ray Filmmagazin » Interview » Emilio Estevez im Gespräch

Bobby – Emilio Estevez im Gespräch

Emilio Estevez im Gespräch

| Thomas Abeltshauser |

Emilio Estevez über seine Beziehung zu den Kennedys, den Krieg in Vietnam und die schwierige Darstellung von Politikern.

Werbung

Sie waren ein kleines Kind, als Robert Kennedy ermordet wurde. Was verbindet Sie mit ihm und diesem Ereignis? Erinnern Sie sich an den Tag, an dem er starb?
Daran kann ich mich sogar sehr gut erinnern. Ich war damals sechs Jahre alt, und wir waren bei meiner Großmutter in Ohio. Ich saß an diesem Morgen vor dem Fernseher und sah in den Nachrichten, dass Bobby Kennedy angeschossen wurde. Ich rannte sofort rauf in den ersten Stock zu meinem Vater, der noch schlief, und sagte: „Kennedy wurde erschossen.“ Ich konnte mich noch sehr gut daran erinnern, als Martin Luther King ermordet wurde. Ich wusste, dass da gerade etwas sehr Wichtiges passiert ist. Ich wusste, dass das ein bedeutender Moment in der Geschichte der amerikanischen Politik ist. Das war mir sogar als Sechsjährigem klar.

Warum hat es Sie all die Jahre nicht losgelassen, dass Sie nun, fast 40 Jahre später, einen Film darüber machen?
Im Jahr 2000 war ich bei einem Foto-Shooting im Hotel Ambassador, in dem das Attentat stattfand, und zwischen den Aufnahmen, als gerade mal wieder umgebaut wurde, bekam ich eine Führung durch das Hotel. Als ich in dem Raum stand, in dem Bobby Kennedy erschossen wurde, passierte etwas ganz Merkwürdiges. Ich hatte das Gefühl, als ob meine ganze Kindheit mich einholen würde. Ich erinnerte mich wieder daran, wo er erschossen wurde, erinnerte mich, wie ich ihm begegnet bin – all das war plötzlich wieder da. Und ich fragte mich: Warum hat eigentlich noch nie jemand einen Film darüber gemacht? Schließlich war es ganz sicher ein sehr bedeutender Augenblick in der Geschichte meines Landes. Warum sah niemand diese Bedeutung, um daraus einen Film zu machen? Also begann ich zu recherchieren und fand heraus, dass fünf andere Menschen mit ihm angeschossen wurden. Ich fand das auf eine Art symbolisch für die Wunden, die dem Land zugefügt wurden und an denen es nach dem Attentat litt. Wir wurden in dieser Nacht alle verwundet und haben uns nie ganz davon erholt. Diesen Aspekt fand ich sehr interessant, und ich begann zu schreiben.

War auch die aktuelle politische Lage eine Motivation?
Ich muss dazu sagen, dass ich das Drehbuch vor 9/11 beendet hatte, als die Welt auf den Kopf gestellt wurde. Trotzdem bin ich der Meinung, dass der Film jetzt mehr Aussagekraft und mehr Dinge anstößt, als wenn wir ihn davor gedreht hätten. Denn plötzlich befinden wir uns wieder in einem unpopulären Krieg, den 60 Prozent der amerikanischen Bevölkerung ablehnen. Wieder kommen junge Männer in Leichensäcken zurück nach Hause, nur wird es diesmal nicht mehr im Fernsehen gezeigt. Sie haben ihre Lektion aus Vietnam gelernt. Durch die Fotos kehrt die Vergangenheit zurück und brennt sich in unser Bewusstsein. Deswegen sehen wir sie jetzt nicht mehr.

Sie haben fast sieben Jahre gebraucht, um den Film zu realisieren, hatten mit Schreibblockaden zu kämpfen und gingen fast Pleite. Was hat Sie angetrieben? Und welche Kompromisse mussten Sie eingehen, um den Film machen zu können?
Ich denke, bei jedem Film geht es darum, Kompromisse zu machen. Selbst bei einem 100-Millionen-Dollar-Projekt gibt es einen gewissen Grad an Kompromissen, den man schlucken muss. Mein Film war nicht besonders kostspielig, und ich konnte ihn zu großen Teilen so realisieren, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Was mich bei der Stange hielt? Die Schauspieler. Sehr, sehr viele hatten das Drehbuch gelesen, und es passierte nicht selten, dass ich auf der Straße, im Restaurant oder auf einer Party von sehr bekannten Leuten angesprochen wurde: „Hey, wenn du den Bobby-Film machst, denk an mich. Ich will auf jeden Fall dabei sein.“ Es gab wirklich keinen Mangel an Talenten, die Teil dieses Films sein wollten. Als wir mit der Besetzung begannen, ging es nie darum, wen ich überreden und bekommen, sondern wem ich alles leider absagen muss. Es gibt eine ganze Reihe großer Namen, die in meinem Film sein wollten, denen ich aber einen Korb geben musste. Manchmal wünschte ich, es wären 40 Rollen gewesen und nicht nur 22.

Lag das am Drehbuch und den Rollen, oder gibt es ein neues politisches Bewusstsein in Hollywood?
Ich glaube, es ist eine Kombination aus beidem. Es gibt ein neues politisches Bewusstsein, vielen ist mittlerweile klar geworden, dass im Vorfeld und während des Irakkrieges massiv gelogen wurde, vor allem was die Existenz von Massenvernichtungswaffen angeht. Da hat sich etwas verändert. Wer sich noch vor einiger Zeit gegen den Krieg ausgesprochen hat, wie mein Vater es getan hat, wurde quasi an den Pranger gestellt. Heute fühlen sich die Menschen freier, ihre Meinung zu äußern.

Der Film hat ein beeindruckendes Staraufgebot. Hatten Sie keine Angst, dass die Zuschauer zu sehr von der Handlung abgelenkt würden, weil sie zu sehr darauf achten, welcher Star als nächstes auf der Leinwand auftaucht?
Ich war immer der Meinung, dass der Film große Namen verträgt, denn der größte Star ist Bobby Kennedy selbst. An den reicht niemand heran. Und da jeder nur recht kurz auf der Leinwand zu sehen ist, habe ich mich auf das Image-Päckchen verlassen, dass jeder mitbringt. Ob das nun gut oder schlecht war, aber jeder wird wiedererkannt, mit jedem verbinden die Zuschauer bestimmte Dinge. Da wir für jede einzelne Figur so wenig Zeit haben, kennt man sie so schon ein wenig, wenn man sie zum ersten Mal sieht, vorgegeben durch die Vorstellungen, die wir davon haben, wer Helen Hunt ist oder Demi Moore oder Sharon Stone. Meine Hoffnung war aber immer, dass die Schauspieler irgendwann hinter ihren Rollen verschwinden: Ich denke, das hat auch funktioniert.

Aber sie spielen schon sehr mit dem möglichen Film- und Gossip-Wissen des Zuschauers, wenn Sie zum Beispiel Ihre Ex-Freundin Demi Moore als Ihre launische, dem Alkohol zusprechende Ehefrau besetzen, unter der Sie als fürsorglicher Ehemann zu leiden haben.
Das war gar nicht so als Insider-Joke gedacht. Ich habe jede Rolle mit der Person besetzt, die ich dafür als am besten geeignet hielt. Ich konnte mir Demi einfach immer wunderbar als Virginia vorstellen. Dass ich ihren Mann spiele, liegt schlicht daran, dass es die Figur ist, die während des gesamten Drehs immer wieder im Einsatz ist. Die meisten Darsteller haben fünf oder acht Tage gearbeitet, nur diese Figur war immer wieder dran. Da ich als Regisseur ohnehin da sein musste, dachte ich mir, kann ich die Rolle am besten gleich selbst übernehmen. Es war also eher eine pragmatische Entscheidung, nicht als ein bewusster Wink an das Publikum gedacht.

Sie kommen selbst aus einer Familie, die sehr prominent ist: Ihr Vater Martin Sheen und ihr Bruder Charlie Sheen sind bekannte Schauspieler, mit ihrem Vater haben Sie sich auch immer wieder politisch engagiert. Identifizieren Sie sich deshalb so sehr mit den Kennedys?
Es gibt einige Parallelen zwischen dem Kennedy-Clan und dem Sheen-Clan, das stimmt, nur haben wir nicht das Geld, das sie haben. Wir sind auch nicht ganz so berüchtigt. Aber wir empfanden immer sehr viel Liebe und Respekt für die Kennedys, und in den letzten 30 Jahren gab es eine Verbindung zwischen den Familien. Ich war natürlich besorgt, dass ich sie mit dem Film verärgern könnte. Terry Kennedy wusste, dass ich an diesem Film arbeite, und sie war sehr skeptisch. Letztes Jahr kam sie zu Besuch, und ich zeigte ihr einige Szenen, die sie offenbar sehr berührten und beruhigten, weil sie sah, dass wir das Leben ihres Vaters respektieren. Es ist kein Biopic, und es wird keine schmutzige Wäsche gewaschen.

Wann und warum haben Sie sich dazu entschieden, die Geschichten dieser Menschen im Hotel zu erzählen, am Tag vor dem Attentat, welches nur gegen Ende des Films selbst vorkommt?
Dahinter stand die Idee, dass wir nicht wissen, wohin uns das Leben führt. Wir wissen nicht, was uns der Tag bescheren wird. Aber wenn man einen historischen Film dreht, weiß das Publikum, was passieren wird. Es wird dann auf eine Art wie Titanic: Das Schiff wird den Eisberg rammen, man weiß, dass es passiert. Ich sehe meinen Film als Passionsspiel. Wir wissen, dass das Attentat stattfinden wird. Wir wissen, was die Protagonisten nicht wissen. Also ging es mir darum zu zeigen, was vorher passiert. Jeder denkt, dass sein eigenes Leben unglaublich wichtig ist. Aber das ist es nicht. Am Ende des Abends liegen ganz normale Bürger neben dem angeschossenen Senator. Meine Idee war es, diese Geschichten ganz normaler Leute zu erzählen, die sich nicht ausgesucht haben, im Epizentrum einer der wichtigsten Ereignisse der amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu sein. Ja, es ist trivial und banal. Aber so ist das Leben: trivial und unbedeutend. Aber dann gibt es diese Momente, die mit Abstand betrachtet, plötzlich sehr bedeutend werden. Das finde ich so faszinierend am Leben: Man weiß nie, wo man landet, wo einen das Schicksal hinträgt.

Was sind Ihrer Meinung nach die Unterschiede zwischen 1968 und heute?
Ganz ehrlich: sehr, sehr wenige. Wir haben uns die letzten 40 Jahre eher zurück- als weiterentwickelt. Wenn man sich die Rede Robert Kennedys am Ende des Films anhört, wie er von Umweltschutz und Menschlichkeit spricht: Da sind wir heute tatsächlich keinen Schritt weiter, im Gegenteil. Und das tut wirklich weh. Zu sehen, dass wir uns nicht weiterentwickelt haben.

Im nächsten Jahr stehen US-Präsidentschaftswahlen an. Gibt es irgendwo einen neuen Bobby?
Ich weiß es nicht. Jeder ist sich seiner selbst so bewusst, es geht eher um das Politikerdarstellen als um das Politikersein. Keiner spricht mehr frei von der Leber, es geht nur noch um die Soundbites, die sendefähigen Zitate, wie sie aussehen. Es geht  um die Medienberater, um Image statt Message. Ich kann Ihnen die Message von Barack Obama nicht nennen, ich kann Ihnen nicht sagen, wofür Hillary Clinton steht. Ich weiß es nicht. Wir haben ein sehr hohes Maß an Unwahrhaftigkeit, und das riechen die Leute, vor allem die jungen. Sie kriegen mit, dass sie an der Nase herumgeführt werden und ziehen sich zurück.

Der Film war ein ziemlicher Flop in den USA. Ist er zu anspruchsvoll für ein breites Publikum?
Ich habe keine Ahnung. Er wurde als politischer Film verkauft, und das ist er nicht. Das war ein Fehler. Die Politik bildet den Hintergrund, aber es geht nicht um Politik. Es geht um Menschlichkeit. Aber darauf hatte ich keinen Einfluss. Aber vielleicht läuft er in Europa ja besser. Auf seine Art hat er auch eher eine europäische Sensibilität.

Sie hatten etliche Hochs und Tiefs in Ihrer Karriere, The Breakfast Club ist bis heute ein Klassiker, in den letzten Jahren hatten Sie hingegen eher Misserfolge zu verzeichnen. Was haben Sie daraus gelernt? Welche Einstellung haben Sie heute dem Hollywood-System gegenüber?
Nicht aufgeben. Niemand ist ersetzbar. Jeder hat etwas zu bieten. Wir haben alle unseren Wert. Ich bin jetzt seit 25 Jahren dabei – und habe überlebt. Das macht mich relativ sicher, dass ich weitere 25 Jahre dabei sein werde.