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Robert Towne – Im Gespräch mit Sven von Reden

| Sven von Reden |

Robert Towne gilt als einer der erfolgreichsten Drehbuchautoren Hollywoods. Er schrieb die Vorlagen zu Klassikern wie „Chinatown“, arbeitete an zahlreichen Filmen des New Hollywood und war lange Jahre einer der begehrtesten Scriptdoktoren. Ein Gespräch über den Realismus der Straße, die Kannibalisierung von Kunst und darüber, warum Privatdetektive Autorücklichter kaputt hauen.

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Ihre ersten Drehbücher haben Sie für B-Film-Legende Roger Corman geschrieben. In der Verfilmung Ihres ersten Drehbuchs, The Last Woman on Earth, haben Sie sogar noch eine der Hauptrollen übernommen. Wie kam es dazu?
Das war Zufall. Ich hatte damals eine Freundin, die eine Schauspielschule in L.A. besuchte, die von Jeff Corey geleitet wurde, einem Schauspieler, der wegen seiner linken Ansichten auf der so genannten Schwarzen Liste stand. Die Schule wurde in der Folge sehr bekannt, da dort viele spätere Berühmtheiten studiert haben: Jack Nicholson, Roger Corman, Irvin Kershner und andere. Wir wollten damals aber nicht nur studieren, sondern auch Filme machen. Also trafen wir uns und haben zusammengearbeitet.

Wollten Sie ursprünglich Schauspieler werden?
Nein, ich wollte Drehbuchautor werden, aber dazu war es nötig, wenigstens teilweise zu lernen, was Schauspieler machen müssen. Mein Ansatz war: Wenn ich meine Dialoge spielen kann, können es die Schauspieler auch. Das beste Training, das ich hatte, war in einer Schauspielklasse zu improvisieren, um zu sehen, was funktioniert und was nicht.

Sie wurden bekannt für ihre realistischen, meist mit ziemlich vielen Schimpfworten gespickten Dialoge. Das lernt man aber wohl eher, indem man auf die Straße geht.
Entweder man hat ein Ohr für die Art, wie Leute reden oder nicht. Besonders als ich anfing, war ich fasziniert von den Sachen, die ich selber erlebt, aber noch nie im Film gesehen hatte – fasziniert von der Realität des Lebens. Ich habe mit dem Ohr eines Journalisten Dialoge auf der Straße aufgesogen, aber erst durch die Schauspielklasse ein Gefühl dafür bekommen, wie man solche Dialoge auch wie ein Dramatiker benutzen kann. Es ist wie immer eine Kombination aus Leben und Kunst.

Wie kommt es, dass Sie Straßenslang so gut beherrschen? Sie haben Philosophie studiert, kommen aus einem wohlhabenden Elternhaus. Ihr Vater war Makler.
Ich wuchs in der Hafenstadt San Pedro auf, neben Fischern und Seeleuten. Viele Kinder, mit denen ich gespielt habe, waren die ersten in ihren Familien, die Englisch sprachen. Es waren arme Leute, die durch die Depression dorthin getrieben wurden – wie mein Vater. Er ist nach San Pedro gezogen, weil er pleite war. Erst als ich sechzehn war, zogen wir schließlich nach Los Angeles, und dann kam auch das Geld. In diesem Sinne habe ich beides kennen gelernt. Aber selbst als mein Vater gut verdiente, habe ich noch als Fischer in San Pedro gearbeitet. Ich wollte das machen, da ich die Leute dort mochte. Und ich war auch in der Armee, das hilft einem bei einem Film wie The Last Detail. Man weiß, wie die Leute reden.

Heute hat man manchmal das Gefühl, dass Regisseure mehr über Filme wissen als über das Leben.
Das stimmt. Aber andererseits wurde unser aller Leben im 20. Jahrhundert durch das Kino verändert. Wir alle haben unser Leben zumindest zum Teil wie einen Film gesehen. Die Linie zwischen Film und Leben ist durchlässig, und auch im Kino gab schon immer die beiden Linien: eskapistische Filme mit Doug Fairbanks und Rudolph Valentino, aber auch eine Tradition realistischer Filme über Krieg und die Depression, besonders bei Warner Bros. Heute gibt es diese schlimmen Rea-lity-Shows im Fernsehen, die diese Linie weiter verwischen, so dass man nicht mehr weiß, was Leben und was Kunst ist – zum Schaden von beidem.

Es gibt heute auch Bücher und Kurse, die einem versprechen, in einer Woche Drehbuchautor zu werden.
Das funktioniert aber nicht. Das Schlimmste daran ist, dass es eine ganze Generation von Filmemachern dazu bringt, Kunst zu kannibalisieren. Diese Zitatkultur führt zu einer anämischen Kunst.

Wieviel recherchieren Sie für ihre Bücher?
Für Shampoo etwa bin ich in Schönheitssalons gegangen und habe mir einfach angehört, wie die Leute reden. Das ist wichtig. Ich hatte immer eine Art journalistischen Ansatz, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie die Leute leben.

Ganz konkret: Wenn in Chinatown Jack Nicholson als Detektiv Gittes das Rücklicht eines Autos kaputt haut, um dem Wagen besser folgen zu können – ist das dann eine Idee von ihnen?
Das war tatsächlich typisch für Detektive zu jener Zeit, und es war damals viel schwieriger, Leuten zu folgen.

Wie geht man als Dialogspezialist mit Szenen um, in denen nicht geredet wird?
Man beschreibt sie einfach. Es braucht genauso viel Zeit, herauszufinden, wie man Dinge ausdrückt, ohne sie explizit zu sagen. Das ist ganz wichtig, weil man ja ein riesiges Bild hat, das so viel ausdrückt. Es ist unnötig und unklug, mit dem Dialog zu wiederholen, was man sowieso sieht. Am besten ist es, wenn Bild und Dialog kontrapunktisch laufen. Man kann das Bild etwa sehr gut benutzen, um das Gegenteil von dem zu zeigen, was die Figur sagt, denn damit enthüllt sie sich selber. Dadurch kann man viel glaubwürdiger darstellen, was eine Figur wirklich denkt, als wenn sie direkt darüber spricht.

Man sagt, dass Cutter bessere Regisseure abgeben als Kameramänner. Wie sieht es mit Drehbuchschreibern aus?
Egal, ob man als Cutter, Kameramann oder Drehbuchschreiber zur Regie kommt, man wird immer in gewisser Weise vom ersten Beruf geleitet.

Was sind die spezifischen Gefahren für Drehbuchautoren, die auch Regie führen?
Die offensichtliche Gefahr ist natürlich, dass man zu nahe am Text kleben bleibt. Ich glaube, Regie ist etwas, das eine gewisse Art von Opportunismus erfordert: Man muss bereit sein, bestmöglich auszubeuten, was in einem bestimmten Moment passiert. Wenn in diesem Moment vor der Kamera mehr Leben und Vitalität drin ist als im Drehbuch, dann muss man eben das Drehbuch ändern – was dann natürlich wieder andere Änderungen nach sich zieht …

Sie haben mit so vielen hervorragenden Regisseuren zusammengearbeitet. Wer hat Sie am meisten beeinflusst?
Roman Polanski und Hal Ashby.

Ashby war ursprünglich Cutter.
Er war brillant. Ich habe von ihm gelernt, dass man vor der Kamera Dinge am besten einfach zulässt. Ich mochte an seiner Arbeit besonders, dass er Darstellungen ermutigt hat, bei denen man eher das Gefühl hatte, man würde zufällig etwas mithören. Er hat geschafft, dass Schauspieler völlig untheatralisch wirken.

Und von Polanski?
Es gibt zahlreiche Dinge, die ich von ihm gelernt habe, und ich denke, dass er der talentierteste Filmemacher ist, mit dem ich jemals gearbeitet habe. Eine Sache als Beispiel: Die Bedeutung von „Schuhleder“. Kennen Sie den Ausdruck?

Nein.
Wenn man einen Schauspieler in der Handlung von einem Ort zum anderen bringen muss, aber nichts wirklich passiert, braucht man „Schuhleder“. In der klassischen Studiozeit wollten sie sich nicht die Zeit nehmen, das zu zeigen. Wenn jemand zu einem Hotel fährt, würden sie es so arrangieren, dass das Auto direkt vor dem Hotel parken kann – egal wo, selbst mitten in New York. Oder im Restaurant – alle haben immer das passende Geld dabei. Bei Polanski war das, besonders in Chinatown, anders – und erst das gibt dem Film eine besondere Realitätsnähe. Manchmal ist es eben schwierig, einen Parkplatz zu finden, aber man kann das zu einem Teil der Geschichte machen. Diese kleinen Handlungsverzögerungen, die alltäglichen Probleme verleihen einer Geschichte Glaubwürdigkeit.

Sie versuchen also, realistisch zu sein.
Ich suche immer nach Dingen, die so noch nicht im Film gezeigt wurden.

Ihre Protagonisten sind oft hin- und hergerissen zwischen ihrem Beruf und ihren Gefühlen. Spielen da auch eigene Erfahrungen eine Rolle? Sie haben schließlich viel mit Freunden zusammengearbeitet.
Bestimmt. Wie Michael Mann habe ich mich immer für die Berufe meiner Protagonisten interessiert. Sie waren immer ein wichtiger Teil der Geschichte. Die dramatischen Möglichkeiten eines Mannes, der mit seinem Beruf kämpft und versucht, ihn mit Aspekten seines persönlichen Lebens in Einklang zu bringen, faszinieren mich, egal ob es sich dabei nun um einen Frisör, Polizisten oder Schriftsteller handelt.

Eine Figur, die bei Ihnen immer wieder aufzutauchen scheint, ist der Outsider, der am Ende eigentlich eine sehr moralische Figur ist.
Ja. Ich denke einfach, dass das Spannungsverhältnis zwischen Charakter und Moral uns alle interessiert.

Aber am Ende siegt die konventionelle Moral.
Manchmal.

In Tequila Sunrise zum Beispiel, bei dem Sie auch Regie führten, wird Mel Gibson als Drogendealer am Ende ein guter Bürger und Familienmensch.
Das stimmt nur teilweise. Er war auf einem persönlichen Level immer ehrlicher als die Figur des Polizisten von Kurt Russell. Michelle Pfeiffer, die zwischen den beiden Männern steht, fasst es zusammen, als sie zum Bullen sinngemäß sagt: „Wenn du deinen Freund betrügen willst, betrüge ihn und nicht mich.“ Im eigentlichen Ende, das ich leider nicht filmen konnte, wird der Dealer am Ende umgebracht.

Kann man vielleicht sagen, dass sie schuldige Charaktere, die eigentlich unschuldig sind, bevorzugen, wie etwa der Dieb in The Last Detail und der Frauenheld in Shampoo?
Ja, das trifft es vielleicht besser.

Sie sind nicht nur als Drehbuchautor bekannt, sondern auch als Scriptdoktor. Wie kamen Sie dazu?
Ich bin da zufällig reingestolpert und mache es natürlich teilweise auch, weil es gut bezahlt wird.

Wie kam es zu Ihrer Arbeit an Bonnie and Clyde?
Ich hatte mich mit Warren Beatty angefreundet. Er hatte ein Script von mir gelesen, das er mochte. Also zeigte er mir das Drehbuch von David Newman und Robert Benton und stellte mich Arthur Penn vor. Ich wurde nach meiner Meinung über das Buch gefragt, und sie fanden offenbar, meine Einwände seien so gut, dass ich die Änderungen auch selber machen sollte.

Danach entwickelte sich das von selber.
Genau. Man weiß vorher ja nicht, wie gut man etwas kann. Wie bei so vielen Dingen habe ich durch Zufall herausgefunden, dass ich sehe, was an einem Buch falsch ist. Und dass ich weiß, wie man es besser macht.

Ich kann mir vorstellen, dass Drehbuchautoren Scriptdoktoren nicht sonderlich mögen.
Klar, obwohl es natürlich immer auf den Drehbuchautor und deine Kompetenz als Scriptdoktor ankommt. Manchmal erkennt der Drehbuchautor natürlich, dass er Hilfe braucht. Francis Ford Coppola, der ja selber Drehbuchautor ist, hat mich etwa gefragt, ob ich ihm nicht bei einer Schlüsselszene von The Godfather helfen kann. Manchmal ist man ein guter Scriptdoktor, weil man das Drehbuch mag und es einfach nur noch besser machen will. Das ist natürlich der beste Weg. Einige der besten Drehbuchautoren waren auch berühmte Scriptdoktoren, wie etwa Ben Hecht.

Haben Sie auch selber schon Scriptdoktoren engagiert?
Ich habe auf jeden Fall viele Leute nach ihrer Meinung gefragt, besonders meine Frau. Wir brauchen alle Hilfe.

Warum müssen oft so viele Personen an einem Drehbuch schreiben? Das erinnert an Barockmalerei, wo es für einzelne Bestandteile eines Bildes extra Spezialisten gab.
Genau. So war das besonders in der Blütezeit Hollywoods. Ein Produzent wie Irving Thalberg bestimmte einfach: Ich brauche Dorothy Parker für eine lustige Szene, F. Scott Fitzgerald für eine romantische Szene, und so weiter. Das war schon immer so.

Diese berühmten Schriftsteller hätten sich Einmischungen bei ihren Romanen sicherlich verbeten.
Natürlich.

Aber was ist an einem Drehbuch schwieriger als an einem Roman, dass man so viele Leute braucht?
Man braucht sie ja nicht immer, aber es wird durch die besonderen Ansprüche einer Filmproduktion verkompliziert. Filmproduktionen geraten immer leicht außer Kontrolle, man kann nie vorhersehen, was alles passieren wird: Wenn Rollen neu besetzt werden, verlangt das Änderungen am Drehbuch, das Wetter kann nicht mitspielen, es kann Budgetprobleme geben. Es gibt zahlreiche Unwägbarkeiten, mit denen man rechnen und umgehen muss. Ein Roman ist ein Endprodukt, das Drehbuch hingegen ist nur die Architektur für einen Film. Wenn man ein Drehbuch schreibt, ist man ein wenig wie ein Wahrsager, der in eine Kristallkugel schaut. Man muss raten, und ein gutes Drehbuch rät häufiger richtig als falsch.

Schriftsteller wie F. Scott Fitzgerald schrieben Drehbücher nur, um Geld zu verdienen. Heute sind Drehbuchautoren respektierter.
Als ich begann, gab es die Haltung, dass „richtige“ Autoren Romane schreiben oder Dramen und nur nach Hollywood kommen, um Geld zu verdienen. Ich erinnere mich, dass ich James Agee gelesen habe, der Kritiker war und später auch großartiger Drehbuchschreiber von Filmen wie African Queen und The Night of the Hunter. Er meinte, er würde Filme lieben und sei zwar schon oft von schlechten Theaterstücken enttäuscht worden, aber nie von schlechten Filmen. Das kann man wahrscheinlich so nicht mehr sagen, weil er zu einer Zeit schrieb, als B-Movies zwar schlecht waren, aber Energie hatten und Spaß machten. Aber ich erinnere mich, dass ich dachte: Verdammt, so sehe ich das auch. Es interessiert mich nicht, ob es unehrenhaft ist, ich werde versuchen, Filme zu schreiben und Sachen zu machen, die man in diesem Medium noch nie gemacht hat.

Sie haben niemals versucht, einen Roman zu schreiben?
Niemals.

Und sie haben immer darauf geachtet, sich vernünftig bezahlen zu lassen.
Das habe ich versucht.

Ihr letzter Blockbuster war Mission: Impossible II. Regisseur John Woo gab Ihnen eine Beschreibung der Actionsequenzen, die er geplant hatte, und Sie sollten drum herum eine Handlung schreiben.
Ich fand das faszinierend.

Wäre deprimierend nicht treffender?
Es war aber auch eine Herausforderung, ein Problem, dass es zu lösen galt. Das waren vielleicht nicht die besten Umstände, ein Buch zu schreiben, aber Sie wären überrascht, was man unter solchen Bedingungen alles lernen kann.

 

Robert Towne wird am 23. November 1934 in Los Angeles geboren. Er wächst in der kalifornischen Hafenstadt San Pedro auf und sammelt nach dem Besuch einer Schauspielschule erste Erfahrungen als Drehbuchautor in Filmen von Roger Corman (The Last Woman on Earth, 1960; The Tomb of Ligeia, 1964). In der Folge arbeitet er an zahlreichen Drehbüchern mit, wie etwa an Arthur Penns Bonnie and Clyde (1967), Jack Nicholsons Drive, He Said (1971), in dem er auch als Darsteller auftritt, Bill Nortons Cisco Pike (1972), Hal Ashbys The Last Detail (1973) und Alan J. Pakulas Parallax View (1974). Der endgültige Durchbruch gelingt ihm 1975 mit Roman Polanskis Chinatown, für den er auch mit einem Oscar ausgezeichnet wird. In den späten 70er Jahren verbindet ihn mit Regisseur Hal Ashby und Schauspieler/Regisseur Warren Beatty eine langjährige Zusammenarbeit (Shampoo, 1975; Heaven Can Wait, 1978). Seine erste Regiearbeit realisiert er 1982 mit dem Drama Personal Best über zwei lesbische Sportlerinnen, es folgen der Thriller Tequila Sunrise und mit Without Limits (beide 1988) erneut ein Sportler-Drama. 1990 schreibt er mit The Two Jakes die Fortsetzung von Chinatown, Jack Nicholson übernimmt neben der Hauptrolle auch die Regie. In den 90er Jahren arbeitet Towne an verschiedenen Blockbustern wie der Grisham-Verfilmung The Firm und den ersten beiden Teilen von Mission: Impossible. Mit Ask the Dust schließt er 2006 nach dem Roman Ich – Arturo Bandini von John Fante an die Tradition des Neo-Noir an und inszeniert die Geschichte des italienischstämmigen Schriftstellers Bandini (Colin Farrell), der in Los Angeles zur Zeit der großen Depression auf Erfolg hofft. Als aktuelles Regieprojekt ist bereits seit Längerem das Remake von Alfred Hitchcocks Klassiker The 39 Steps angekündigt.