ray Filmmagazin » Dokumentarfilm » Der große Ausverkauf

Der große Ausverkauf

| Alexandra Seitz |

Einer jener Filme, bei denen man sich an den Kopf greift und sich fragt, ob die Menschheit eigentlich noch ganz bei Trost ist.

Werbung

Eine Frau in Manila kann sich die Dialyse für ihren kranken Sohn nicht mehr leisten und muss sich von einer Gesundheitsbürokratin sagen lassen, sie solle sich damit abfinden, dass er stirbt. Die Leute im Township von Soweto mögen ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben, um sich ein bescheidenes Häuschen leisten zu können, nun aber sitzen sie in Finsternis und Kälte, weil der Strompreis in astronomische Höhen gestiegen ist. Und im bolivianischen Cochabamba wird ein Gesetz verabschiedet, das den Einwohnern das Sammeln von Regenwasser verbietet, um den Profit des Wasserversorgers nicht zu gefährden. Wer denkt, das seien lediglich Schauermärchen aus der so genannten Dritten Welt, die praktischerweise weit weg ist, den belehren die Erzählungen eines Lokführers über die Zustände bei der britischen Eisenbahn eines anderen; illustriert werden sie mit Aufnahmen von heruntergekommenen Bahnhöfen, die durchaus in Slums liegen könnten.

Das Zauberwort, das diesen Wahnwitz erklärt, lautet Privatisierung, und Florian Opitz hat mit Der grosse Ausverkauf einen klugen Dokumentarfilm über ihre Folgen gedreht. Dabei behelligt er sein Publikum nicht mit einem belehrenden Off-Kommentar und er verzichtet auch auf den pseudo-objektiven Standpunkt des neutralen Beobachters. Vor allem aber geht er nicht in die Falle einer Ästhetisierung des Elends, in der sich so viele Dokumentarfilme der letzten Zeit verfingen. Stattdessen montiert er beispielhaft vier Privatisierungsfälle und zeigt den Widerstand dagegen. Der reicht vom täglichen Kampf Minda Lorandos um die Behandlung ihres Sohnes über das Soweto Electricity Crisis Committee, das gekappte Stromanschlüsse wiederherstellt, bis hin zum „Wasserkrieg“ von Cochabamba, der im Jahr 2000 sieben Menschenleben forderte und mit dem Rückzug des Konzerns endete. Dazwischen kommt Joseph E. Stiglitz, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften und Kritiker der neoliberalen Ideologie, zu Wort. Er stellt den Zusammenhang zwischen Privatisierung und Globalisierung her und erklärt die verhängnisvolle Rolle, die Weltbank und Internationaler Währungsfonds bei der Durchsetzung dieser Profitmaximierungsstrategie spielen.

Vier Jahre Arbeit stecken in Der grosse Ausverkauf. Vier Jahre, in denen es Florian Opitz gelungen ist, ein abstraktes Thema als unmittelbar packende Geschichte mutiger Menschen zu erfassen. Deren größtes Verdienst aber liegt in ihrem Vertrauen auf Solidarität.