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Film und Mittelalter – Medieval on Your Ass

Medieval on Your Ass

| Jörg Becker |

Das Bild des Mittelalters wird nicht nur zunehmend vom Kino bestimmt, sondern gerät spätestens, wenn bei Ridley Scott ein französischer Schmied in Jerusalem Bewässerungsprobleme löst, zur Skurrilität. Zwei Buchneuerscheinungen widmen sich der Konstruktion und Projektion des „dunklen“ Zeitalters im Film.

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Der historische Film muss sich mit Jahrhunderten auseinander setzen, in denen der Film und die ihm zugeordnete Welt noch gar nicht existierten – mit Zeiträumen, die sich zum Unterschied von den unsrigen statisch verhalten, vieles als Schicksal ansehen, was sich uns längst als Menschenwerk enthüllt hat. (…) Ein Geschöpf der Gegenwart, dringt der Film in die Vergangenheit ein; es bleibt ihm versagt, ihr Dasein, das vom Dasein auf gültige Weise auskonstruiert worden ist, mit seinen besonderen Mitteln vollkommen zu bewältigen.“ 1

Das Bild des Mittelalters wird heute zunehmend vom Film bestimmt, sofern das Medium sich populärer Epen, Motive und Figuren der Zeit annimmt und an den meist bereits literarisch gestalteten Mythen weiterarbeitet. Der Historienfilm spaltet sich dabei in zwei Richtungen: einerseits das Panorama farbenprächtiger Dekors und eine Materialmassierung von Turnieren und Schlachtenszenen, andererseits eine Sparsamkeit der Mittel und bewusste Reduktion, die auf die Einbildungskraft des Betrachters setzt.

Christian Kiening bestimmt in Mittelalter und Film – nach Nietzsches Vom Nutzen und Nachteil der Historie – drei „Einstellungen“ des Kinos zur Geschichte: die monumentale, die antiquarische (oder dokumentarisierende) und die kritische. Die erste vermittelt die Erfahrung einer überwältigenden Illusion und zieht den Zuschauer in die Handlung hinein, die zweite entwirft Geschichte als rekonstruierte Vergangenheit in detailversessener Akribie und die dritte lässt den Betrachter die Mittel der Darstellung von Geschichte reflektieren, ermöglicht also eine Erfahrung der Differenz der Zeiten, der Unterscheidung der Geschichte von ihrer Darstellung.

Hollywood besetzt natürlich von jeher das Monumentale –   Action und Duelle, aber auch die emotionale, private Seite, in der sich „großes“ Geschehen spiegeln muss. Und doch spielt die antiquarische Haltung, die pedantische Instanz der Authentizität, eine zunehmende Rolle. Das belegt etwa die Vielzahl der Robin Hood-Filme für den Mittelalterfilm, wenngleich die eminenten Beispiele aus dem Antikenfilm der letzten Jahre kommen. Dem gegenüber stehen die fragmentierten Bedeutungsräume etwa Carl Theodor Dreyers La Passion de Jeanne d’Arc (1928), der szenografisch von Miniaturmalereien inspiriert worden war, Robert Bressons Lancelot du Lac (1974), der sich jedem Gefühlskino verweigert und Schauspieler als Modelle einsetzt, sowie Eric Rohmers Perceval le Gallois (1978), der einen Roman in eine theatrale Inszenierung übersetzt und damit den Zugang der Moderne zur mittelalterlichen Erzählwelt kategorisch in Frage stellt.

Mit Pfeil und Harnisch

Mittelalter im Film scheint immer einen Fuß über die Grenze zur Fantasy gesetzt zu haben. Es geht vor allem drastisch zu, sinnlich, aktionsreich, dynamisch. Gewalt, Dreck und die Betonung einer Erzählerinstanz und der Quellen hat Thomas Scharff für die Rekonstruktion des Mittelalters in Antike und Mittelalter im Film als stereotype Darstellungskriterien hervorgehoben. Schriftstücke und Karten rücken die Handlung in Zusammenhänge und sollen historische Evidenz bezeugen, etwa beispielsweise die Akten des Inquisitionsprozesses gegen Jeanne d’Arc. „Die Beglaubigung eines Wunders durch die Geschichte“ (Judith Klinger) beginnt mit Cecil B. DeMilles Joan the Woman (1916), wo einem britischen Weltkriegssoldat an der Westfront die Jungfrau von Orléans (der Opernstar Geraldine Farrar) erscheint, die eine ganze Armee und eine Nation inspirierte. Bis zum Cross-dressing von Milla Jovovich in The Messenger (1999) spiegelt die Frau im Harnisch variierende weibliche Zeitikonen wider. Über fünfzig Filme über die Jungfrau lassen sich nachweisen, eine britische Gesamtfilmografie zum Mittelalter verzeichnet rund 600 Titel; Mittelalter im Film versammelt in seinem umfangreichen Anhang eine relevante Auswahl mit Inhaltsbeschreibungen.

In der mythischen Biografie des legendären Robin Hood, über 600 Jahre ein work in progress, kommen nach Heinrich Adolf vier Phasen zum Ausdruck: Dem ursprünglich auftauchenden Helden und Sozialrebellen folgt der in Ungnade gefallene Adlige, der die Reichen bestiehlt und die Armen beschenkt; schließlich als letzte literarische Phase ist Robin der Landedelmann, der für die Rechte des legitimen Königs Richard Löwenherz eintritt. Am Schluss folgt die filmische Mythisierung: The Adventures of Robin Hood (1938, mit Errol Flynn) prägt das Rollenbild des guten Gesetzlosen aus; der frühe Stummfilm (1922, mit Douglas Fairbanks) indessen kommt in seiner Erzählweise und Plotstruktur Robin Hood: Prince of Thieves (1991, mit Kevin Costner) insofern nahe, als der Held in beiden Filmen zu Anfang eine Schwelle überschreitet und eine Krise durchmacht bis zu einem symbolischen Tod, der erst zu seiner Heroisierung führt. Von da an ist Robin Hood überall und nirgends, uneinholbar und unvermeidlich wie die Pfeile aus seinem Köcher.

Dunkles Zwischenreich

„Zeitmaschine Kino“, „Ricostruzione del passato“, „Screen-ing the Past“, „Le passé retrouvé“ – die vorliegenden beiden Sammelbände, die auf solche Titel hinweisen, machen zunächst eines deutlich: es gibt bereits einen beträchtlichen bibliografischen Background zu diesem Thema, das in den letzten etwa dreißig Jahren innerhalb der Fachdisziplinen erarbeitet worden ist. Dieses akademische Interesse verschiedener Fakultäten ist oft aus Anlass des Erscheinens der bedeutenden Repräsentanten dieses Metiers von Der Name der Rose (1986) bis zu King Arthur (2004) und Kingdom of Heaven (2005) – für die Antike um Gladiator, Alexander und Troy zu ergänzen – aufgebracht worden, und zwar in beiden Richtungen, der historisch-philologischen-literaturwissenschaftlichen ebenso wie der filmwissenschaftlichen bzw. kunsthistorischen. Die vorliegenden Bände sind interdisziplinäre Unternehmungen (zu beiden fehlen jegliche Autorenangaben), doch der Hauptteil, darauf lassen auch der umfangreiche Anmerkungsapparat und die anfgeführte Literatur schließen, ist von filmversierten Historiker-Philologen verfasst.

Jene Übergangsperiode, die von dem Zeitalter der Aufklärung als „dunkle Zeit“ bezeichnet wurde, wird von Beginn an durch den Begriff „Mittelalter“ als Zwischenstück und allem Folgenden unterlegene Epoche gekennzeichnet. Die Periodisierung, von überwiegend deutschen Gelehrten des 16. und 17. Jahrhunderts vorgenommen, markiert Beginn und Ende dieses Zwischenreichs mit der Gründung Konstantinopels und dessen Fall. „Es gibt mehrere ‚wahre‘ Mittelalter“, schreibt der Mediävist  Jacques LeGoff (u.a. L’imaginaire médiéval), der exzellente Vertreter der „Nouvelle Histoire“, jener Historikerschule, die sich der Sozial- und Mentalitätengeschichte zugewendet hat (und deren Einfluss im Übrigen bei den nach 1968 in Frankreich und den USA gedrehten Mittelalterfilmen sichtbar wurde). LeGoff setzt den Plural, wohl wissend, dass unsere Rekonstruktionsmöglichkeiten von Geschichte sehr begrenzt sind, ebenso zeitgebunden: Reflexe des jeweiligen politischen Diskurses, ebenso wie unser Urteil über sie.

Dreckige Authentizität

Jenes Mittelalter wird als Gegen- oder Vorgeschichte unserer Gegenwart inszeniert. Es präsentiert sich als Überblendung des eigenen Betrachter- mit dem zeitlich fernen Ereignishorizont: Mit Ausbrüchen unkontrollierter Affekte und ungezügelter Willkür bricht hier der Teufel aus dem unaufgeklärten Dunkel des historischen Unbewussten, das dem populären Komplex ‚Fantasy‘ einen Hallraum gibt. Aus dem Abstand zu unserer Rechtstradition resultiert ein Schaulustaspekt, und diese Lust an der Konfrontation mit schauererregenden zivilisatorischen Untiefen bildet, in ihrer medialen Aufbereitung, einen Attraktionswert. Die Ausübung roher Gewalt erscheint uns heute als mittelalterlicher Fremdkörper, und ist neben dem Faktor „Dreck“ (ausgiebig dargestellt in J.J. Annauds Der Name der Rose nach Umberto Eco, in dem größter Wert auf historische Genauigkeit gelegt wurde) sowie Ausformungen des Irrationalen und Wunderbaren als wichtigstes Ingrediens eines „medieval look“ unabdingbar für einen Mindestanspruch auf Authentizität.

Darüber hinaus treten überall, wo Clan- und Mafiastrukturen, rechtsfreie Willkürräume, Fanatismus und Terror ins Spiel kommen, sozusagen mittelalterliche Eigenschaften zutage. „Hear me talkin’, hillbilly boy?“, ruft der schwarze Gangsterboss in Quentin Tarantinos Pulp Fiction aus, bevor er zur exzessiven Rache an seinem weißen Peiniger für erlittene körperliche Misshandlungen ausholt: „I’m gonna git Medieval on your ass.“ So werden prämoderne Affekte postmodern exekutiert und lebt eine Art „medieval touch“ weiter. Tarantinos Mittelalterbild entspricht dem, was er beim Zuschauer voraussetzt. Es ist ein Feuerwerk von dem, was wir heute mit dem sachlich konstatierenden, politisch korrekten Terminus „Gewaltbereitschaft“ fassen und auf Abstand halten. Trainer für defensives Verhalten sprechen hier auch von „Feindseligkeitserwartung“.

Burgen, Bauern, Bögen

Meistens weiß die Geschichtswissenschaft eher, was auszuschließen ist, und vermag vom Hergang eines historischen Ereignisses bis hin zum Ablauf eines gewöhnlichen Tages im mittelalterlichen Leben immer nur Bausteine mit gewisser Sicherheit zu verifizieren. Trotz des Aufkommens der Struktur-, Sozial- und Kulturgeschichte besteht nach wie vor ein Hang zur Personalisierung von Geschichte, dem Biopic, mitsamt einer Ausstattung des nahegerückten Helden mit uns nachvollziehbaren Gefühlen und Motiven sowie neuzeitlichen Idealen wie Freiheit und Gleichheit. So wie sie Mel Gibson als William Wallace, dem schottischen Freiheitskämpfer in Braveheart (1995), oder Kirk Douglas in der Titelrolle von Spartacus (1960) in den Mund gelegt werden.

Der Zeichensatz der Bildersprache des Mittelalterfilms, so Hedwig Röckelein in ihrem Beitrag „Mittelalter-Projektionen“ (in Meier/Slanicˇka), hat sich im Verlauf der Filmgeschichte auf ein bescheidenes Maß prägnanter Ikonogramme reduziert: „Er besteht aus dem Attribut ‚Schwert‘, dem Kleidungstypus der ‚Rüstung‘ und der Architekturform ‚Zinne‘. Die Ambivalenz des Mittelalters symbolisieren zwei architektonische Stilformen: der romanische Rundbogen ist Signifikant des ‚archaischen‘, ‚dunklen‘ Mittelalters, der gotische Spitzbogen (mit den darin gefassten bunten Glasfenstern) Signum des ‚hellen‘ (‚erhellten‘, ‚erleuchteten‘) späten Mittelalters der Feste und der höfischen Kultur. Durch Variationen und Kombinationen kann die bescheidene Zahl von Ikonogrammen eine breite Palette von Bedeutungsfeldern generieren. Beispielsweise evoziert ‚Burg‘ (auf der Anhöhe) kombiniert mit ‚arbeitenden Bauern‘ (zu Füßen der Burg) das Ideogramm ‚Lehenswesen‘/‚Feudalismus‘, ‚Burg‘ in Kombination mit ‚Kreuz‘ hingegen das Ideogramm ‚Kreuzzug‘.“

Historischer Weizen

The 13th Warrior (USA 1999): Ein Gesandter des Kalifen von Bagdad, der historische Ibn Fadlan, begegnet auf dem Weg zu den Wolga-Bulgaren einer Gruppe Wikinger. Die Erzählung wird im Film von John McTiernan fortgesponnen, verlässt den historischen Bericht. Der Muslim, gegenüber den Barbaren ein Mann von Kultur, begleitet die Gruppe nun als „13. Mann“. Beglaubigtes Geschehen und Fiktion geraten wie oft in Historienfilmen unentwirrbar ineinander, werden für den heutigen Zuschauer, den Laien also, zum historischen Bildraum, und nur eine geringe Zahl von Experten ist in der Lage, die Spreu – der Ausschmückung und freien Erfindung – vom Weizen des historisch Belegten zu unterscheiden.

Unter dem Titel „Wann wird es wirklich mittelalterlich?“ markiert der Historiker Thomas Scharff an Ridley Scotts Kreuzzugsepos Kingdom of Heaven (GB/E/USA/D 2005) die Differenz zwischen historisch belegten Szenen, wahren Akteuren im Kontext der Eroberung Jerusalems durch die Muslime 1187, und einer „vollkommen abstrusen Rahmenhandlung“: „Ein Schmied aus Nordfrankreich erweist sich als Sohn eines Feudalherrn aus dem Königreich Jerusalem, begleitet diesen nach dem Selbstmord seiner Frau ins Heilige Land, ist dort wie selbstverständlich Experte für Bewässerungsprobleme und die Verteidigung Jerusalems gegen Saladin, die natürlich ihm übertragen wird, und kehrt nach dem Fall der Stadt mit der Ex-Königin als der neuen Frau an seiner Seite nach Frankreich zurück.“ Was sich schon in solcher Kurzfassung skurril ausnimmt, könnte in den Köpfen der unkundigen Zuschauer Realität werden und unsere Vorstellungen von Geschichte zunehmend auf Hollywoods Scriptwriting-Dogmen abstimmen. Beiträge zu Kingdom of Heaven in beiden vorliegenden Bänden (von Elisabeth Bronfen bzw. Simona Slanicˇka) widmen sich der Wiederbelebung des Mittelalterfilms, in welchem Ridley Scott das aktuelle politische Thema des Irakkriegs als Subtext aufgreift. Auch hier findet sich die mögliche Lösung eines Problems in die Geschichte projiziert, ein Problem, das in der zeitgenössischen Wirklichkeit ungelöst ist. Es gilt, was Elisabeth Bronfen in ihrem „Ausblick“ für Hollywoods Historienfilme feststellt: „Die Vergangenheit ist auszuhandeln und neu zu ,dichten‘, um das Erbe der Geschichte produktiv zu machen – produktiv sowohl für die Zukunft des Kinos wie für den spezifischen kulturellen Kontext, in dem die jeweilige filmische Umsetzung von Historie entsteht.“

1 Siegfried Kracauer (1940), zitiert von Christian Kiening (ebenfalls Autor der Essays zu Fritz Langs Nibelungen-Film und zu Ingmar Bergmans Das siebente Siegel und Die Jungfrauenquelle) in seinem einleitenden, zugleich zentralen Text zum Thema.

Christian Kiening, Heinrich Adolf (Hg.): Mittelalter im Film. Walter de Gruyter, Berlin, New York 2006 (Reihe: Trends in Medieval Philology, Ed. by  I. Kasten/ N. Largier/ M. Schnyder, Volume 6), 462 S., zahlr. s/w-Abb., € 98,-.

Mischa Meier, Simona Slanicka (Hg.): Antike und Mittelalter im Film. Konstruktion – Dokumentation – Projektion. Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 2006 (Reihe: Beiträge zur Geschichtskultur, Band 29, hg. von Jörn Rüsen), 474 S., € 46,90.