezahlten Dienstleistern für die Bewerbung des Films.

Würde eine Digitalisierung des Kinos nicht auch eine Libera-lisierung bedeuten? Indie-, Low-Budget-, und Studentenfilme könnten ebenfalls so einen einfachen Weg ins Kino finden.
Nur wenn die Offenheit der Systeme gewahrt bleibt, wie schon gesagt, gibt es für kleinere Filme im Kino weiterhin eine Chance. Allerdings werden die Kosten der Bewerbung immer höher, und an diesen Kosten ändert auch die Digitalisierung nichts.

Wie verändern sich die Machtverhältnisse? Verliert oder gewinnt der Filmverleih an Einfluss?
Wenn die einzige Abspielmöglichkeit der Kinos darin besteht, ihre Filme vom Satelliten zu laden und Woche für Woche mit einem digitalen Schlüssel Saal und Beginnzeiten vorgeschrieben zu bekommen, bedeutet das einen dramatischen Machtgewinn der großen Verleiher. Wenn die Kinos auch direkt verschickte Festplatten abspielen können, eröffnet sich zumindest eine Alternative. Tendenziell werden aber die Kontroll- und Einflussmöglichkeiten der Verleiher größer.

Wer soll die Umrüstung auf digitales Kino bezahlen? Die Verleiher oder die Kinobetreiber?
Wer zahlt, schafft an! Wenn die Kinos zulassen, dass ihnen von den Verleihern ihr Investment zum Teil oder zur Gänze bezahlt wird, geben sie von vornherein einen Teil ihrer Unabhängigkeit auf.

Werden die Kinos flächendeckend umgerüstet oder nur große Lichtspielhäuser? Was passiert mit den Programmkinos?
Wie der viel beschworene Digital Roll Out erfolgen soll, ist weitgehend ungeklärt. Selbstverständlich werden zuerst einmal die großen Kinos umgerüstet und dann irgendwann einmal die kleineren. Die Gefahr, dass die kleineren Kinos auf der Strecke bleiben, ist tatsächlich vorhanden. Hier ist die Politik gefordert.

Die Kernkompetenz eines Filmverleihs sind Marketing und Vertrieb von Kinofilmen. Wird sich daran in Zukunft etwas ändern?
An der Kernkompetenz des Verleihs ändert sich durch die Digitalisierung nichts – wohl aber durch die verkürzten Auswertungsfenster.

Ein weltweit einheitlicher Projektionsstandard ist Grundvoraussetzung für einen reibungslosen Vertrieb und die Verwertung. Würden Sie sagen, dass die DCI-Spezifikation, einer der wenigen Versuche, einen Standard im D-Kino zu schaffen, genug Anstrengung in diesem Bereich ist?
Der technische Standard ist für die Kinos wichtiger als für die Verleiher. Nur die Sicherheit, nicht ins falsche System zu investieren, wird ein Investment im größeren Maßstab überhaupt in Gang setzen. Für die Verleiher kommt es weniger auf die Projektionstechnologie als auf die Servertechnologie an.

Welche Vorteile sehen Sie bei D-Cinema?
Wenn es optimal funktioniert, ähnliche Vorteile wie bei der CD gegenüber der Schallplatte.

Und die Nachteile?
Die üblichen Nachteile, wenn ein sehr robustes, über Jahr-zehnte weltweit bewährtes, mechanisches System durch ein sensibles, sehr komplexes elektronisches System ersetzt wird.