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Schwerpunkt China – Zwischen den Welten

Zwischen den Welten

| Wolfgang Popp |

Er lebte als Chinese in Paris, studierte als Buddhist die westliche Kunsttheorie, existierte als Todkranker unter Lebenden. Der Installationskünstler Chen Zhen bewegte sich bewusst zwischen Gegensätzen. Die Kunsthalle Wien widmet ihm eine umfassende Werkschau.

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Jue Chang – Dancing Body / Drumming Mind (The Last Song), eine der weiträumigsten Arbeiten Chen Zhens, wird im Zentrum der Wiener Ausstellung stehen. Mehr als hundert Tische und Betten aus den verschiedensten Weltregionen, alle mit Leder bespannt, pendeln von einer einfachen Balkenkonstruktion und bilden ein überdimensioniertes, vielstimmiges Schlaginstrument. Gespielt werden kann es mit Zweigen, Polizeischlagstöcken und Steinen. Der viel zitierte clash of cultures soll hier im wortwörtlichen Sinn an- und durchklingen.

Das Aufeinandertreffen völlig gegensätzlicher Kulturen hatte Chen Zhen am eigenen Leib erfahren. Geboren 1955 in Shanghai durchlebte er seine Jugend während der Kulturrevolution. Nach ersten Versuchen als Maler verließ er, bereits jenseits der dreißig, seine Heimatstadt in Richtung Paris. Sein Bruder, der dort Medizin studierte, hatte ihn zu sich eingeladen. Chen Zhen kam und blieb: Völlig mittellos hauste er die nächsten vier Jahre auf bescheidenen zwölf Quadratmetern und verbrachte seine Zeit damit, westliche Kunstgeschichte zu studieren, die Sprache und das Leben an diesem neuen Ort zu „lernen“. Am Ende dieser „Lehr- und Wanderjahre“ hatte er seinen Platz gefunden. Nicht in der neuen Kultur, sondern in einem amorphen Zwischenraum, in dem Ost und West durch „keine Theorien, Strukturen oder Systeme“ verbunden waren. Transexperience nannte er diesen Zustand, der für sein Leben und seine Arbeit fortan bestimmend blieb und es ihm jederzeit erlaubte, sich in alle Richtungen zu bewegen und zu entwickeln. In diesen Zustand des Übergangs wollte er auch die Dinge versetzen. Anders als die westliche Philosophie sah er sie nicht als fixe Entitäten, sondern in konstanter Bewegung und Veränderung begriffen. In verschiedenen Ritualen – mit Wasser und Asche – versuchte er, sie von ihren festgeschriebenen Funktionen zu „reinigen“. In Wien ist sein Purification Room zu sehen, ein Zimmer mit Couch und Kästen, Bücher stapeln sich auf dem Boden, vor einem Sessel liegt ein Paar achtlos hingeworfener Sportschuhe. Überzogen ist das Ganze mit einer Schlammschicht. Indem Chen Zhen die Dinge unbenutzbar macht und von ihrem Zweck befreit, lässt er ihr „zweites Leben“ und ihre neue Aura sichtbar werden.

Ein weiteres bestimmendes Element in Chen Zhens Arbeit war eine unheilbare Form der Leukämie, an der er mehr als 20 Jahre lang laborierte und an der er im Jahr 2000 im Alter von nur 45 Jahren starb. Seine Suche nach verschiedenen Therapieformen und seine Behandlungen sah er als kreativen Prozess. Für ihn verband sich hier ganz unmittelbar sein Leben mit seiner Kunst. Becoming a Doctor nannte er kurz vor seinem Tod ein Projekt, das Utopie bleiben sollte: „In China sagt man, dass jemand, der lange genug Patient war, auch ohne Studium ein guter Arzt werden kann. Es geht mir jetzt darum, Arzt zu werden. Ich habe es genau vor Augen, das Schild mit der Aufschrift ‚Doktor Chen Zhen‘ an der Tür zu meinem Atelier.“

Als „Wanderer zwischen den Welten“ hatte Chen Zhen die Erfahrung gemacht, dass sich Gegensätze, wo immer sie auftraten, nicht vereinen ließen. So sprach er oft vom „ewigen Missverstehen“ zwischen den Kulturen, was ihn aber nicht davon abhielt, immer neue Möglichkeiten der Verständigung zu suchen. Vielleicht gleicht Chen Zhen damit einem postmodernen Sisyphus, dem es nicht so wichtig war, den Stein auf den Berg, als vielmehr ihn überhaupt zum Rollen zu bringen.

Chen Zhen. Der Körper als Landschaft
25. Mai bis 16. September, Kunsthalle Wien
www.kunsthallewien.at

Wolfgang Popp
Studierte Sinologie und Geschichte. Zweijähriger Aufenthalt in und zahlreiche Reisen nach China. Arbietet als freier Kulturredakteur bei Ö1 und ORF-Fernsehen.