ray Filmmagazin » Crossing Europe » Warten auf den Durchbruch

Schwerpunkt Crossing Eastern Europe – Warten auf den Durchbruch

Warten auf den Durchbruch

| Wojciech Diduszko |

In Polen steht billiges Komödien-Reklamekino hoch im Kurs, die alten Meister schwächeln. Mit der Gründung des Polnischen Filminstituts wird es aber auch für ambitionierte Talente Zeit, sich  zu beweisen.

Werbung

2007 ist das Jahr der Hoffnung für die Filmszene Polens. Im Vorjahr gelang es endlich, nach vielen Jahren des Bemühens, der politischen Interventionen und der mühseligen Treffen, ein Polnisches Filminstitut (P.S.E.F.) zu etablieren. Es ist dies eine Institution, die im Großen und Ganzen der britischen Film Policy Review Group ähnelt (obwohl es viele Details gibt, die den lokalen Umständen angepasst sind) – und die die Aufgabe hat, die Entwicklung des polnischen Kinos durch finanzielle Unterstützung der Produktion, Ausbau des Programmkino-Netzes sowie Verbreitung der Kinokultur im Allgemeinen zu unterstützen.

Opas Kino

In letzterem Punkt erkennt man die Idee der Initiatoren, sich am französischen Modell zu orientieren – wo es für Schüler zur Normalität gehört, über die Werke Jean Vigos oder Erich von Stroheims zu diskutieren. Mit Hilfe des Filminstituts soll es nun in polnischen Schulen ähnlich ablaufen. Bis dahin wartet auf die polnischen Filmemacher allerdings viel Arbeit. Man kann sagen, dass die gesamten 90er Jahre eine Zeit der Stagnation waren, deren Auswirkungen bis heute spürbar sind. Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit 1989 konnten sich die polnischen Kulturschaffenden mit den gnadenlosen Spielregeln der freien Marktwirtschaft offensichtlich nicht anfreunden. In der Folge setzte sich in Polen die US-amerikanische Filmindustrie durch, die dem ausgehungerten polnischen Publikum die ersehnte Unterhaltung à la Traumfabrik bot. Auch die alten polnischen Meister ergaben sich kampflos. Andrzej Wajda, Krzysztof Zanussi, diese auf der ganzen Welt bekannten Filmschaffenden, drehen bis heute Filme, doch sie schaffen es nicht (mehr), einen Draht zum polnischen Publikum zu finden. Im Falle Wajdas, der im Jahr 2000 mit einem Oscar für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, kann man eigentlich nur von einem bedeutenden Film – Pan Tadeusz (1999) – sprechen. Dieses Nationalepos stellt Szenen aus der bewegten polnischen Geschichte des 19. Jahrhunderts dar, ist ein Schatz der polnischen Mythologie und wurde von sieben Millionen Kinobesuchern gesehen. Böse Zungen meinen allerdings, dass die hohen Besucherzahlen nicht künstlerischen Faktoren geschuldet waren, sondern eher der Faulheit der Schüler, die sich, anstatt die geschriebene Pflichtliteratur durchzuackern, lieber für einen Kinobesuch entschieden.

Wajdas Film stand stellvertretend für eine Tendenz im polnischen Kino, die man bösartig als „Kino des Abgesicherten“ bezeichnen könnte. Ältere Regisseure, Kenner ihres Handwerks – neben Wajda auch Jerzy Hoffman, Jerzy Kawalerowicz (in den 60er Jahren in Cannes für die Filme Night Train und Pharao ausgezeichnet) und Filip Bajon –, enttäuschen das Publikum mit immer weniger gelungenen Produktionen. Andrzej Wajda half bei Zemsta (2002) nicht einmal das Mitwirken seines alten Schulkollegen Roman Polanski. Obwohl alles in bester Ordnung zu sein schien (es entstanden Filme, das Publikum ging ins Kino, die Banken bewilligten gerne Kredite für die nächsten Produktionen): Der Welt gegenüber verschloss sich das polnische Kino mehr und mehr. Das führte zu notorischer Abwesenheit bei den großen internationalen Filmfestivals. Hermetische, nur für das polnische Publikum verständliche Adaptionen hatten keine Chance auf einen internationalen Durchbruch. Pan Tadeusz wurde zwar von Les Films du Losange (Haneke, Rohmer, Truffaut) gekauft, die Firma organisierte eine festliche Premiere auf den Champs-Elysées, doch der Film wurde vom französischen Publikum mehr als kühl aufgenommen.

The Polish Dream

Ein anderes Phänomen im polnischen Kino, das die Kinosäle füllt und außerhalb der Grenzen praktisch unbekannt bleibt, sind romantische Komödien. Jahr für Jahr schaffen es die Filme des Regisseurs Ryszard Zatorski, fünf Millionen Zuschauer zu überzeugen und für Verwunderung bei den Filmkritikern zu sorgen. Vergeblich sucht man in diesem Genre nach Werken, die sich mit intelligenten französischen Komödien oder auch Notting Hill messen können, die sowohl das geübte Publikum als auch weniger geschulte Kinogeher zufrieden stellen würden. Es sind rasch zusammengestückelte, äußerst schematische Adaptionen der so genannten „Frauenliteratur“, die die Liebesabenteuer der wohlhabenden neuen polnischen Mittelklasse beschreiben. Zatorskis Filme sind klassische Beispiele für die Realisierung des „polish dream“ auf der Leinwand –
alle haben hier ein Häuschen mit Garten, fahren in die Arbeit mit einem Luxusauto, und nach dem Lunch treffen sie Freunde zum Squash. Man muss nicht erwähnen, dass 99 Prozent der Zuseher eine solche Welt nur aus der Fernsehwerbung kennen. Es sind keine Filme, sondern bloß filmähnliche Produktionen, und aus noch einem Grund haben sie mehr mit Reklame als mit Film zu tun: Sie sind voll gestopft mit Product Placement. Weil aber das Publikum begierig ist nach Unterhaltung in polnischer Sprache, hat ein „Werk“ dieser Art zumeist sogar höhere Zuschauerzahlen als US-amerikanische Filme. Das ist insofern interessant, als sich laut Internetumfragen die polnischen Zuschauer durchaus der Tatsache bewusst sind, dass es sich hier nicht gerade um Filme mit Niveau handelt. Dennoch werden massenhaft Tickets für Filme gekauft, die immer mehr an Bollywood-Produktionen erinnern. Sie sind ähnlich kitschig, von der Realität abgehoben und weit entfernt von jeglichem logischen Drehbuchaufbau.

Wie sieht es nun mit der künstlerischen Seite aus? Filme von Ken Loach, Pedro Almodóvar oder Wong Kar-wai locken zwischen 100 und 100.000 Zuseher an, finden also höchst unterschiedlichen Zuspruch. Was die nationale Produktion betrifft, sollen nun nach den mageren Jahren die fetten kommen. Ein Anzeichen dafür ist die konstante Aufwärtsentwicklung von „Neue Horizonte“, des größten Filmfestivals des ambitionierten Kinos, das Ende Juli in Wroclaw (Breslau) stattfindet. Das interessierte Publikum kommt nicht nur aus Polen, sondern auch aus Tschechien oder Deutschland. Hier kann man neue Werke jener sehen, die zur Entwicklung der Kunst und der Filmsprache beitragen. Doch sind auch die Schwächen dieses Kinos unübersehbar. Vor einigen Jahren hat Slawomir Fabicki, der mit dem Kurzfilm Meska sprawa (Männersache, 2001) für den Oscar nominiert worden war, sein Talent aufblitzen lassen. Doch sein Langspielfilmdebüt Zodzysku (Retrieval, 2006) muss man als Niederlage verbuchen. Die Geschichte handelt von einem Jungen aus Schlesien – ein verarmtes, postindustrielles Gebiet Polens mit sehr hoher Arbeitslosigkeit –, der sich, um sein Brot zu verdienen, außerhalb der Gesetze stellen muss. Der lange erwartete Film ist ebenso wenig authentisch wie die von Luxus triefenden romantischen Komödien, und fand auch beim Publikum keine Anerkennung. Ein größerer, auch künstlerischer Erfolg war Oda do radosci (Ode an die Freude, 2005, gezeigt u.a. beim Filmfestival in Rotterdam und zuletzt bei EU XXL in Krems), ein Episodenfilm dreier junger Regisseure – Anna Kazejak, Jan Komasa und Maciej Migas –, die vom Leben dreier junger Polen erzählen: eines jungen HipHoppers, der gezwungen ist, sich dem System zu beugen, eines Mädchens, das aus England nach Hause zurückkommt, sowie eines jungen Fischers, der von der Emigration träumt. Ode an die Freude ist das Porträt einer ganzen Generation verlorener Idealisten, die zwischen Kommunismus und Kapitalismus am Rande der großen Veränderungen existieren und mit der eigenen Sensibilität nicht zu Rande kommen. Dieser energiegeladene und sehr effektiv inszenierte Film kann dem westlichen Zuschauer viel über das gegenwärtige Polen erzählen. Man kann den Film (mit englischen Untertiteln) übrigens legal aus dem Netz herunterladen (www.itvp.pl/oda).

Die Zukunft

Das nächste erwähnenswerte Werk ist jenes von Krzysztof Krauze, der vor zwei Jahren den Hauptpreis beim Filmfestival in Karlovy Vary für den Film Moj Nikifor (Mein Nikifor, 2004) erhielt und damit immerhin Favoriten wie Raoul Ruíz, Pawel Czuchraj und Martin Šulik hinter sich ließ. Krauze erzählt mit meisterhafter Präzision aus dem Leben des autodidakten und spät berühmten Malers, der 1968 starb. Es ist der mit Abstand beste polnische Film der letzten Jahre, realisiert im Sinn eines europäischen Kinos – eine kluge, bewegende Erzählung über einen genialen, am Rande der Gesellschaft lebenden Künstler, weit weg von der Schablonenhaftigkeit des Hollywood-Kinos. Der Regisseur widerstand der Versuchung, das Genie zu „analysieren“, stattdessen begnügte er sich mit der intelligenten Beobachtung von Nikifors letzten Lebensjahren, zeigte seine Inspirationsquellen (überwältigende Berglandschaften und die atemberaubende Natur des polnisch-ukrainischen Grenzgebiets) und schuf so ein kraftvolles, gültiges Porträt. Den künstlerischen Wert der Bilder betonen die Auszeichnungen, die die Kameraleute auf dem Prestigefilmfestival Camerimage entgegennahmen.

Zwei weitere Filme Krzysztof Krauzes – Dlug (Die Schuld, 1999) sowie Plac Zbawiciela (Saviour Square, 2006) – wurden in Polen mit Preisen überhäuft. Sie zeigen ein beunruhigendes Bild der Gesellschaft, in der das Geld eine immer größere Rolle spielt und am Ende für die Zerstörung der zwischenmenschlichen Beziehungen verantwortlich ist. Das wäre per se nichts Neues, doch durch das hervorragende Schauspiel (Krauze verlangt von seinen Akteuren, ähnlich wie Mike Leigh, intensive Identifikation mit ihren Rollen) und die sorgfältig geschriebenen Drehbücher erhalten diese Filme große Aussagekraft und haben den Gestus der antikapitalistischen Anklage.

In Dlug geht es um zwei flinke Unternehmer, die eine nicht existierende Schuld zurückzahlen sollen. Darauf beschließen sie, ihren Verfolger zu töten. Im Hintergrund ist das zeitgenössische Polen zu sehen: eine unbeholfene Polizei, ein schwach funktionierender Staat, hoch motivierte polnische Businessmänner, die überall blühende Wirtschaft, erste Liebe und die großen Lebensentscheidungen. Und über allem steht ein dämonischer Gangster, der geschickt seine Opfer manipuliert. In Plac Zbawiciela ist ein junges Ehepaar das Opfer eines betrügerischen Finanzberaters, dem es seine gesamten Ersparnisse anvertraut. Mit dem finanziellen Drama beginnt für die Familie die Hölle, in welcher sich alle möglichen Ängste der Gesellschaft manifestieren.

Interessant: An beiden Filmen kann man erkennen, dass der Filmemacher – ein deklarierter Agnostiker – in einem Land aufwuchs, das vom Katholizismus durchdrungen ist. Die Helden haben die Chance, sich von ihrer Schuld freizumachen. Dafür müssen sie ihre Verfehlungen eingestehen und Buße tun. Die Stärke des Regisseurs liegt in der überzeugenden Darstellung solcher moralischen Entscheidungen. Krauze gehört mit Sicherheit zu den Hoffnungsträgern des polnischen Kinos – auf seine neuen Filme warten sowohl das Publikum als auch die Kritiker sehnsüchtig.

Post mortem, ein historisches Werk von Andrzej Wajda, weckt ebenfalls große Hoffnungen. Mit diesem Film setzt der Filmemacher seinem Vater und den anderen 20.000 polnischen Offizieren, die 1940 von Bolschewiken in den russischen Wäldern bei Katyn ermordet wurden, ein Denkmal. Von Wajda ist ein kluges Werk über die persönliche Tragödie zu erwarten. Bei den Pressekonferenzen wies der Regisseur jegliche antirussische Ressentiments von sich.

Die erste Hälfte des Jahres 2007 ist eine Zeit des Wartens. Im Herbst sollen die ersten Filme, die mit Hilfe des neuen Polnischen Filminstituts realisiert worden sind, in die Kinos kommen. Ob das polnische Filmschaffen sich endlich mit dem seiner Nachbarn wird vergleichen können? Dürfen wir endlich ein polnisches Das Leben der Anderen, ein polnisches Burnt by the Sun oder ein polnisches Kolya erwarten? Die besten polnischen Filmemacher – Krzysztof Kieslowski, Andrzej Wajda, Krzysztof Zanussi – waren früher auf der ganzen Welt berühmt. Sie stellten für die kommunistische Regierung, die mit dem Geld für Filmproduktionen nicht knausrig war, die Feigenblätter dar. Ihre potenziellen Nachfolger, die in der freien Marktwirtschaft tätig sind, haben sich bislang über zu wenig Rückendeckung von Seiten des Staates beklagt. Jetzt aber gibt es keine Ausreden mehr. Es wird Zeit, sein Talent zu beweisen.

Wojciech Diduszko
Geboren 1979 in Warschau. Studierte Film an der Jagiellonen-Universität in Krakau. Er arbeitet in der Filmabteilung von TVP Kultura, einem Kanal des öffentlich-rechtlichen polnischen Fernsehens.

Übersetzung aus dem Polnischen: Magdalena Blaszczuk