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Meine liebe Republik

| Sebastian Hofer |

Friedrich Zawrel erinnert sich: an seine Zeit in der Klinik am Spiegelgrund, an den Anstaltsarzt Heinrich Gross, und an ihr Wiedersehen, dreißig Jahre danach.

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Fahnen, Hymne, Tränen: Vor dem Belvedere wird das 50-Jahr-Jubiläum der Staatsvertragsunterzeichnung zelebriert, das Land der Äcker feiert sich und die Seinen. Friedrich Zawrel feiert nicht mit. Er kocht sich lieber ein paar Kartoffeln, setzt sich hinter seinen Schreibtisch und erzählt. Zum Beispiel davon, warum er das Republiksjubiläum nicht mitbegeht. „Die liebe Republik Österreich kann mich gern haben“, sagt er, und es ist wirklich kein Wunder.

Was dagegen tatsächlich ein Wunder ist: dass Friedrich Zawrel seine Geschichte überhaupt noch erzählen kann. Nicht wenige haben versucht, das zu verhindern, nicht zuletzt auch „die liebe Republik“. Im gleichnamigen Film von Elisabeth Scharang erzählt Zawrel diese Geschichte, eloquent und in erhellenden Details, noch einmal, spricht von seiner Jugend im Kaisermühlen der dreißiger Jahre, von seiner Internierung in der Klinik am Spiegelgrund, in der zwischen 1938 und 1945 bis zu 800 Kinder ermordet wurden, von seiner Flucht und von der Wiederbegegnung mit dem ehemaligen Anstaltsarzt Heinrich Gross, dreißig Jahre später.

Diese Geschichte mag bekannt sein,  längst verewigt in Büchern, Theaterstücken, Gerichtsakten und Zeitungsartikeln, und doch kann sie nicht oft genug erzählt werden. Denn sie macht konkret, was historische Dokumente nur andeuten: Wie hier, in unserer lieben Republik, NS-Opfern ein Neubeginn mit bürokratischem Eifer verbaut wurde; wie hier, in unserer lieben Republik, die Täter ganz unbürokratisch rehabilitiert und reinstalliert wurden. Doch so brisant diese Geschichte ist, so brillant, humorvoll und berührend Friedrich Zawrel sie schildert, so wenig wird ihr Meine liebe Republik gerecht: Über weite Strecken fehlt dem Film die adäquate Form zum Inhalt, eine Idee, die übers bloße Abfilmen hinausginge. Sicher ließen sich gute Gründe dafür anführen, dass sich diese Geschichte nur bedingt mit formaler Ambition vertrage; doch ist diese Ambition in Meine liebe Republik in Ansätzen durchaus erkennbar (etwa in den vorsichtig tastenden Kameraschwenks durch die verlassene Euthanasie-Klinik), nur eben reichlich hanebüchen ausgeführt (etwa in der schludrigen Montage ebenjener Kameraschwenks). Sein Potenzial schöpft Meine liebe Republik damit jedenfalls nicht aus, im Gegenteil. Der Bedeutung von Friedrich Zawrels Geschichte tut dies keinen Abbruch. Sie muss einfach erzählt werden, wieder und wieder.