ray Filmmagazin » Dokumentarfilm » Havanna – Die neue Kunst, Ruinen zu bauen

Havanna – Die neue Kunst, Ruinen zu bauen

| Walter Gasperi |

Das Porträt einer Handvoll Kubaner, die zerfallende Gebäude in Havanna bewohnen, wird zu einer Reflexion über den Niedergang der Karibikinsel.

Werbung

Kein Off-Kommentar führt in den Film ein, auf Erläuterungen zur Geschichte Havannas und zur aktuellen gesellschaftlichen und politischen Situation Kubas wird konsequent verzichtet. Florian Borchmeyer überlässt den filmischen Raum ganz den fünf Protagonisten und dem Schriftsteller Antonio José Ponte, der sich selbst als „Ruinologe“ bezeichnet und mit seinen Anmerkungen das Bindeglied zwischen den einzelnen ineinander geschnittenen Porträts bildet. Während die Porträtierten von ihrem Alltag und den schwierigen Lebensbedingungen erzählen, gleitet die Kamera langsam immer wieder über die zerbröckelnden Fassaden oder durch die desolaten Innenräume der einstigen Prunkgebäude, wie des Teatro Campoamor, des Hotel Regina oder des Edificio Arbos, die nun als stets vom Einsturz bedrohte Wohnungen dienen.

Unweigerlich werfen die poetischen Bilder und die freimütigen Erzählungen nicht nur die Frage auf, wie das Leben in den Gebäuden und wie es mit der Stadt weitergehen wird, sondern auch, wie es zu diesem Verfall kommen konnte. Aus dem Individuellen und Alltäglichen heraus entwickelt Havanna – Die neue Kunst Ruinen zu bauen seine politische Dimension, die durch schwarzweißes Archivmaterial aus der Blütezeit der „Perle der Karibik“ aus der revolutionären Aufbruchsstimmung der 1960er Jahre noch verstärkt wird. Der Zustand der Bauten wird zum Sinnbild für den Zustand des Staates im 47. Jahr unter der Herrschaft Fidel Castros. Im Gegensatz zu den leer stehenden Ruinen der Antike rufen diese bewohnten Ruinen – wie Ponte in seinem insgesamt zu aufdringlichen Kommentar meint – aber keine Melancholie, sondern Empörung hervor, da sie auf katastrophale soziale Verhältnisse und ein Versagen der Regierung verweisen. Kein Wunder, dass der Film vom letztjährigen Filmfestival Havanna ausgeschlossen wurde.

Über den offen regierungskritischen Aspekt hinaus ist dieser Dokumentarfilm aber auch eine universelle Reflexion über die Vergänglichkeit, über den Gegensatz von Einst und Jetzt, der durch eine Plattenaufnahme von Enrico Caruso, die zu den Bildern des Theaters eingespielt wird, Partyszenen, die in Kontrast zum baufälligen Hotel stehen, aber auch durch ein Hochzeitsbild einer jungen Frau als Gegenpol zu ihrem heutigen gealterten und  faltenreichen Gesicht unaufdringlich, aber einprägsam sichtbar gemacht wird. Der einstige Glanz ist so in den alles Pittoreske aussparenden Bildern des Verfalls immer erahnbar.