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Spätwestern – When the Legends Die

When the Legends Die

| Helmut Merker |

Mit der Filmschau „The Wild Bunch. Späte Western“ präsentiert das Österreichische Filmmuseum den zweiten Teil seiner Westernretrospektive. Eine breit gefächerte Auswahl aus 35 Jahren Genrekino.

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Massai, der Apache, traut dem Frieden mit den Weißen nicht; ihnen gilt sein ganzer Hass, er entflieht dem Zug ins Reservat, beginnt seinen Einmannkrieg gegen die Armee und ist mit seiner Frau ständig auf der Flucht. Das Ende ist konsequent: als sie ein Kind erwarten, baut er eine Hütte in den Bergen. Das führt die Armee auf seine Spur, die Soldaten erschießen ihn hinterrücks – allerdings nur im Drehbuch, das der Regisseur so ins Bild setzen wollte und dann doch nicht durfte: „Kurz vor Drehschluss überredete United Artists den Produzenten Ben Hecht dazu, einen anderen Schluss zu drehen. Ich weigerte mich, ein geändertes Ende zu drehen. Zwei Tage lang hielt Burt Lancaster mir auch die Stange, doch dann änderte er seine Meinung. Ich, als 500-Dollar-die-Woche-Regisseur, konnte mich weder gegen Hecht-Lancaster noch gegen die United Artists durchsetzen. Doch wenn Burt standhaft geblieben wäre, hätte unser Film mehr – auch wenn dies pathetisch klingt – ‚Gewicht‘ besessen.“

In der Filmversion nun zeigt sich Massai, von Soldaten umzingelt, zunächst noch entschlossen, seine Freiheit bis zum letzten Atemzug zu verteidigen. Da ertönt als Deus ex Machina der Schrei eines Neugeborenen, seines Sohnes. Das erweicht Burt Lancaster, den Apachen, und alle Soldaten: er ist ein angepass­ter Familienvater und Farmer geworden. Versöhnung, Ende. Eine Momentaufnahme von 1954, Indianer gegen Weiße im Film, Regisseur gegen Produzenten des Films: zwei historische Kriege, der eine ist längst entschieden, der andere dauert an.

Die zweite Runde, dasselbe Personal, ähnliche Reaktionen, achtzehn Jahre später. Ulzana, der Apache, verlässt mit sieben Kriegern die Reservation und wird von dem idealistischen und unerfahrenen Lieutenant DeBuin mit einem Armeetrupp verfolgt. Mit dabei sind zwei Kundschafter: der alte Indianerscout McIntosh und der junge Apache Ke-Ni-Tay. Ein düsteres Kapitel des amerikanischen Westens mit schockierenden Szenen: eine Frau mit ihrem Sohn auf einem Pferdewagen und einem Soldaten als Eskorte auf der Flucht. Die Indianer erledigen eines der Zugpferde. Der Soldat erschießt die Frau und versucht mit dem Jungen zu fliehen. Als auch sein Pferd getroffen wird, tötet er sich selbst. Einer der Indianer spuckt verächtlich aus. Die anderen schneiden ihm das Herz heraus und werfen es sich wie einen Ball gegenseitig zu. Ulzana und seine Männer stellen ihre Grausamkeit bewusst der weißen Herrschaft entgegen, sie verwüsten Farmen, zerstückeln ermordete Siedler, vergewaltigen Frauen, stopfen ihnen abgeschnittene Teile von Tierleichen in den Mund.

Warum die Indianer denn so grausam seien, fragt Lieutenant DeBuin verständnislos. Ke-Ni-Tay: „Is how they are. They have always been like that.“ – „Would you kill a man like that?“ – „Yes.“ – „Why?“ – „To take the power. Each man that die, the man that kill him take the power.” – „What kind of power is that?“ – Ke-Ni-Tay: „Here in this land man must have power. You not know about power.“ DeBuin: „I want to understand.“

Nichts versteht der eine vom anderen. DeBuin, der an den „gerechten Krieg“ glaubt, fragt McIntosh, ob er die Apachen hasse; der schüttelt den Kopf: Das wäre, als wolle man die Wüste hassen, weil sie kein Wasser hat. Der Lieutenant macht aus lauter Unkenntnis unvernünftige Fehler gegenüber der raffinierten Guerilla-Taktik des Gegners und führt die Auseinandersetzungen in ein großes Blutbad.

Einzig Rudolf Thome erkannte damals, dass der Film „völlig integer“ ist, weil er nicht Partei ergreift, sondern das Böse auf beiden Seiten zeigt. Ansonsten weitgehende Ablehnung des Films: Man sah in der Haltung des Regisseurs die radikale Umkehr des einstigen Moralisten, in der Darstellung der Indianer Mordmaschinen, die ausgerottet gehören, in der „geilen Spekulation mit der Ästhetik der Gewalt“ die unreflektierte Verteufelung einer ethnischen Minderheit. Wieder hatten Produzenten, Verleiher und Zensoren mit eigenmächtigen Schnitten das Ihre dafür getan, ein großes Werk unkenntlich zu machen. Überall Missverständnisse, auf deren Basis dann dem Regisseur seine Filme um die Ohren gehauen werden: Apache sollte das politisch korrekte Zeugnis für ein harmonisches Zusammenleben zwischen Weißen und Indianern sein, Ulzana’s Raid hingegen den Rückfall in zynische Unterdrückung und Austilgung zeigen. Erst die Rekonstruktionsarbeiten an den verstümmelten Fassungen machten den Blick wieder frei für die eigentlichen Absichten des Regisseurs: „Der Film sagt auf verschiedenen Ebenen, dass man durch Unkenntnis der Kultur, Religion und Sitten anderer Menschen diesen mehr Schaden zufügt als durch Absicht.“ So kritisiert er die verlogene liberale Haltung früherer Indianerwestern, die doch nur die amerikanische Indianerpolitik rechtfertigten und für Unterwerfung und Anpassung plädierten, und setzt nach den bitteren Erfahrungen des Vietnamkrieges mit provozierender Radikalität dem Herrschaftsdünkel weißer Zivilisatoren den Freiheitsdrang und die Wildheit der Indianer entgegen. In dem tödlichen Überlebenskampf ist Recht und Unrecht nicht mehr zu trennen, weil es edle Wilde und gerechte Weiße nicht mehr gibt. Apache (1954) und Ulzana’s Raid (1972), zwei Filme von Robert Aldrich, und dazwischen liegen Welten. Westernwelten.

Todeslächeln

Schon kleine Szenen machen die Entwicklung von den „nai­ven“ Western der 50er Jahre zu den „Spätwestern“ der 60er und 70er Jahre deutlich. Zum Beispiel zweimal Kirk Douglas: In The Big Sky (1952) krabbelt er durch wildes Gestrüpp und sucht einen Finger, den er im Kampf verloren hat; in Lonely Are the Brave (1962) reitet er über Autoschrottplätze und Highways und wird von einem mit Klodeckeln beladenen Lastwagen umgefahren.

Oder, fünfmal John Wayne (und diese Reihe wäre beliebig zu verlängern): In den frühen Jahren der harte, wortkarge, hilfsbereite Cowboy, schießend, prügelnd, reitend, der Retter und Ritter für die, die in Gefahr geraten. – Dann, als „Ringo“ in Stagecoach (1939) und als Ethan Edwards in The Searchers (1956), begründet er im John-Ford-Land Monument Valley die ganze mythologische Welt des Westerns. – Danach, als Tom Doniphon, ist er tatsächlich The Man Who Shot Liberty ­Valance (1962), aber er verkörpert die alten Werte und geht mit ihnen unter. Er verliert alles, auch den Ruhm und das Andenken an seine Tat, nach dem viel zitierten Motto, das den Western-Mythen sozusagen die literarische Basis liefert: „This is the West, Sir. When the legend becomes fact, print the leg­end.“ – Als alternder Held Cole Thornton befreit er später ­zusammen mit Robert Mitchum die Stadt El Dorado (1966) von den Banditen, in der typischen Westernkomödie von ­Howard Hawks, voller Ironie, aber auch grimmig entschlossen. Den letzten Gegner erledigt er, indem er alle Western­regeln außer Acht lässt, weil dieser eigentlich „der bessere Mann“ ist, und als dieser sich sterbend darüber beschwert, entgegnet Thornton ihm lakonisch: „Du bist zu gut, als dass man dir eine Chance geben könnte.“ – Und schließlich als John Bernard Books in Don Siegels The Shootist (1976): 1979 stirbt John Wayne an Krebs, in dem drei Jahr zuvor gedrehten Film erfährt er vom Arzt James Stewart, dass er in wenigen Wochen einen qualvollen Tod an Krebs sterben wird. Wie immer sind auch hier Darsteller und Rolle nicht zu trennen; irgendwie hat John Wayne immer sich selbst gespielt, und eine bessere Rolle hätte es auch gar nicht geben können. Der Film beginnt mit seinem letzten Ritt in das Westernstädtchen Carson und endet mit dem letzten Gang in den Saloon für die letzte Aufgabe, die er zu erfüllen hat: der „letzte Scharfschütze“ sein. Dabei geht es nicht ums Überleben, sondern sein Sieg besteht am Ende darin, dass der Junge, der ihn schon zu sehr als Revolverhelden bewundert hat, die Waffe wegwirft. J.B. Books sieht es, lächelt und stirbt.

Ein endzeitlicher Moment. Mit ihm geht eine Ära zu Ende, jedenfalls die Ära eines Filmgenres.

Finstere Zeiten

Der Western spielt hauptsächlich mit den historischen Ereignissen der amerikanischen Geschichte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Goldrausch und Eisenbahnbau, Bürgerkrieg und Indianerkriege, Eroberung des Westens, Auseinandersetzung zwischen Viehbaronen und Farmern, Kampf zwischen sesshaften Siedlern und neuen Einwanderern. Es ist also immer ein Blick zurück, den der Western auf seinen Gegenstand wirft, und irgendwie ist jeder Western damit auch ein „Spätwestern“. Zunächst einmal sind Western schon immer Wiederholungen und Varianten anderer Western. The Magnificent Seven – ein Remake des japanischen Vorbildes Die Sieben Samurai; Return of the Seven ein Remake von The Magnificent Seven. Der Regisseur John Sturges beschreibt seine eigene Haltung so: „Es ist völlig überflüssig, andere Wes­tern zu machen. Wichtig ist, immer denselben Western noch einmal zu machen, nur jedes Mal ein bisschen besser und ein bisschen anders.“

Grundsätzlich kommt es weniger auf die Epoche des Dargestellten an als auf die Zeit und das Bewusstsein der Darstellenden. In den 60er Jahren wird die romantisch affirmative Haltung des Genres zu seinem Gegenstand zunehmend infrage gestellt. Die reitenden Männer mit ihrem Ehrenkodex, ihren Mythen und Regeln und die gesellschaftlichen Änderungen um sie herum – die Auseinandersetzung zwischen diesen Polen wird heftiger, die Distanz größer, der Sieg zweifelhafter.

Der Vietnamkrieg, die Law-and-Order-Mentalität, der Umgang mit Minderheiten, der Hochmut der Herrschenden, die Stellung des Individuums, die Wirkung von Gewalt – kurzum: Imperialismus und Kapitalismus werden kritischer reflektiert, auch und gerade im Blick zurück auf die vergangene Epoche. Legendäre Helden wie Billy the Kid und Buffalo Bill werden entmystifiziert in Dirty Little Billy (1972) oder Buffalo Bill and the Indians (1976) und Doc Holliday und Wyatt Earp in Doc (1971) und in Hour of the Gun (1967): das ist Sturges’ Fortsetzung seines Gunfight at the Ok Corral (1957), des großen klassischen Dramas über die berühmteste Schießerei des Westens. Zehn Jahre danach ist jener Showdown der Anfang der Geschichte, und es geht finster zu zwischen Jason Robards als lungenkrankem Doc, der im Krankenhaus in Denver stirbt, und dem zwielichtigen, von Rache entstellten, selbst­zerstörerischen James Garner als Gesetzeshüter Wyatt Earp.

Auch formal öffnet sich das Genre: John Wayne kommt zum Saloon des endgültigen Showdown nicht zu Pferde, sondern mit der Straßenbahn, ein erster Schritt zum „Großstadtwes­tern“ wie Taxi Driver oder Coogan’s Bluff. Wim Wenders spielt damit, wenn Dennis Hopper sagt: „What’s wrong with a cowboy in Hamburg?“ (Der Amerikanische Freund). Und John Sturges setzt das Thema von The Magnificent Seven in The Great Escape fort: eine Handvoll Männer stellt sich einer unlösbar scheinenden Aufgabe, und drei der „Glorreichen Sieben“ sind auch bei dem Gefangenenausbruch dabei: Steve McQueen, Charles Bronson und James Coburn.

Bullets and Ballads

Das physisch betonte Actionkino mit exzessiver Gewaltdarstellung wird hier von Sam Peckinpah zum Äußersten getrieben. Folglich auch der immerwährende Kampf gegen die Studiobosse; bis die Filme auf der Leinwand erscheinen, blieb oft nur wenig von dem übrig, was ihr Schöpfer inszeniert hat. Sam Peckinpah, Hollywoods „Outlaw“, und seine ergrauten Helden: schon in seinen ersten Western, Deadly Companions und Ride the High Country von 1961, ist kein Platz mehr für Pionierethos und gradlinige Aktionen. Der Westen, der kurz nach der Jahrhundertwende spielt, ist eng, schmutzig und ausgeplündert, Autos ersetzen das Pferd, bizarre Situationen bestimmen das Bild: eine wüste Hochzeitsorgie im Bordell, ein Rummelplatz mit einer Schießbude, ein Revolvermann mit Lesebrille. Der Hauch von Melancholie wird dann am Ende des Jahrzehnts in einer Blutorgie erstickt in The Wild Bunch (1969): Die Helden sind Killer, eine Bande ohne sinnvolles Ziel, ihr Untergang wird zum finalen Abgesang auf eine Epoche, ihr letztes Aufbäumen ist der Widerstand gegen Zivilisation, Technik, Profit und Gesetz. Jeder Kampf ist eine Schlacht, der Film entsteht in der Zeit der amerikanischen Traumata mit des Kriegs in Vietnam, der Gewalt in den Großstädten, der Rassenaufstände und der politischen Morde. Er spielt kurz vor dem Ersten Weltkrieg, bei den Massakern werden Maschinengewehre und Handgranaten eingesetzt. Ungewöhnliche Einstellungen und Perspektiven, Zeitlupe und Wechsel von Totalen und Großaufnahmen, das Eindringen der Kugeln in die Körper mit den Blutfontänen, all das wird zu einem Todesballett choreografiert, das die Moralisten als Ästhetisierung der Gewalt empört. Eine andere Deutung liegt in Peckinpahs Absicht, gegen die Gewöhnung an den Kinotod mit der physischen Erfahrung des Filmtodes anzukämpfen, visuell und akus­tisch gerade den furchtbaren Moment des Sterbens bewusst zu machen.

Doch was bleibt nach Peckinpahs „definitivem Spätwestern“? Noch einmal Peckinpah mit The Ballad of Cable Hogue (1970), einem sanften, tragikomischen Western über einen Mann, der Wasser in der Wüste findet und über dessen bizarres Ende – ein ähnliches und nicht weniger bizarres als jenes in Lonely Are the Brave – Samuel Fuller schrieb: „Längst hat ihn die Gier nach Profit und der Liebe des Mädchens süchtig gemacht, als er endlich erkennt, wie leer sein Leben  gewesen ist. Doch für ihn und den Wilden Westen ist es bereits zu spät. Ruhmlos überfährt ihn am Ende ein mörderischer Vorbote der neuen Zeit: Ein verdammtes Automobil!“

Und nochmals Peckinpah mit seiner Version von Pat Garrett & Billy the Kid (1973): die Freiheit, die sich keinem Gesetz beugen will, und die neue Ordnung, die durchgesetzt werden muss. Billy the Kid, das ist der alte anarchische Traum, dagegen erscheint die neue Ordnung wie organisiertes Verbrechen, schlimmer als die verschwindende Anarchie, und Pat Garrett gerät zwischen die Fronten. Er ist der eigentliche Verlierer, die tragische Figur, die am Ende das eigene Spiegelbild nicht mehr ertragen kann und Jahre später von seinen Auftraggebern selbst ermordet wird. Bei allen heftigen Gewaltausbrüchen ein elegischer und melancholischer Western, dessen Schönheiten endlich im Director’s Cut wiederzuentdecken sind: die Fotografie in der Weite New Mexicos, die geheimnisvolle Figur Bob Dylans und seine Filmmusik, die Besetzung der Nebenrollen mit Slim Pickens und Katy Jurado, die furiosen Action-Sequenzen, die bukolische Szene am Fluss, in der plötzlich Gewalt aufbricht und wieder verebbt, und natürlich die beiden Freunde und Gegner, James Coburn und Kris Kristofferson.

Und dann noch das weite Feld der „Endspiele“ wie Heaven’s Gate (1980), dessen blutige Auseinandersetzungen zwischen Ranchern und Einwanderern jahrelang von den fast ebenso mörderischen Kämpfen zwischen Regisseur Michael Cimino und Produktionsfirma United Artists in den Schatten gestellt wurden. Und schließlich: der Italowestern und die Clint-Eastwood-Ära. Endlos ist die Prärie.