Sicko

| Roman Scheiber |

Der Meister des Political Entertainment widmet sich dem moralisch verrotteten US-Gesundheitssystem: Michael Moore is back.

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Was uns erwartet, ahnen wir schon. Mr. Moore zieht wieder mit der Kamera durch die Lande, um einen Feldzug gegen die Verräter amerikanischer Werte zu führen – diesmal im Namen der gesundheitlich Benachteiligten. Im Wesentlichen zeigt Sicko, was halbwegs informierte Menschen längst wissen: Das Gesundheitswesen in den USA liegt im Argen, und zwar deshalb, weil es privatwirtschaftlich organisiert ist und somit auf Profit ausgerichtet. Komplizierte Behandlungen sind teuer, daher lehnen die Versicherer entsprechende Anträge ihrer Kunden vorsorglich ab; von den Abermillionen, die sich keine Krankenversicherung leisten können, noch gar nicht zu reden.

Gründliche Recherchen vorausgesetzt, könnte man einen soliden Dokumentarfilm drehen, der nach den Wurzeln dieses Problems sucht. Mr. Moore macht erneut eine docutragicomedy daraus. Der frühere Schrecken amerikanischer Wirtschaftskapitäne (Roger & Me) und Robin Hood der Fabrikarbeiter (The Big One) hat sich durch konsequentes Verfassen satirischer Bücher und Filme spätestens mit Fahrenheit 9/11 in die Topliga utilitaristischer Patrioten katapultiert. Nun ist sein halblustiges Volksaufklärungskino um ein bizarres Kapitel reicher. Mit einem Schippel freiwilliger Ground-Zero-Helfer, die bis heute an Folgekrankheiten laborieren, begibt er sich auf ein Boot, um vor der Küste von Guantanamo Bay mit dem Megaphon Einlass zu fordern: Die medizinische Versorgung der Häftlinge sei prima, habe er gehört, würden 9/11-Helden nicht zumindest eine gleich gute Versorgung verdienen wie Al-Kaida-Leute? Im bösen Kuba lässt der Polemiker dann kostenlos seine Patienten heilen und ihnen – pathetischer Höhepunkt – von der lokalen Feuerwehr die Ehre erweisen. Selbstverständlich Kanada, aber auch Frankreich und England zeigt er als Paradiese für Schwangere, Kranke und Verunfallte; konstruierte Gags, Kitschmusik und Tränen zerstreuen das Publikum ausreichend, um auf die wesentliche Frage zu vergessen: Was (außer ein heimlich mitgeschnittener Kommentar Nixons zur Privatisierung des Gesundheitswesens, den Moore zum Urmythos erklärt) ist eigentlich the fucking reason für die Misere?

Dem unversicherten, krank gewordenen Betreiber einer Moore-kritischen Webseite hat Mr. Moore anonym Geld überwiesen, nicht ohne in Sicko gönnerhaft darauf hinzuweisen. Den Machern der Moore-kritischen Doku Manufacturing Dissent hat der mittlerweile ziemlich mächtige Clown aus Flint, Michigan, jedoch nicht einmal ein Interview gegeben.