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Filmfestival Innsbruck – Eine Reise um die Welt

Eine Reise um die Welt

| Walter Gasperi |

Das Dokumentarfilmprogramm des Innsbrucker Festivals bietet Einblicke in den sozialen und politischen Alltag von Argentinien bis in die Türkei. Ein Überblick.

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„Weitersehen – weiter sehen“ lautet das Motto des Fes­tivals, und Blicke in die Ferne ermöglichen auch die 18 Dokumentarfilme des Programms. Historische Recherchen wie Ein Lied für Argyris, in dem Stefan Haupt das Leben eines Griechen, der als Kind ein SS-Massaker überlebte, nachzeichnet, und Pierre-Yves Vandeweerds Erinnerung an politische Gefangene in Mauretanien (Le cercle des noyés) stellen die Ausnahmen dar, das Gros machen beobachtende Dokumentarfilme aus, die den Status quo wiedergeben, nah an die Menschen rücken und im Individuellen gesellschaftliche Probleme und Umwälzungen sichtbar machen.

Die Schweizerin Corinne Kuenzli beobachtet in Sweeping Addis vier Straßenkehrerinnen bei ihrer Arbeit in der äthio-pischen Hauptstadt Addis Abeba und lässt sie von ihren Sorgen und Hoffnungen erzählen. Unters einfache Volk hat sich auch Fernando Solanas gemischt: Nach Memoria del saqueo, in dem der argentinische Altmeister zornig mit den Wirtschaftsbossen und Politikern seiner Heimat abgerechnete, dokumentiert er nun in La dignidad de los nadies anhand bewegender kleiner Porträts den Überlebenswillen und die Selbsthilfemaßnahmen des Volkes. Durch seinen unerschütterlichen Glauben an seine Landsleute verbreitet dieser zweite Teil einer geplanten Tetralogie über die wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage Argentiniens dennoch Optimismus.

Vom Schicksal Einzelner geht auch der Inder Asim Ahluwalia aus, der in John and Jane moderne Arbeitswelten ins Zentrum rückt: Ahluwalia folgt sechs call agents, die in einem Call Center im indischen Mumbai Anrufe von amerikanischen Kunden entgegennehmen. Einerseits werden dabei Fragen nach Identität in einer globalisierten und virtuellen Welt aufgeworfen, wenn die Telefonisten sich bei der Arbeit als Amerikaner ausgeben müssen, anderseits thematisiert John and Jane auch das Aufeinanderprallen von Moderne und Tradition. Denn das Glas- und Stahlgebäude am Stadtrand steht im Kontrast zum Bild der alten indischen Millionenstadt.

Fremdkörper stellen auch die neuen Siedlungen zwischen den größeren türkischen Küstenstädten dar, in denen so genannte „Deutschländer“, zumeist Türken, die viele Jahre im Ausland gearbeitet haben, ihren Lebensabend genießen wollen. In Am Rande der Städte porträtiert Aysun Bademsoy solche Arbeitsmigranten und zeigt, dass sie zwar zurückgekehrt, aber letztlich nicht heimgekehrt sind. Dem Neu- und Aufbau steht der Verfall in Havanna – Die neue Kunst, Ruinen zu bauen gegenüber. Einst galt die kubanische Hauptstadt als die „Perle der Karibik“, heute stehen Hauseinstürze mit Toten auf der Tagesordnung. Florian Borchmeyer porträtiert fünf Bewohner Havannas, die in solchen einsturzgefährdeten Gebäuden leben, und beschwört gleichzeitig in atmosphärisch dichten und poetischen Bildern den Zauber des alten Havanna.