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Verhandlungssache – Dog Day Afternoon

Verhandlungssache

| Jörg Schiffauer |

Warum „Dog Day Afternoon“ ein Banküberfall zum psychischen Nullpunkt führt.

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Das Szenario gehört mittlerweile zum Standardrepertoire des Actionfilm-Genres: Der Raubüberfall oder ein vergleichbares Delikt ist gründlich misslungen, die Polizeikräfte haben den Tatort abgeriegelt und den Gangstern jeden möglichen Fluchtweg abgeschnitten. Die in die Enge getriebenen Verbrecher nehmen Geiseln, die unvermeidliche Abfolge aus Forderungen, Ultimaten und Zugeständnissen setzt ein, es beginnt jenes psychologische Duell, in dessen Verlauf sich beide Seiten permanent auszutricksen versuchen.

Auch wenn dieses dramaturgische Grundmuster mittlerweile unzählige Male variiert wurde, das Opus Magnum in dieser Richtung  bleibt immer noch Sidney Lumets Dog Day After-noon aus dem Jahr 1975. Basierend auf einem tatsächlichen Kriminalfall, der sich drei Jahre zuvor zugetragen hatte, beginnt Lumets Film wie ein eigentlich typischer Vertreter des Genres. Es ist ein drückend heißer Tag im August, als drei Männer eine kleine Bankfiliale in Brooklyn überfallen wollen. Doch von Anfang an läuft der Überfall ganz und gar nicht nach Plan, denn einer der Täter verliert schon bald die Nerven und verlässt fluchtartig den Ort des Geschehens. So bleibt es an Sonny (Al Pacino) und Sal (John Cazale), den Banküberfall durchzuführen. Doch da die beiden auch alles andere als Profis sind, unterläuft ihnen Fehler um Fehler, die fatalen Auswirkungen lassen nicht lange auf sich warten. Sonny und Sal finden sich alsbald von der Polizei umstellt, die spontane Idee, die Bankangestellten als Geiseln zu nehmen, verschlimmert ihre Lage noch zusätzlich, nur allzu rasch wächst den Möchtegern-Gangstern die Situation über den Kopf. Denn schon bald ist der Schauplatz von Journalisten und Schaulustigen bevölkert, die zermürbenden, nervenaufreibenden Verhandlungen zwischen Sonny und der Polizei werden nach und nach zu einem öffentlichen Spektakel, das wie auf einer Bühne vor tausenden Zuschauern ablaufen muss.

Ruft man sich Sidney Lumets Gesamtwerk in Erinnerung, wird man nicht überrascht sein, dass Dog Day Afternoon nur an der Oberfläche den Konventionen des Genres folgt und die Krimihandlung bloß als Ausgangspunkt benützt. Lumets Inszenierung konzentriert sich, wie in der überwiegenden Zahl seiner Regiearbeiten, primär auf die Auswirkungen, die durch den psychologischen  Druck auf die Protagonisten verursacht werden. Die äußeren Umstände, durch die ein solcher Druck aufgebaut wird, mögen bei genauerer Betrachtung von Sidney Lumets Œuvre sehr unterschiedlich sein, etwa die Suche nach der Wahrheit (12 Angry Men), Frustration und geheime Obsessionen (The Offence), Enttäuschung über die Korruption innerhalb des Polizeiapparates (Serpico, Prince of the City),  Willkür und Schikane in einem Militärstraflager (The Hill) oder eben der Nervenkrieg im Verlauf einer Geiselnahme wie in Dog Day Afternoon. Die jeweiligen Umstände spielen da eigentlich nur eine untergeordnete Rolle, stets fokussiert Lumet seine Inszenierungen auf jenen Punkt, an dem es keine Möglichkeit des Ausweichens oder Ignorierens gibt, auf jene Schnittstelle, an der die Protagonisten einfach keine andere Option mehr haben, als sich mit ihren Problemen auseinander zu setzen, ungeachtet aller möglichen Konsequenzen. Es ist eine Art psychischer Nullpunkt, den Lumets Charaktere erreichen müssen, um für diese finale Konfrontation bereit zu sein. Und es ist ein zumeist sehr mühsamer Weg, verbunden mit
einem Höchstmaß an psychischem Stress, der die Charaktere zu diesem Nullpunkt führt. Aber genau die präzise Beobachtung dieses Weges generiert jene unverwechselbare innere Spannung, die Sidney Lumets Filme auszeichnet und trotz durchaus konventioneller Handlungsfäden über jedes mittelmäßige Genre-Handwerk weit herausragen lässt.

Auch Dog Day Afternoon folgt nahezu exemplarisch diesem dramaturgischen Muster Lumets. Denn obwohl der Banküberfall nur als kurzer Ausflug in kriminelle Gefilde gedacht war, wird vor allem angesichts des öffentlichen Spektakels, das sich entwickelt, insbesondere für Sonny nach und nach deutlich, dass es eine Rückkehr in sein bisheriges Leben einfach nicht geben kann. Alle Verhandlungen um Dinge, wie etwa Verpflegung für die Geiseln oder Abzugsmöglichkeiten, sind eigentlich nichts anderes als ein Hinauszögern des Erreichens des Nullpunktes, jenes Moments, an dem die Entscheidung fallen muss.