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70mm-Film – More than Meets the Eye

More than meets the eye

| Leo Moser |

Während große Teile des Publikums sich anschicken, Filme nur noch auf DVD anzuschauen, huldigt eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Enthusiasten hartnäckig der cineastischen Königsdisziplin: dem 70mm-Kino.

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Cineasten, Cinephile, Connaisseure und sonstige Filmfreaks aus halb Europa versammelten sich Anfang Oktober bereits zum dritten Mal im deutschen Karlsruhe, um sich in der Schauburg, Europas einzigem noch im Original erhaltenen Cinerama-Kino, an Filmen im Königsformat 70mm mit 6-Kanal-Stereo-Magnetton zu erfreuen. Was lag näher als ein Abstecher in die 1715 gegründete, als „Fächerstadt“ bekannte Stadt, von der einst Heinrich von Kleist schwärmte: „Sie ist wie ein Stern gebaut, klar und lichtvoll wie eine Regel, als ob ein geordneter Verstand uns anspräche.“

Der 1953, im Entstehungsjahr des Filmformats Cinemascope geborene Herbert Born, seit 2005 Besitzer des Traditionskinos, scheint Heinrich von Kleists Worte im cineastischen Sinne auch für sich und seine Schauburg entdeckt zu haben und hat sich damit weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt gemacht, vor allem mit der kontinuierlichen Wiederaufführung von 70mm-Filmen, die aus Kostengründen seit 1996 – mit Ausnahme von IMAX-Filmen – nicht mehr produziert werden. Dies und die Tatsache, dass sich seit 1993 mit den alljährlich stattfindenden Widescreen Weekends im nördlich von London gelegenen Bradford, dem seit 2000 im Norwegischen Filminstitut in Oslo beheimateten 70mm-Festival und mit der vom dänischen Filmvorführer und 70mm-Filmbuff Thomas Hauerslev gegründeten Kult-Website www.in70mm.com eine stetig wachsende Fangemeinde gebildet hat, wird nunmehr ergänzt durch ein Drei-Tage-Festival, bei dem diesem besten, größten und beeindruckendsten Filmformat der Filmgeschichte gehuldigt wird. In diesem Jahr überraschte Karlsruhe wieder mit exquisiten Beispielen der verschiedensten Aufnahmeverfahren, so etwa William Wylers mit elf Oscars gekrönter Ben Hur (1959), gedreht in MGM Camera 65, Stanley Kubricks in Super Panavision produzierter 2001 – A Space Odyssey (1965), Anthony Manns Super-Technirama-70-Epos El Cid (1961) oder Jacques Tatis restaurierter Mitchell-65mm-Produktion Playtime (1965). Dazu kamen absolute Raritäten: 70mm-Blow-Ups von 35mm-Produktionen wie J. Lee Thompsons Taras Bulba (1961) mit Yul Brynner, Tony Curtis und dem damals erst 17-jährigen Österreich-Export Christine Kaufmann, ebenfalls mit Yul Brynner der Musical-Klassiker The King and I (1956), der von einer „55mm“-Kopie umkopiert wurde, Gina Lollobrigida in Kaiserliche Venus (1962) von Jean Delannoy, Sam Peckinpahs The Wild Bunch (1969) und der für den Auslands-Oscar nominierte norwegische Pathfinder (1988) von Nils Gaup, dessen gleichnamiges Hollywood-Remake, inszeniert von Markus Nispel, heuer – mit Ausnahme Österreichs – weltweit in die Kinos kam.

Österreich war ebenfalls – unfreiwillig – vertreten mit unserem Star der 50er und 60er Jahre, dem Klosterneuburger O. W. Fischer als Darsteller in der von Deutschland, Italien und Frankreich produzierten Verfilmung Onkel Toms Hütte (1965), die erstmals seit ihrer Uraufführung in der originalen MCS-70-Superpanorama-Fassung zu bestaunen war. Diese absolute Rarität wird im nächsten Jahr mit der Aufführung der letzten großen Filmproduktion der Wiener Stadthalle übertroffen werden: Der Kongress amüsiert sich (1966). Dabei handelte es sich um den einzigen ehrgeizigen österreichischen Versuch, in MCS-Superpanorama zu reüssieren. Der Rest ist Filmgeschichte: Die mit Millionenschulden behaftete Wiener Stadthallen-Produktion wurde liquidiert, und der Film verschwand in den Archiven. Der damals größte Filmflop Österreichs wurde erst 2002 von Fritz Lehners künstlerischem und kommerziellem Debakel Jedermanns Fest getoppt. Ironie am Rande: Diese Filmbombe wurde gar nicht in 70mm produziert, sondern „nur“ in Cinemascope.

Wie dem auch sei, international gesehen war der Erfolg von Systemen wie Todd-AO-70mm, Super Panavision 70, MGM Camera 65, Ultra Panavision, Super Panorama 70, Super Technirama 70, Dimension 50, Cinemascope 55/Grandeur 70, Arri-
flex 765 und Smell-O-Rama zwischen 1955 und 1996 unbestreitbar und wird in Zukunft noch öfter Anlass für einschlägige Festivals in den USA, in England, Norwegen, Deutschland oder Tschechien sein. Österreich hinkt leider wieder einmal nach. Hierzulande riss man lieber 70mm-taugliche Kinos ab, baute in bestehenden Kinos die Technik aus oder ließ, wie im Wiener Gartenbau-Kino, die Geräte zwar stehen, kappte aber die Tonanlage, wodurch 70mm-Aufführungen unmöglich wurden. Was bleibt da schon anderes übrig, als sich ins Ausland zu begeben, um dieses Königsformat in voller Bandbreite zu genießen: auf den größten Leinwänden, mit der besten Projektion, dem besten Sound und einer treuen Anhängerschaft. Lang lebe 70mm!