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Lady Chatterley – Lautstarke Stille

Lautstarke Stille

| Karin Schiefer |

Die Gelegenheit, einen neuen Film von Pascale Ferran im Kino zu sehen, hat man leider nicht oft. Wenn sie allerdings zur Tat schreitet, dann mit traumwandlerischer Sicherheit. 13 Jahre nach ihrem ersten Langfilm Petits arrangements avec les morts erhielt sie für ihren zweiten, „Lady Chatterley“, nicht weniger als fünf Césars, auch jenen für den besten Film.

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Über Zeit verfügt Pascale Ferran in ihrer ganz eigenen Weise. Manchmal aus äußerer, manchmal aus innerer Notwendigkeit. Dreizehn Jahre hat es gedauert, bis sie nach ihrem ersten Kinofilm ihren zweiten – Lady Chatterley – fertig gestellt hat. Achtzehn Drehwochen hat sie sich Zeit genommen, um ihre Adaptation von D. H. Lawrences Roman in jene außergewöhnlichen Bilder zu fassen, die nicht weniger als 160 Minuten lang für ein rares Erlebnis großen Kinos sorgen und die ihr in Frankreich fünf Césars – darunter den für den besten Film – eingebracht haben.

Bei Verleihung der Césars im letzten Februar nutzte die 47-jährige Filmemacherin den Augenblick ihres Triumphs, um unter größter medialer Aufmerksamkeit wenige Monate vor den französischen Präsidentschaftswahlen auf die immer prekärer werdende soziale Absicherung ihres gesamten Berufsstandes aufmerksam zu machen, vor allem aber auch, um das schrittweise Verschwinden von Filmen mit mittelgroßen Budgets anzuprangern. Pascale Ferran reiht sich in jene Riege französischer Filmemacher ein, die die wachsende Tendenz, nur noch teure Großprojekte zu finanzieren und mit den verbleibenden Mitteln den Autorenfilm in Minimalbudgets zu zwingen, am deutlichsten zu spüren bekommt. Denn die dreizehn Jahre ohne eigenen Kinofilm bedeuteten nicht nur „fremde“ Projekte wie das Drehbuch für Mathieu Amalrics Mange ta soupe, Regieassistenz für Romain Goupils Une pure coincidence, die Realisierung eines mehrfach ausgezeichneten Fernsehfilms – L’âge des possibles –, der in Frankreich sogar eine kurze Kinoauswertung erhielt, und einen Dokumentarfilm über die Studioaufnahmen zweier Jazzmusiker in Florida, Quatre jours à Ocoee; es hieß für sie auch zweimal rotes Licht für eigene, weitgehend ausgereifte Projekte, die wie im Falle von Paratonnerre, nur wenige Wochen vor dem bereits fixierten Drehbeginn an der letzten Finanzierung scheiterten.

Sensible Wahrnehmung

Lady Chatterley ist die umso kraftvollere Antwort einer Filmemacherin, die, scheinbar unbeirrt an ihrer Idee vom Kino festhaltend, die Energie für einen dritten Anlauf aufgebracht und die Tiefe und lautstarke Stille ihrer Filme zu ihrer bisher stärksten Arbeit gebündelt hat. Von sich selbst erzählt Pascale Ferran, dass sie – die Städterin – sich in den letzten Jahren zu einer begeisterten und begabten Gärtnerin entwickelt habe. Vielleicht kein Zufall, zählt sie doch zu jenen Regisseurinnen, in deren Bildern über alle Sinne spürbar wird, mit welcher Sorgfalt sie zunächst den Boden ihrer Arbeit ergründet und bearbeitet hat, mit welcher Geduld sie die Dinge von ihren Wurzeln her sich entfalten lässt und mit welch sensibler Wahrnehmung sie das Gleichgewicht aller wirksam werdenden Faktoren im Auge hat, damit die Früchte dieser Arbeit prachtvoll gedeihen.

Ob in Petits arrangements avec les morts, mit dem sie 1994 in Cannes die Caméra d’Or gewann, die kunstvoll modellierte Sandburg am Abend den Gezeiten preisgegeben wird, um am nächsten Tag an derselben Stelle wieder aufgebaut werden zu können, oder ob die Liebe zwischen Constance und Parkin in Lady Chatterley sich dem Lauf der Jahreszeiten gemäß zu entfalten und zu verändern beginnt – die Natur gibt in Ferrans Erzählungen den Rhythmus vor. Es ist ein Rhythmus, der so nahe wie möglich am Leben schlägt, der von Verlust und Trauer, von Angst und Liebe erzählt. In Petits arrangements verfolgte sie an einem bretonischen Strand einen Sommer lang drei Figuren, deren Leben vom Verlust eines Menschen geprägt ist. Nach und nach spült scheinbar das Meer in drei nur vage ineinander greifenden Episoden die kurz oder länger zurückliegenden Geheimnisse an Land, die sich zu einem Mosaik vom Kommen und Gehen, von der verlorenen Zeit und den irrigen Wegen der Trauer zusammenfügen. Im nur ein Jahr später entstandenen L’âge des possibles, einem mit den Schauspielstudenten der Straßburger Ecole Supé­rieure d’Art Dramatique erarbeiteten Fernsehfilm, thematisiert sie das Unbehagen an der Zeit und in der aktuellen Gesellschaft, die Zweifel der Jugend, ihre Ängste vor der Zukunft und dem Leben: „Die Angst“, heißt es da, „ist überall. Und produziert täglich Katastrophen. Sie nährt sich aus sich selbst, und wer heute Angst hat, wird morgen noch mehr davon haben. Das einzige Ziel im Leben ist es daher, diese Angst in uns zu töten.“ Mit der Geschichte einer die sozialen Konventionen überwindenden Liebe liefert Pascale Ferran mehr als zehn Jahre und zwei gescheiterte Filmprojekte später in gewisser Weise eine heitere und sinnliche Antwort auf die dunklen Fragen ihrer ersten Filme.

Langsame Annäherung

Ihre Lady Chatterley ist ein Plädoyer für den Mut zur Freiheit in der Enge des sozialen Korsetts einer von klaren Klassenschranken bestimmten und vom Trauma des Ersten Weltkrieges angeschlagenen Gesellschaft. Was nach naivem Pathos, gemischt mit emanzipatorischen Gehversuchen in einem historisch verankerten Sittenbild klingen mag, inszeniert die Filmemacherin in einer schlichten Zeitlosigkeit und nicht zuletzt dank ihrer Hauptdarsteller Marina Hands und Jean-Louis Coullo’ch mit einer entwaffnenden Natürlichkeit der Gesten und Körper als simple wie berührende Geschichte einer wachsenden Bindung zwischen zwei Menschen. Das angeblich Skandalöse, das dem Stoff vorauseilt und dafür sorgte, dass das 1928 erschienene Buch in England bis in die sechziger Jahre mit Zensur belegt war, suchte Pascale Ferran schon bei der Lektüre des Romans vergeblich. Ihren Hauptdarstellern räumte sie für die Begegnung der beiden Körper auch in der Vorbereitung die Zeit einer langsamen Annäherung ein, die schließlich im Film ihre Fortsetzung findet, sich still und fließend in das Ganze fügt und dadurch ihre besondere Intensität erlangt.

Das Kino der Pascale Ferran ist ein Kino von einer außergewöhnlich intuitiven Kraft, das entschlossen an der Bedeutung jeden Details festhält, jede Regung im Gefüge wahrnimmt und vor allem gewissen Dingen die nötige Zeit schenkt, um schließlich im Duktus der Leichtigkeit diese bewegende Tiefe zu transportieren. Würden sich also die finanziellen Voraussetzungen fürs Filmemachen rasch und entscheidend ändern, sie würde uns wohl dennoch eine Weile auf ihren nächsten Kinofilm warten lassen.