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Biopolitik aktuell – The human project

The human project

| Joachim Schätz |

Globale Unfruchtbarkeit, das Ende der Sonne und das Geheimnis ewiger Jugend: Drei aktuelle Science-Fiction-Filme erforschen das menschliche Leben als umkämpftes Terrain zwischen Life Sciences, Metaphysik und Biopolitik.

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Long live the New Flesh!“, ließ David Cronenberg 1983 den Antihelden seines Medienthrillers Videodrome (1983) verkünden. Das Neue Fleisch Cronenbergs – die wundersamen Verschmelzungen, Infektionen und Auswüchse der Leiber in seinen Filmen – war nur die klarste, vielschichtigste Manifestation jenes ekelvergnügten body horrors rund um Zombieattacken (The Evil Dead) und Weltraummonster (Alien), der seit Ende der 70er Jahre fürs Mainstream-Kino erschlossen wurde. Inzwischen sind die Schocks und Schönheiten deformierter Körper fix ins Affektregister des Unterhaltungsbetriebs integriert, wo sie für vergnügliche Variationen (Slither), ehrgeizige Überbietungs-Exploitation (Hostel) oder auch das Abschmecken distinguierter Oscar-Ware (siehe die Torturen und dekorativ verstümmelten Leiber in The Last King of Scotland) zur Verfügung stehen.

Das Neue Fleisch ist tot, lang lebe das Neue Fleisch: Ein knappes Vierteljahrhundert nach Videodrome zeichnet sich erneut in einer Gruppe von Genrefilmen ein einprägsames (wenn auch weniger radikales) Körperbild ab, das vom biologischen Organismus, seinen Grenzen und deren Überschreitung gekennzeichnet ist. Alfonso Cuaróns dystopischer Thriller Children of Men (2006), Danny Boyles psychedelisches Weltraum-Abenteuer Sunshine (2007) und Darren Aronofskys verschrobene Zeitreise-Extravaganza The Fountain (2006) – die drei zentralen Filme dieses Trends und dieses Aufsatzes –  erzählen auf sehr unterschiedliche, aber durchgehend obsessive Weise vom menschlichen Leib, seiner Erhaltung, Reproduktion und Modifizierung. (Erweitern ließe sich dieser Kreis durch Steven Spielbergs War of the Worlds mit seinem exzentrischen, evolutionsbiologischen Happy End oder V for Vendetta mit seinem Subplot über Biowaffen.)

Und wie die offen gelegten Körperwelten des body horror implizit über die Macht medizinischer und technologischer Kontrollblicke berichteten (am deutlichsten in Cronenbergs frostigem Gynäkologenmelodram Dead Ringers), geben diese drei Filme erstaunliche Auskunft über die lebensoptimierenden Versprechungen der so genannten Life Sciences um Biochemie, Pharmazie und Gentechnologie.

Belastungsgrenzen

Das bevorzugte Genre ist diesmal nicht der Horror-, sondern der Science Fiction-Film. Und trotz der düsteren Zukunftsvisionen von Children of Men sind alle drei Filme letztlich von einem kindlichen Staunen geprägt, das von Georges Méliès’ Le Voyage dans la lune bis zu Spielbergs Close Encounters of the Third Kind eine Grundkonstante des Genres darstellt. Nur wird hier eben nicht außerirdisches, sondern irdisches Leben als Wunder beschworen: Schon ein keimendes Blatt (Sunshine), ein fruchtbarer Buchecker (The Fountain) oder ein schwangerer Bauch (Children of Men) kann Engelschöre auf die Tonspur locken. Zugleich steht das salbungsvolle Pathos dieser Life-Science-Fiction-Filme (ein zweckdienlicher Neologismus) aber immer in Verbindung mit strategischen Eingriffen ins Leben.

Das Szenario von Sunshine – ein internationales Wissenschafterteam fliegt in einem symbolträchtig benannten Raumschiff (Icarus II) zur sterbenden Sonne, um sie mit einer Atombombe zu reaktivieren und stößt in der Weite des Weltraums an seine Grenzen – erinnert an Klassiker philosophischer Science-Fic-tion wie 2001 und Andrej Tarkovskijs Solaris (beziehungsweise an Mainstream-Variationen wie Event Horizon oder Mission to Mars). Doch im Gegensatz zu diesen machen hier eben nicht mehr Gedächtnis (Solaris) oder instrumentelle Vernunft und „Geist“ (2001) das Wesen des Menschen aus, sondern schlicht seine Leiblichkeit mit all ihren Beschränkungen: Exzessiv beschwört Danny Boyles bildgewaltige Inszenierung die krasse Unverhältnismäßigkeit zwischen der Hitze und Zerstörungskraft der Sonne und der Kälte und Weite des Alls auf der einen Seite der Skala und den frierenden, schwitzenden, durchgerüttelten Astronautenkörpern auf der anderen.

Wenn der Film im letzten Akt in Richtung Slasher-Horror abbiegt, dann ist das in zweierlei Hinsicht konsequent: Zum einen wird damit unter Verzicht auf alle zuvor angedeutete Gruppenpsychologie die Palette der körperlichen Qualen erweitert, zum anderen bringt das mordende Monster – kein Alien, sondern eher ein Über-Mensch (oder, mit seinen eigenen Worten, „letzter Mensch“) – die Faszination des Films für physische Belastbarkeiten noch einmal auf den Punkt: Dem verbrühten, übermenschlich starken Killer aus dem Vorgänger-Raumschiff Icarus I scheint in seinen Jahren nahe der Sonne genau das gelungen zu sein, worauf der Psychologe des Teams mit seinen exzessiven Sonnenbädern hingearbeitet hat: die eigene Belas­tungsgrenze kontinuierlich zu erweitern. Von der restlichen Crew der Icarus I ist dagegen nur mehr eine zentimeterdicke Staubschicht aus abgestorbenen Hautpartikeln übrig: noch ein unheimliches Bild transformierter Körper.

Notoperationen

„Weshalb will die Natur, dass der Mensch altert, warum muss er sterben? Die Wissenschaft hat eine Antwort – und weiß, was das Leben verlängert.“ Dieser Untertitel einer aktuellen Profil-Coverstory (Nr. 17, 2007) über „Das Geheimnis des Alterns“ könnte auch als verlängerter Werbeslogan für The Fountain durchgehen und veranschaulicht recht gut die implizite Verschränkung von biologischen und metaphysischen Fragen in den Life Sciences. Auch Aronofskys Film verteilt seine filmische Suche nach dem Geheimnis ewigen Lebens auf drei Erzähl- und Bedeutungsebenen, von denen die erste machtpolitisch, die zweite naturwissenschaftlich und die dritte metaphysisch ist: Die koloniale Expedition eines spanischen Conquistadors zum Lebensbaum der Maya, die Forschung eines Zellbiologen nach einem Krebs-Heilmittel und eine spirituelle Weltraumreise zu einem mythischen Sternennebel spiegeln sich wechselseitig als Teile derselben Mission. Wenn die Antworten des Films auch letztendlich vor allem aus Bibel, Maya-Kulten und New Age-Philosophie stammen (oder, nach Roman Scheibers Analyse in ray 04/07, von Martin Heidegger, Günther Anders und Friedrich Nietzsche), so bilden die Forschungen des Wissenschafters Tommy doch das erzählerische Herzstück des Films.

Diese werden – wie auch die Reise zur Wiederbelebung der sterbenden Sonne in Sunshine – als quasi-medizinische Rettungsmissionen inszeniert, als Notoperationen an einem bedrohten Organismus. Will Tommy seine tumorkranke Frau Izzi retten, so stehen in Sunshine die Grundvoraussetzungen für das Fortbestehen der Menschheit auf dem Spiel – ebenso wie in Children of Men: In Cuaróns Verfilmung eines Romans von P.D. James wird die erste schwangere Frau nach 18 Jahren globaler Unfruchtbarkeit zur umkämpften, bedrohten Hoffnung der aussterbenden Menschheit. Der widerwillige Held Theo muss nicht nur sie vor staatlicher und terroristischer Gewalt bewahren, sondern das Prinzip des Lebens überhaupt.

Man mag einwenden, dass die an keiner Stelle rational erklärte Unfruchtbarkeitsepidemie in Children of Men eher als allegorische Zuspitzung einer trostlosen politischen Lage gemeint ist denn als echte biologische Krise. (Kulturtheorie-Popstar Slavoj Žižek deutet zum Beispiel in seinem DVD-Kommentar zum Film die Unfruchtbarkeit als eine ideologische, als „Mangel an bedeutsamer Erfahrung von Geschichte“ im Spätkapitalismus.) Aber die Fragen, die die abenteuerliche Reise Theos und der werdenden Mutter Kee von Unterschlupf zu Unterschlupf aufwirft, sind durchaus auch wörtlich zu nehmen: Welcher Instanz kann man in der gegenwärtigen geopolitischen Lage den Schutz und die Verwaltung von Leben überantworten? Der (zunehmend totalitäre) Nationalstaat erweist sich in Children of Men als ebenso unberechenbar wie die radikale Opposition oder die (abwesende) Familie. Auch eine multikulturelle Zivilgesellschaft (in Gestalt eines Alt-Hippies und einer Flüchtlingsfamilie) kann nur vorübergehenden Schutz bieten. Die Lösung, die der Film anbietet, ist dann ganz im Sinne transnationaler Pharmaziekonzerne: Eine überstaatliche, „unpolitische“ Expertenkommission namens „The Human Project“ – eine Art biomedizinischer Forscher-Think Tank im Kampf gegen die Unfruchtbarkeit – ist die letzte Hoffnung, auf die Theo und Kee zusteuern: Am medizinischen Kontrollblick soll die Welt genesen.

Biopolitik

Mit solchen Fragen nach der Produktion und Regulierung von Leben weisen diese Filme auch über den unmittelbaren Kontext der Life Sciences hinaus, in jenen Bereich, den der Philosoph und Historiker Michel Foucault als „Biopolitik“ bezeichnet hat. Damit meinte Foucault eine Politik, die nicht mehr (wie etwa im Mittelalter) von Unterdrückung und Vernichtung der Untertanen bestimmt ist, sondern Macht eher durch Lenkung und Regulierung von Fortpflanzung, Gesundheit, Lebens-
dauer etc. ausübt. („Avoiding fertility tests is a crime!“, informiert uns ein Plakat in Children of Men.) Von diesem Paradigmenwechsel erzählt auch die historische Handlungsebene in The Fountain, die dem lebensfeindlichen Terror des spanischen Großinquisitors die gütige Königin Isabella gegen-überstellt, die nach dem Baum des Lebens suchen lässt, „um die ganze Menschheit von Tyrannei zu befreien“.

So verklärt erscheint Biopolitik freilich nur selten in der Theorie – oder im Film: Gerade das düstere Science-Fiction-Kino der 70er ist voll von drastischen Zukunftsszenarien biopolitischer Lenkung, etwa in Soylent Green (1973; Menschen werden aus Ressourcenmangel zu Nahrungsmitteln verarbeitet), Logan’s Run (1976; in einer idyllischen Zukunft darf niemand älter als 30 werden) oder THX 1138 (1971; ein Überwachungsstaat kontrolliert seine Einwohner durch Drogen und straft unautorisierten Sex). Mit ihrem Fokus auf totalitärer Überwachung und Disziplinierung tendieren diese Gesellschaftsentwürfe nach dem Muster von 1984 oder Brave New World aber dazu, biopolitische Eingriffe zu simplen Repressionsinstrumenten zu vereinfachen. Die schleichend ideologische, neue Subjektivitäten schaffende Wirkung von Biopolitik, ihr „produktiver“ Charakter wird dabei vernachlässigt. Ähnliches gilt für Gentechnik- und Cloning-Problemfilme wie Gattaca, The Island oder Code 46, die nächsten Verwandten der Life Science-Fiction.

Von Biopolitik und Biomacht als einer Kraft, die das soziale Leben – wie es in Michael Hardt und Antonio Negris Globalisierungs-Bestseller Empire heißt – „von innen her reguliert“, es scheinbar ohne Disziplinarmaßnahmen (und umso mächtiger und umfassender) lenkt, handeln dagegen die drei Life- Science-Fiction-Filme: Statt von staatlicher Repression erzählen diese in erster Linie von spezialistischer Teamarbeit (im Raumschiff von Sunshine, im Labor von The Fountain) und zentrumslosen Beziehungsnetzwerken (zwischen Theos Helfern in Children of Men, zwischen den Handlungsebenen in The Fountain). Selbst im faschistoiden Großbritannien von Children of Men sind die autoritären Staatsmächte nur eine Gefahrenquelle neben Bombenattentaten, Überfällen auf offener Straße und unberechenbaren Kontaktpersonen. Und den biopolitischen Impetus, ins Leben einzugreifen und an sich zu arbeiten, haben die Forscher-Helden von Sunshine oder The Fountain – wie alle braven Kreativarbeiter – ohnehin schon längst verinnerlicht: Der „Feind“ ist hier die Endlichkeit und Beschränktheit des Lebens selbst, dessen Grenzen es – in einer Art Übernahme postfordistischer Ökonomievorstellungen – immer weiter zu flexibilisieren gilt.

Lebensbilder

Die Biopolitik setzt sich in der Bildpolitik fort: Gegen den kühlen, entfremdeten Erzählmodus in den aseptischen Weiß auf Weiß-Bildern von THX 1138 oder den modernen Architekturen von Gattaca setzen diese Filme üppige (durchaus auch alberne) Bilderwelten, in denen der Körper und seine Veränderlichkeit unmittelbar und „von innen her“ sicht- und hörbar werden.

In Children of Men wird die Verletzlichkeit von Leben nicht nur durch einen dramaturgisch überraschenden Todesfall und einen running gag um Theos Füße betont, sondern auch durch eine Formsprache aus langen, zitternden Kamerafahrten und choreografierter Unübersichtlichkeit, die uns mitten ins Getümmel von Verfolgungsjagden und Häuserschlachten zu ziehen versucht. In Sunshine verbrennen die Leben spendenden und zerstörenden Sonnenstrahlen nicht nur opfermutige Astronauten: Auch der Zusammenhang der Handlung zerbröselt zwischen Boyles desorientierenden Prachtbildern und irritierenden Lichtspielen sukzessive. Und gegen Ende lösen sich sogar Bild und Ton in rauschende, dröhnende, vibrierende Störsignale auf, als hätte der Körper des Films, sein Material, ebenfalls die Grenzen seiner Belastbarkeit erreicht.

Erwacht in Sunshine das Filmbild zu empfindlichem Leben, so wird in The Fountain organisches Leben zum Bildmuster: Zur Darstellung eines wabernden Sternennebels verwendete Aronofsky keine CGIs, sondern Mikroskop-Aufnahmen chemischer Reaktionen, die auch den Abspann schmücken – die wohl markanteste formale Kristallisation von Life-Science-Fiction. Auch sonst ist The Fountain ein an Josef von Sternberg oder Vincente Minnelli gemahnendes Delirium der Flächen und Muster, in dem die Grenzen zwischen Menschlichem, Belebtem und Unbelebtem beweglich sind: Zellstrukturen werden mit (heterosexuellen) Liebespaaren verglichen, Eheringe spiegeln sich in Baumringen, Haut wird zu Rinde und Kulissen zu Gemälden. Ständig geht es in The Fountain auch inhaltlich darum, visuelle Formen (den Kreis, das Dreieck, das Netz) zu erkennen und zu entschlüsseln – wie in der landläufigen Vorstellung von Zell- und Genom-Forschung.

Verkompliziert wird die Fusion von Metaphysik und Bio­logie in diesen drei Filmen noch dadurch, dass sie alle in einem christlichen Selbstopfer enden: Am Ende braucht es den Tod, um das Leben zu ermöglichen. Dafür hat Aronofsky in The Fountain ein plakatives, aber äußerst griffiges Bild: Im body-­­horror-Klassiker Alien (1979) ist aus dem Brustkorb eines schreienden Mannes ein phallisches Monster gesprungen. Bei Aronofsky wächst ein Büschel Blumen heraus.