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Morgan Fisher – Im Gespräch

| Sven von Reden |

Der amerikanische Künstler Morgan Fisher arbeitet seit den späten sechziger Jahren als unabhängiger Filmemacher, entwirft Videoinstallationen und Ausstellungen – und dreht seit 40 Jahren denselben Film. Ein Gespräch über das Verhältnis von Kunst und Kommerz, die Universalität der Bilder und die Nostalgie alter Hollywoodfilme.

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Sie haben vor wenigen Monaten für die Kurzfilmtage in Oberhausen extra einen Film anfertigen lassen, ein Remake ihres Kurzfilms Screening Room aus dem Jahr 1968 …
Ich muss Sie korrigieren: Es handelt sich nicht um ein Remake, es ist der gleiche Film, nur wurde er später gemacht. 1968 hatte ich die Idee zu dem Film, seitdem habe ich verschiedene Manifestationen von Screening Room gedreht oder drehen lassen, die ich „Zustände“ (states) nenne. Im Prinzip ist es immer der gleiche Film.

Das müssen Sie erklären.
Der Film besteht aus einer einzigen, ungeschnittenen Einstellung, die außerhalb jenes Kinos beginnt, in dem der Film gezeigt wird, in den dunklen, leeren Kinosaal führt und schließlich auf der Leinwand endet, auf die der leere Projektor weißes Licht wirft. Der Film wird nur in diesem einen Kino gezeigt, in dem er gedreht wurde. Jedes Mal, wenn ich so einen Film mache, sieht er zwar unterschiedlich aus, aber das Bild hat immer die gleiche Beziehung zu dem Ort, an dem man den Film sieht. Daher ist es in gewisser Weise immer der gleiche Film. Als ich die Idee zu Screening Room hatte, waren darin schon alle seine „Zustände“ implizit vorhanden. Man kann also nicht von einem Remake sprechen, der gleiche Film wird einfach nur später noch einmal gemacht.

Diese Beschränkung der Abspielmöglichkeit auf einen Ort ist sehr ungewöhnlich.
Filme gelten ja als universal. Anders als Sprachen sind Bilder überall verständlich – das sagt zumindest ein Klischee über die Filmindustrie. Film ist natürlich auch universal, weil das Material genormt ist: Ein 16mm-Film etwa kann überall auf der Welt im passenden Projektor abgespielt werden, oder er kann im Fernsehen gesendet und auf DVD vertrieben werden. Screening Room widersteht dieser Universalisierung radikal und damit auch der Vermarktung des Filmbildes. Er muss für jedes Kino komplett neu produziert werden, mit allen Kosten, die dadurch entstehen. Es ist in gewisser Weise ein perverser Film – das trifft es gut. Aber er ist auf eine produktive Art pervers.

Die Verknappung von Bildern kann aber auch der Vermarktung dienen, etwa bei Videokunst.
Sicher. Ich kenne eine Künstlerin – deren Namen ich nicht nennen will –, die wunderbare Filme macht. Aber ihre Galerie will nicht, dass sie im Kino gezeigt werden, obwohl sie da viel besser projiziert werden könnten. Man darf ihre Filme also nur in der Galerie sehen, damit sie ihren Status als Kunst aufrechterhalten können. Das hat natürlich etwas mit Marketing zu tun. Künstlerfilme werden ja auch gewöhnlich nur in limitierten Editionen herausgebracht – ohne Zweifel häufig auf Druck der Galerien, damit die Preise oben gehalten werden können. Das führt zu absurden Situationen. Diesmal werde ich einen Namen nennen: Es gibt Videoarbeiten von Bruce Nauman, die nur in einer Auflage von einem Exemplar existieren. Ich weiß nicht, was so was dann kostet. Dabei geht es nur ums Geld. Das ist pervers. Aber als jemand, der sich eben noch als Befürworter von Perversität geoutet hat, kann ich mich wohl kaum beschweren.

Die Kunstwelt hält das Kino also für imageschädigend?
Die Kunstwelt ist sehr darauf bedacht, sich vom Kino als Massenphänomen fernzuhalten. Auf der anderen Seite sind aber viele Künstler, die mit Film arbeiten, ganz heiß darauf, irgendwie teilzuhaben an der Macht, dem Prestige und natürlich dem Glamour der kommerziellen Filmindustrie. Also spielen sie auf populäre Filme an oder beuten sie anderweitig für ihre Zwecke aus. Sie suchen Vorwände, um Ausschnitte aus alten Hollywoodfilmen zu zeigen, die uns immer noch faszinieren und nostalgische Gefühle auslösen. Die Kunst ist nur ein Vorwand, um Hollywood zu zeigen – aber eben in einer ambitionierten Verkleidung, die Radikalität und Innovativität ausstrahlt.

Sie nutzen in ihrem Film „( )“ aus dem Jahr 2003 allerdings auch Einstellungen aus alten Hollywoodfilmen. „( )“ reiht 21 Minuten lang Inserts aus verschiedenen Filmen aneinander: Hände, Uhren, Pistolen …
Meine Motive sind aber andere. Ich hoffe, dieser Film hilft zu verstehen, mit welchen Mitteln narrative Filme den Zuschauer in den Bann ziehen. Doch im Gegensatz zu einem Spielfilm benutzt „( )“ das Material nicht, um dich zu hypnotisieren. Dadurch, dass der Film ein Element der Filmsyntax isoliert, das normalerweise nicht auffällt, weil man so von der Erzählung gebannt ist, wird man sensibilisiert. Wenn man danach einen Spielfilm sieht, wird man die Inserts bemerken und ein wenig besser verstehen, wie sie funktionieren. Das ist mir selber passiert, nachdem ich den Film gemacht hatte. Als ich eine Folge der Simpsons sah, fiel mir sofort ein Insert auf, dass eine Armbanduhr zeigte. Obwohl es sich um eine Animationsserie handelt, folgt also auch hier die Syntax genau der von Spielfilmen.

Wenn man den Film sieht, versucht man trotzdem immer eine Erzählung aus den eigentlich unzusammenhängenden Bildern zu konstruieren.
Man kann das nicht verhindern – aber das ist das Problem des Zuschauers. Es gibt keine erzählerische Absicht in meinem Film. Er folgt Regeln, die nichts mit narrativen Gesetzmäßigkeiten zu tun haben. Aber wenn man Dinge hintereinander sieht, dann nimmt man an, dass es einen Grund für die Reihenfolge gibt, den man zu verstehen versucht.

Sie haben Kunstgeschichte in Harvard studiert, inwiefern hat das Ihre Arbeit als Filmemacher beeinflusst?
Ich habe mich immer für abstrakte Kunst interessiert, extreme abstrakte Kunst: Ad Reinhardt, Blinky Palermo und andere. In ihren Werken gibt es keine Repräsentationen, keine Bilder, keinen Gegenstand (subject matter) im konventionellen Sinne. Meine Filme versuchen ebenfalls, einen Gegenstand im konventionellen Sinne zu vermeiden. Sie werden daher oft „selbstreflexiv“ genannt, als ob sie nur von sich selber handeln würden und daher nicht sehr interessant seien. Sie geben dem Zuschauer sicherlich nicht die Befriedigung, systematisch ein Thema zu erarbeiten, wie ein Dokumentarfilm; sie bieten auch keine Geschichte wie ein Spielfilm, daher finden die meisten sie langweilig. Mein Ziel ist es, abstrakt zu sein, trotz der Bilder. Es gibt viele Filme, die behaupten, abstrakt zu sein: Sie zeigen dann tanzende Amöben, Farbflächen oder Schatten. Das meine ich aber nicht. Ich weiß, dass das paradox klingt, aber es gibt Filme ohne Bilder: David Lamelas hat einen Projektor ohne Film laufen lassen. Die Idee eines bilderlosen Films ist jedoch sehr selten, während es in der bildenden Kunst eine lange und angesehene Tradition der Abstraktion gibt.

Es kann Sie kaum verwundern, dass Sie damit viele verstören.
Der Grund, warum die meisten Menschen meine Filme nicht mögen, ist, dass sie immer wieder das komplette Gegenteil von gewöhnlichen narrativen Filmen sind. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich liebe Spielfilme. Ich mag es, mich ihrer hypnotischen Wirkung auszusetzen. Aber um es ganz klar zu sagen: Es gibt keinen prinzipiellen Unterschied zwischen einem Film von, sagen wir mal, Erich von Stroheim und Antonioni, sie funktionieren ähnlich.

Der Autorentheorie setzen Sie etwa bei Screening Room eine radikale Entindividualisierung entgegen. Einige der „Zustände“ des Films haben sie gar nicht selber gedreht.
Das brauche ich nicht – der Oberhausener Film etwa wurde nur nach meinen schriftlichen Anweisungen gedreht, während ich weit weg war. Der Film ist antiexpressiv, er hat nichts mit einem Regisseur als auteur zu tun. Es geht nicht darum, dass ich mich selber ausdrücke. Es ist wie in der Konzeptkunst, ich liefere eine Art Diagramm und jemand anders kann es ausführen.

Sie selber machen sich gewissermaßen unsichtbar in Screening Room, der Zuschauer findet aber zu sich selbst. Am Ende befindet sich die Kamera in dem Raum, in dem man als Zuschauer sitzt, und schaut auf die Leinwand, auf die man als Zuschauer schaut.
Spielfilme nehmen uns gewöhnlich mit auf eine Reise, man ist nicht mehr an seinen Körper gebunden. Screening Room macht genau das Umgekehrte: Er beginnt zwar woanders, aber er nimmt dich dahin mit, wo du dich im Moment, in dem du den Film siehst, befindest. Am Anfang von Screening Room schaut man in die Vergangenheit und an einen anderen Ort, am Ende des Films ist man in der Gegenwart und an dem Ort, an dem man sich gerade befindet. Also macht der Film genau das Umgekehrte von dem, was ein normaler Film macht. Er gibt dem Zuschauer damit seinen Körper zurück, von dem ihn der normale Film befreit.

Trotz dem hohen Maß an Abstraktion können Ihre Filme bisweilen unerwartet komisch sein.
Ja, aber der Humor ist nebensächlich. Ich hoffe nicht, dass meine Filme ausschließlich als lustig wahrgenommen werden, als ob sie dadurch erst ihren Wert bekämen. Aber ich kann auch über Ad Reinhardt lachen. Ich weiß allerdings nicht, warum ich es besser finde, zugleich ernsthaft und komisch zu sein. Vielleicht kann sich eine höhere Art von Ernsthaftigkeit nur durch Humor ausdrücken. Dann wäre der Humor wiederum eine Bestätigung der Ernsthaftigkeit.

Morgan Fisher wurde 1942 in Washington DC geboren. Er studierte Kunstgeschichte in Harvard und in den frühen 60er Jahren Film an der University of California in Los Angeles. Kurze Zeit arbeitete er als Cutter für B-Film-Legende Roger Corman, seit den späten 60er Jahren werden seine von Minimal Art und Konzeptkunst beeinflussten Filme und Installationen auf zahlreichen internationalen Filmfestivals, in Museen und Galerien in der ganzen Welt präsentiert. Morgan Fisher lebt und arbeitet in Santa Monica, Kalifornien.