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Eine fatale Entscheidung

| Gerhard Midding |

Innenansichten des Alltags der Pariser Polizei.

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Als zwei Polizisten während des vorletzten Cannes-Festivals einen Strafzettel für einen falsch geparkten Motorroller ausstellen wollten, gab sich dessen Besitzer als ein Kollege von ihnen zu erkennen. Der Dienstausweis war jedoch gefälscht: ein Requisit, das Xavier Beauvois aus dem Fundus seines längst abgedrehten Films aufbewahrt hatte. Fünf Jahre lang hatte er gemeinsam mit Pariser Polizisten verbracht und sie tagtäglich bei der Arbeit begleitet. Wie seine früheren Filme erzählt Eine fatale Entscheidung einen tragischen Bildungsroman um die rückhaltlose Hingabe an romantische Ideale, schildert die verzweifelte Sehnsucht nach Identifikation. Als seine Vorgesetzte, die erfahrene Kommissarin Caroline (Nathalie Baye), den jungen Rekruten Antoine (Jalil Lespert) fragt, weshalb er Polizist werden wollte, erwidert er lächelnd: „Wegen der Filme!“ Dass dies nur teilweise als Scherz gemeint war, belegen die zahlreichen Filmplakate, mit denen er und seine Kollegen ihre Büros tapeziert haben. In Antoines Berufswahl mischen sich jugendliche Abenteuerlust und die Sehnsucht nach einem gesellschaftlichen Mandat.

In seinen Innenansichten der Institution erschließt sich Beauvois die vertrauten Topoi des Genres – das moralische Spektrum zwischen Unschuld und Loyalität, zwischen lässlicher Überschreitung und Rassismus, zwischen Hingabe und Vergeblichkeit – als Alltagserfahrungen. Der erste große Fall, den Antoine bearbeiten darf, ist die Aufklärung des Mordes an einem Obdachlosen. Der Film schildert die schleppend vorangehende Ermittlungsarbeit mit einer Nüchternheit, die sich jedoch selten im Gestus des wohlfeil Dokumentarischen erschöpft. Immer wieder setzt Caroline Champetiers Kamera Leerstellen im Bild, die sich nicht dramaturgisch füllen lassen. Beauvois pariert diese Nüchternheit mit einer religiösen Metaphorik, die schon seine früheren Filme stets etwas großspurig erschienen ließ. Seine innere Spannung gewinnt Eine fatale Entscheidung aus der Parallelführung der Perspektiven. Antoines Naivität wird mit der Instinktsicherheit der Kommissarin konfrontiert. Caroline repräsentiert die gegenläufige Konvention des Genres, die Einsamkeit, das Ausgebranntsein der Veteranen. Sie ist Alkoholikerin geworden, nachdem ihr Sohn im Kindesalter starb. Nun ist sie seit drei Jahren trocken und will sich rehabilitieren. Nathalie Baye spielt ihren Kampf mit den eigenen Dämonen mit einer Verhaltenheit, die Beauvois’ Passion um Opfer und Erlösung souverän vor gelegentlichen Abstürzen ins Prätentiöse bewahrt.