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Identities – Festival-Leiterin Barbara Reumüller im Gespräch

| Hans Christian Leitich |

Die siebente Auflage des Festivals bedeutet auch einen Rückblick auf rund 15 Jahre. Hat sich das Verständnis von queer geändert oder verschoben?
Allerdings. Als wir begonnen haben, konnten die Menschen „queer“ nicht von „quer“ unterscheiden – das ist kein Scherz, das ist ein echtes Bonmot. Nun ist die positiv besetzte Verwendung des Begriffs in den letzten Jahren extensiv angewachsen, im Sinne einer queeren Aneignung, auf Universitäten, bei Veranstaltungen, durch die Community usw. Queer hat dabei oft den „altmodischen“ Begriff lesBischwul ersetzt, weil‘s feiner und hipper klingt. Ersetzen ist aber nicht im Sinne des Begriffs, weil „queer“ einen deutlich anderen, transgressiveren Ansatz hat, Hetero-Normativität und gegebene Geschlechter(rollen) grundsätzlich in Frage stellt. Ein queerer Ansatz hinterfragt die biologisch gefasste Konstruiertheit eines Normativs.Queere Grundhaltung ist, die Idee des „natürlich Gegebenen“ infrage zu stellen, im Wissen, dass dieses in Wahrheit auf sozialen Konventionen und Konstruktionen fußt. Den Begriff  des „New Queer Cinema“ hat die US-Kulturwissenschaftlerin B. Ruby Rich 1991 in einem Artikel in der Village Voice geprägt, und das Schlagwort ist über die Zeitschrift Sight and Soundein Jahr später nach Europa gekommen. Er war die prägende Idee und Grundhaltung, die der Festival-Neugründung Namen und Richtung programmatisch gegeben hat, nachdem zu diesem Zeitpunkt das alte lesBischwule – eigentlich primär schwule – Wiener Festival friedlich entschlafen war.

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Wie viel Akzeptanz hat identities seither erlangt? Und welche Wirkung?
Eine hohe Akzeptanz. Das passierte einfach wegen des hohen Programmanspruchs und der eindrucksvollen Besucherzahlen; in diesem Sinne sind wir ein erfolgreiches Spartenfestival wie andere auch. Auswirkungen? Je nach Blickrichtung. Innerhalb des Wiener Kulturlebens nicht unbedeutend als immerhin zweitgrößtes Filmfestival der Stadt, deutlich wahrnehmbares City-Event, großes Medienecho, breite Berichterstattung, tolle, andere Stimmung, die auch Branchenkenner als außergewöhnlich bezeichnen. In der Community sehr emotional, freudig, ausgelassen, entspannt, neugierig, fordernd, es gibt ihr eine Woche lang einen Rahmen für Gedankenaustausch, es stärkt sie. Auch im weiteren Kreis der allgemein Filminteressierten ist die Wirkung beträchtlich. Das Problem dabei ist: Es sollte das ganze Jahr Festivalstimmung sein, Sichtbarkeit, selbstverständliches Miteinander, damit in tagtäglicher Konfrontation jenes Gesellschaftsbildes, das mit verschiedenen Formen von Lebensrealitäten und sexuellen Ausdrucksformen nicht umgehen kann, nachhaltig verändert wird. Dazu bräuchte es eine mutige Gleichstellungspolitik (übrigens nicht nur bezüglich gleichgeschlechtlicher Partnerschaften), ein nachhaltiges Umdenken in den Medien, eine medial vermittelte Diversität von Geschlechterrollen, Familienmodellen, Heimat, Identität, Migration, eine offene Gesellschaft und eine Präsenz all dessen im ORF. Gegen zähe Traditionsmassen anzuschieben, mit noch so viel Elan, ist eben nur eine von vielen Ebenen, auf der Veränderung passieren kann und muss. Und da zeigt sich leider, wie Veränderungs-unwillig Österreich ist. Es wird getan, als sei eh alles okay, als werde es sich schon irgendwie regeln. Nein, das ist es nicht! Es ist eine Grundfrage: Wie geht eine Mehrheitsgesellschaft mit „Minderheiten(themen)“ um? Der Grad an Gesellschaftsreife ist absolut nicht okay, von einem pluralistischen, mutigen, vielfältigen, friedlichen Miteinander sind wir noch weit entfernt. Amsterdam, Kopenhagen, Paris, London, Berlin, Barcelona sind diesbezüglich wesentlich weiter. Eine entsprechend visionäre Gesetzgebung hat dazu wesentlich beigetragen.

Die Teddy-Awards im Rahmen der Berlinale sind das filmische Queer-Großevent im deutschsprachigen Raum. Wie steht es um die Festivalpolitik, die Auswahl, die Präsentation bei der Berlinale?
Die Berlinale ist am Kämpfen. Der Wettbewerb unter den Großfestivals ist größer geworden, das sieht man nicht nur im Teddy-Programm. Im Panorama gilt als Hintergrund für die Filmauswahl seit seiner Gründung 1987 noch im wesentlichen der lesBischwule Visibility- und Repräsentations-Ansatz, der aus dem Gay Movement der 70er und 80er Jahre kommt. Verkürzt könnte man sagen: lesBischwule Filme und Inhalte zeigen, die sonst nicht im Kino präsent sind, von Orten, Inhalten, Themen, Sichtweisen, Gruppen, von denen bislang nichts zu sehen war. So werden dann Beiträge etwa über „Moscow Pride“, eine Doku über die erste Moskauer CSD-Parade und die dortigen homophoben Anfeindungen ins Programm gehoben: queer im Inhalt, inhaltlich löblich, aber gestalterisch teilweise radebrechend. Im Sinne einer „Visual Representation“ ist das alles ehrenwert, aber bei einem A-Festival sind internationales Fachpublikum und viel normales Kinopublikum vor Ort, und dann heißt es schnell: Bei den Teddys läuft grottenschlechtes Zeug, queere Filme sind immer Käse. Unser Ansatz war/ist, vereinfacht durch die biennale Abhaltung, eine größere Strenge bei den filmischen Qualitätskriterien – und dann nur in Einzelfällen Ausnahmen zu machen, Best-of-Programm vieler Festivals mit Klassikern mischen, ergänzen, nach den Sternen greifen, inhaltlich. Das Zusammenbauen zu Schwerpunkten ergibt sich erst im Rahmen des Sammelprozesses, am wichtigsten ist das Finden guter Filme.

Wie ist die thematische Verteilung: die für ein junges, suchendes Publikum, von, sagen wir, 16 bis 20, und für ein Publikum mit schon längerer Beziehungserfahrung, von 25 aufwärts?
Die Bandbreite ist groß. Es gibt Queer-Filme in allen Altersgruppen, ebenso wie es Coming-outs in allen Altersgruppen gibt: Die von Jugendlichen sind heute etwas selbstverständlicher, zumindest im städtischen Kontext. In Berlin finden sich etwa beim Jugend-Filmfest relativ selbstverständlich auch queere Themen, das ist bei uns eher undenkbar. Wenn ich unsere Zuseherschaft ansehe: Es gibt ein sehr junges, deutlich selbstbewusstes Publikum unter 20; aber das sind die, die ohnehin schon relativ weit sind und sich in jungen Jahren informieren und als queer erkennen/definieren konnten.

Von Themen und Publikum zu jenen, die Regie führen.
Queer Cinema ist kein einheitlicher Begriff. In den USA ist der Nachwuchs viel versprechend, es sind längst nicht mehr nur weiße Männer mit viel Bildung und wohlhabendem Background. Die Regieführenden sind jünger, häufiger weiblich, und aus allen Ethnien, Black, Latin, Asian. Das gilt jedenfalls für den Kurzfilm, fraglich ist dann der Umstieg in den Spielfilm. Insgesamt hat sich die Hoffnung auf eine konstante (US-)Produktion eines Queer Cinema „aus Lesbenhand“ nicht erfüllt. Frauen/Lesben, die Regie führen wollen, haben es nach wie vor viel schwerer, Langfilme zu realisieren, müssen oft auf das TV ausweichen. Die Filmbranche ist a man’s world – immer noch, von der Produktion bis zu den Festivals. Grundsätzlich auch in Europa, aber es gibt im Arthouse-Bereich eine lange Tradition, Themen des Queer Cinema zu behandeln, Geschlechterrollen, Gesellschaftsveränderung, sexuelle Befreiung, Aufbegehren, cineastische Avantgarde, Nonkonformismus sozusagen. Das führt dazu, dass Galionsfiguren wie François Ozon, dessen gesamtes Oeuvre essentiell queer ist, als Filmemacher selbst fast nicht dem Queer Cinema zugeordnet werden. Irgendwie auch wieder gut und queer – er ist selbstverständlich integriert im breit wahrgenommenen Filmolymp.

Wobei Ozon sich inhaltlich nur wenig geändert hat.
Keine Frage! Die verschiedenen Typen von 8 femmes und die Kunstfertigkeit der Präsentation, das Unterlaufen von Genre und Genderkonventionen, das ist queer pur. Ein Parallelfall ist Todd Haynes. Er wird mittlerweile, als Regisseur und als Produzent, als Paradebeispiel des amerikanischen Independent-Films gehandelt, er ist immer noch bewusst und grandios queer, aber nicht für die Mainstream-Medien, die das einfach nicht zur Kenntnis nehmen. Ich nenne das „falsches Verschweigen“: Beim Queer Cinema geht es schließlich um die gesamt zu verändernde Komponente, Transgression, Vereinnahmung, Veränderung, um den Spirit. Auch Ang Lee macht Queer Cinema par excellence – queere Werkqualitäten sind nicht an die private sexuelle Persona des Filmemachers gebunden.

Queer Cinema ist in Österreich stark unterrepräsentiert. Liegt das am Fördersystem, am Nachwuchs selbst?
Das ist noch beschönigend. Es ist praktisch inexistent. Warum? Ein tödliches Zusammenspiel auf allen Ebenen: mangelnde Präsenz in Alltag, Ausbildung, Förderung, Produktion, Verwertung. Dazu kommt die mangelnde Wahrnehmung des Themas: als Issue, als Teil der Realität derer, die ins Kino gehen. Es gibt kein Geschlechterbewusstsein, es bleibt beim Arbeiten mit etablierten Familien-, Beziehungs- und Gesellschaftsmodellen und entsprechenden Geschichten, Drehbüchern und Charakteren. Es gibt kein Bilderbewusstsein, keines für die Allgegenwart queerer, anders liebender, migrantischer, diverser Lebensrealitäten, da gibt es nur wenige Ausnahmen wie etwa Nordrand.

Ein junger Mensch in Österreich will Queer Cinema machen. Wo liegen die Hürden – oder bleibt nur die Flucht in eine Internationalisierung, das Anbieden an US-DVD-Vermarkter?
Man muss vor Ort Inhalte bewusst machen, andere Sichtweisen, seine eigene queere Lebensrealität als Normalität einfordern, verteidigen, selbstverständlich praktizieren, täglich, auf der Straße, in der Trafik, bei den Wahlen, zu Hause, an der Uni, am Arbeitsplatz, in der Familie, in den Medien, am Land, in der Stadt, am Stammtisch. Innere Emigration oder faktische Emigration bringen nichts. Denn Hürden gibt es überall. Es an der Filmakademie trotzdem probieren, bei den Fördereinrichtungen einreichen, immer wieder, bei den Verleihern vorstellig bleiben, Festivals, Zeitschriften, Internetplattformen, politische Initiativen gründen … Unverändert gilt die virulente Benachteiligung von Frauen in Österreich (auch in der Filmbranche). Selbstbeschränkungen werden tradiert, etwa die auf das Erarbeiten müssen, zweite Riege, Viel-Arbeiten, Zuliefern, Stellvertreten: Dabei wäre ein Zurücklehnen-Können wichtig, ein sich auch mal nur auf den kreativen Teil Zurückziehen. Wobei für identities gilt: Leute aus der Filmbranche sind nur in zweiter Linie Zielpublikum; unser wesentliches Augenmerk gilt dem begeisterten, entdeckungsfreudigen Publikum, einem großartigen Mix aus verschiedensten Interessensgruppen, längst nicht nur „Zielgruppe oder Community“. Diese Menschen sollen aus dem Festival einen erweiterten Horizont, ein neues Selbstwertgefühl beziehen und aktiv am Abbau von Verbretterungen und Stereotypen mitarbeiten.