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King Hu – Der junge König

Der junge König

| Christoph Huber |

Mit der Wiederveröffentlichung des Katalogs von Hongkongs legendärem Shaw Brothers Studio ist nun endlich das Frühwerk eines zentralen (Action)-Auteurs Asiens wieder zu entdecken: King Hu.

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Der Film, bei dem Ang Lee zu flennen beginnt wie ein kleines Mädchen, heißt The Love Eterne (Liang shanbo yu zhu yingtai, 1963). Er erzählt eine tragische Liebesgeschichte, ist fast durchwegs gesungen und gehört zum Genre der so genannten Huangmei-Oper (huangmei diao). Diese regionale Variante der Peking-Oper wurde seinerzeit von den legendären Shaw Brothers Studios in Hongkong für ihre Musikfilme bevorzugt, weil sie als leichter filmisch zu adaptieren galt. Besonders populär waren Huangmei-Opernfilme in Ang Lees Heimat Taiwan, und The Love Eterne war der populärste von allen: Er wurde zum erfolgreichsten Film in der Frühphase des Shaw Studios. Seine Dialoge wurden Teil des alltäglichen Sprachgebrauchs, und Ang Lee, der wie viele seiner Landsleute alle Lieder auswendig mitsingen kann, meint, er würde Menschen kennen, die The Love Eterne 500 Mal gesehen hätten. Es sei nicht ungewöhnlich gewesen, mit zwei Lunch-Boxen ins Kino zu gehen und einen ganzen Tag lang nur diesen einen Film zu sehen. Seine Eltern hätten das oft getan – beim dritten Mal habe es eine Taifun-Warnung gegeben, aber sie hätten die Kinder einfach daheim gelassen: „Tschüss, wir gehen ins Kino!“ Da lacht Ang Lee. Dann be-ginnt er wieder zu weinen.

Die Shaw-Edition

Als Ang Lee 2001 für eine Serie der New York Times, in der Regisseure über einen Film erzählten, der sie entscheidend prägte, von The Love Eterne erzählte, klang das buchstäblich fantastisch. Ang Lees Videokassette mit diesem mysteriösen Film schien vor fünf Jahren ein unerreichbares Gut, doch kaum ein Jahr später kam die Sensationsmeldung, dass der alte Pfennigfuchser Run Run Shaw die jahrzehntelang unter Verschluss gehaltene Filmbibliothek seines Studios, des größten Asiens, endlich profitabel verkauft hatte. Ende 2002 begann schließlich die unvollständige, aber relativ große Wiederveröffentlichungs-Kampagne auf DVD, ausgewählte Filme wurden zudem wieder auf Zelluloid zugänglich gemacht und tauchten gelegentlich bei Festivals (The Love Eterne lief nach seiner DVD-Veröffentlichung 2004 auf der Berlinale) und Städtereihen (knapp über ein halbes Dutzend Shaw-Filme hat inzwischen auch Wien beehrt) auf. Auch der Informationsstand wurde seither aufgefrischt: Die New York Times führte damals als englischen Titel von The Love Eterne nur Ang Lees wörtliche Übersetzung „Love Eternal“, als Regisseur wurde ausschließlich Li Hanxiang genannt. Doch mittlerweile erinnert man sich wieder daran, dass der einzige im Westen kanonisierte Auteur der Shaw Brothers, Martial-Arts-Pionier King Hu, bei diesem Film zum ersten Mal als Ko-Regisseur (der Action-Szenen) zum Zug kam. Nun ist das im Westen unbekannte Frühwerk des Regisseurs erschienen, und dass bisher davon kaum Notiz genommen wurde, erzählt einiges davon, dass es mit der DVD-Cinephilie doch nicht soweit her ist, wie gerne behauptet: Die Shaw Brothers-Wiederveröffentlichung ist das größte Projekt seiner Art, aber weiterhin ausständig ist eine ernsthafte kritische Auseinandersetzung sowohl mit den Filmen wie ihrer offensichtlichen Bedeutung im Kino Hongkongs und Asiens – und ihrer oft unzulänglichen Präsentation: Ganz unabhängig vom Allgemeinplatz, dass DVD nicht Film ist, erlaubt man sich, vor allem bei der Tonspur, auf den Shaw-Scheiben öfters brutale Eingriffe.

Vom Kasper zum Ko-Regisseur …

Doch unabhängig davon lässt sich einiges Exemplarische an King Hus Frühwerk ablesen, zu seiner Entwicklung zu einer Zentralfigur des Martial-Arts-Films und zur Entwicklung der Shaw Brothers. Geboren 1931 als Hu Jingquan in Beijing, beginnt King Hu seine Filmkarriere nach einer Ausbildung an einer Kunstschule 1951 als Ausstatter bei den Studios Long Ma und Great Wall. 1958 wechselt er als Schauspieler zu Shaw, die ein Jahr davor mit dem Bau von Asiens größten Filmstudios begonnen haben (und weiter expandieren). Bald verfasst King Hu auch Drehbücher, im Vorspann – auch noch als Regisseur von Come Drink With Me (Da zui xia, 1965) – wird er meist als King Chuan ausgewiesen.

Als Darsteller darf das spätere Regie-Genie nur zweite Geige spielen, meist als komische Nebenfigur. Sein Repertoire deckt die typischen Shaw-Genres der Anfangsjahre recht erschöpfend ab. Er spielt in den aufwändigen, farbenprächtigen Musical-Komödien von Tao Qin, einem bedeutenden Veteranen des Mandarin-Kinos. Love Parade (Huatuan jincu, 1962) und The Dancing Millionairess (Wanhua yingchun, 1964) gehören allerdings zu den nebensächlicheren Unterhaltungs-Soufflés im Werk des wichtigen Melodramen- und Musical-Regisseurs: Passend dazu gibt King Hu meist den Kasper an der Seite des zeittypisch weichlichen Protagonisten Peter Chen Hou – es ist noch die Ära der weiblichen Shaw-Superstars. Die erste Königin unter ihnen ist (Linda) Lin Dai, ihren Ruf zementiert spätestens 1958 die alle Kassenrekorde brechende Huangmei-Oper The Kingdom and the Beauty (Jiangshan Meiren) – auch hier darf King Hu für komische Erleichterung im tragischen Singspiel sorgen. Inszeniert wird der Klassiker von Erfolgsregisseur Li Hanxiang, mit dem sich King Hu später seine ersten Ko-Regiearbeiten teilt.*

… und zum Regie-Genie

Der ersten Zusammenarbeit an The Love Eterne sollte bald eine zweite folgen: In der Huangmei-Oper The Story of Sue San (Yu tang chun, 1964) ist Li als „überwachender“ Regisseur ausgewiesen, sein Kompagnon als „ausführender“. Der Film lässt sich stilistisch keinem der beiden eindeutig zuordnen, aber die Struktur des Drehbuchs ist prototypisch für King Hu: The Story of Sue San enthält keine Kampfszenen, dafür aber das Grundmuster der Konflikte zwischen Gut und Böse, um die King Hus Filme oft gebaut sind. Das Böse (mo) überragt das Gute (dao): In diesem Fall wird die tugendhafte Titelheldin – eine jungfräuliche Prostituierte – unerbittlich ausgenutzt, um einem verliebten Edelmann das Geld aus der Tasche zu ziehen. Aus der Betrugskomödie wird schließlich bitterer Ernst, bis in einer großen Gerichtsverhandlung der Fall in großen Gesangsnummern aufgerollt und der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Das ausgeprägte Rhythmusgefühl und das Gespür für poetische Details, die den Film kennzeichnen, ist für Li Hanxiangs Inszenierungen der Ära ebenso typisch wie es durchaus King Hus Werk vorahnen lässt – ebenso wie vielleicht ein Kurzschnitt in einer atmosphärischen Gruselszene.

Auch King Hus erste eigenständige Regiearbeit Sons of the Good Earth (Da di er nü, 1965) wirkt konventioneller strukturiert als seine folgenden Martial-Arts-Filme. Aber das große Kriegsabenteuer über den chinesischen Widerstand gegen die japanische Besatzung trägt einige Markenzeichen: Nicht zuletzt spielt der Regisseur selbst einen Guerilla-Kämpfer, der beim Befreiungskampf den Heldentod stirbt, worauf ein Zoom in die Nationalflagge folgt – ähnliche patriotische Opfergesten gibt es in mehreren seiner späteren Martial-Arts-Klassiker. Bevor es aber zum großen Kampf kommt, wird das Leben im Provinzdorf in musikalisch-komödiantischem Stil geschildert – die antijapanischen Gefühle werden übrigens erstmals von singenden Kindern ausgedrückt, eine ähnliche kleine Schar begleitet auch ein Jahr später den Helden von Come Drink With Me, einem Film, den King Hu aus der Kindheitserinnerung an eine Peking-Oper entwickelte. Die Verwendung der Opern-Rhythmussektion sollte ein Kennzeichen seiner Action-Choreografie bleiben: King Hu ist der Musiker unter den großen Martial-Arts-Regisseuren. Der Auftakt von Sons of the Good Earth scheint ungewöhnlich (und dass Komödien- und Musical-Star Peter Chen Hou zuletzt mit Maschinengewehr und Bajonett kämpft, bleibt gewöhnungsbedürftig), aber mit der genauen Schilderung des Drucks auf die Dorfgemeinschaft durch die fremden Besatzer wechselt der Tonfall überzeugend – vermutlich inspiriert von Lao She, einem von King Hus Lieblingsautoren. Ein Peking-Oper-Rezitativ ist das entscheidende Signal für den Widerstand, doch trotz vieler starker Bilder – eine Sprengstoff-Attacke färbt die ganze Leinwand giftgelb – scheint die actionlastige zweite Hälfte von Sons of the Good Earth eher nach dramatischen als nach musikalischen Gesichtspunkten gebaut. Erst bei Come Drink With Me folgt auch die Kampfkunst ganz den Ideen anderer Künste, denen von Chinas Malerei und Musik, auf ganz neuartige Weise (kon)genial visualisiert: Da legt King Hu einen Grundstein zu Erfolg und Erneuerung des Martial-Arts-Films in der zweiten Hälfte der 60er Jahre.

Erfolg und Erbe

Es war nur logisch, dass für den offiziellen Auftakt der Shaw-Wiederveröffentlichungen im Jahr 2002 King Hus großer letzter Shaw-Brothers- und erster Kampfkunstfilm Come Drink With Me ausgewählt wurde: Als Beginn einer Erneuerung asiatischer Action in historischem Gewand kommt dem Film eine Schlüsselrolle in Hongkongs Filmgeschichte zu. Für den peniblen Regisseur sollte der Erfolg von Come Drink With Me den Abschied aus dem als beengend empfundenen Akkordarbeit-Studiosystem ermöglichen: King Hu geht nach Taiwan und gründet sein eigenes Studio. Mit Dragon Inn (Long men kezhan, 1966) landet er einen riesigen Erfolg, der sein episches Hauptwerk A Touch of Zen (Xia nü, 1969) ermöglicht – dessen verspätete Vorstellung im Wettbewerb von Cannes 1975, wo es den „Großen Technischen Preis“ erhält, sichert King Hus singuläre Reputation im Westen. Doch nicht nur unter den zahllosen von ihm beeinflussten Regisseuren hat King Hus Erbe überlebt – was etwa die vielen Verbeugungen vor seinem legendären Kampf im Bambuswald aus A Touch of Zen belegen: Ang Lees Crouching Tiger, Hidden Dragon (Wo hu cang long, 2000) ist nur das populärste Beispiel. Vor allem seine revolutionäre Schnitttechnik – in der er Bewegungen oft auf Sekundenbruchteile verdichtete – wird immer wieder hervorgehoben. Aber ebenso entscheidend ist, wie sich seine präzise Action-Choreografie aus den stilisierten Bewegungen der Peking- beziehungsweise Huangmei-Opern herleitet. Sein Traumprojekt über chinesische Einwanderer beim Bau der kalifornischen Eisenbahn bleibt unrealisiert: Während Bewunderer wie John Woo noch versuchen, ihrem Idol bei der Finanzierung zu helfen, stirbt King Hu 1997 in Taipeh.

 

* Interessanterweise gibt es auch sonst Verbindungen und Ähnlichkeiten: Li begann ebenfalls als Schauspieler und Autor; beide Regisseure sind akribisch, was das Dekor betrifft und fasziniert von historischen Stoffen. Und einige Jahre vor King Hu macht sich Li nach seinen Shaw-Erfolgen selbstständig, geht nach Taiwan, gründet sein eigenes Studio und übernimmt sich finanziell, während einige Meisterwerke entstehen. Zum Episodenfilm Four Moods (Xi nu ai le, 1970), der Lis Finanzen sanieren soll, trägt King Hu ein Segment bei: Die Rettung scheitert, und Li kehrt geschlagen zu Shaw zurück. Nur einige herausragende Historienfilme belegen dann in den 70er Jahren noch Lis Begabung als klassizistischer Inszenator, vor seinem Weggang nach Taiwan ist seine Sorgfalt aber kontinuierlich, in allen Genres: im didaktischen, dabei hochelegant in Szene gesetzten Gegenwartsmelodram Rear Entrance (Hou men, 1959), dessen Originaltonspur verloren ist und in dem King Hu einen kleinen Auftritt hat, ebenso wie in den historischen Singspielen wie The Love Eterne.

Alle DVDs der Shaw-Brothers-Edition, darunter die King Hus, sind rasch, zuverlässig und einigermaßen preiswert via www.dddhouse.com oder www.hkflix.com erhältlich. Von der Bestellung der billigeren Video-CDs (VCDs) wird mangels Bildqualität dringend abgeraten. Bei hkflix.com sind auch King Hus spätere taiwanesische Klassiker zu bekommen.