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Filmbücher – Filmgedichte einer Sprachkünstlerin

Filmgedichte einer Sprachkünstlerin

| Maya McKechneay |

Der vierte Band der vorzüglichen Buchreihe „Film & Schrift“ ist der Feuilletonistin und Kritikerin Karena Niehoff gewidmet.

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Was wäre wohl das Umkehrbild einer Literaturverfilmung? Eine Filmliterarisierung? Filmécriture? Filmpoesie? Karena Niehoff müsste es eigentlich wissen, war sie doch Meisterin dieses Genres.

In ihren zwischen 1945 und 1992 in diversen Zeitungen (u.a. der Süddeutschen Zeitung, der Welt, dem Tagesspiegel) erschienenen Filmkritiken, Glossen, Features, Reportagen und gelegentlichen Theaterkritiken sucht die Autodidaktin das Gesehene in lyrische Sprache zu fassen: „Als die immer wieder in Fetzen von Worten, Anspielungen, Bewegungen, dürre um sich selbst kreisende Gesellschaft schal auseinandergesickert ist, findet sich das Ehepaar allein auf der bleichen Wiese, in der Blutarmut des noch schicksallosen Tages“, schreibt sie 1962 über Marcello Mastroianni und Jeanne Moreau in Antonionis La Notte.

Kaum vorstellbar, dass eine ähnlich metaphernsatte Sprache heute in der Filmkritik Anklang finden, ja überhaupt in den Druck gelangen könnte. Offensichtlich geprägt von der emphatischen Wahrnehmung des späten Expressionismus, feiert Niehoff Filme als synästhetische Ereignisse; das auf der Leinwand Dargestellte beschreibt sie wie Landschaften, die man riecht, schmeckt, spürt: Ein „fischsuppensilbriges, wehmütiges, unerträglich schönes Paris“ findet sie 1960 in Le Voyage en Ballon von Albert Lamorisse, der „die „Montblanc-Kuppel (…) durch das eisblaue Fenster eines Bergsees blicken lässt.“

Direktheit ist Niehoffs Sache dabei nicht, schon möglich, dass diesem Stil eine nie ausgelebte Neigung zur Prosa zugrunde liegt: „Ich hätte wirklich gern eine Novelle oder einen Roman von ihr mal lesen wollen, aber die Konzentration oder die Kraft hat nie gereicht“, schreibt ihr zeitweiliger Lebensgenosse Egon Bahr. Dass dieser Mangel an Konzentration auch auf die im Krieg durchlittene Not und das Nur-um-Haaresbreite-Überleben der 1920 geborenen Halbjüdin Niehoff zurückzuleiten sein könnte, führt Jörg Becker in einem wohl recherchierten und detailreichen Vorwort zum Band aus; an Stoffmangel kann es jedenfalls nicht gelegen haben, dass Niehoff ihren Roman nie schrieb, ist doch ihr Leben selbst – von der Geheimhaltung ihres großbürgerlichen Vaters über die Zusammenarbeit mit Anti-Nazi-Zirkeln, diverse Verhaftungen, ihre Zeugenaussage beim Nürnberger Prozess und späteren politische Stellungnahmen – eine Sammlung von Mikrodramen.

So ganz anders als ihre prominentere Zeitgenossin Frieda Grafe sieht Niehoff (Spiel-)Filme als emotionale Ereignisse: Ihr Augenmerk bei deren Beschreibung und Bewertung liegt auf der Geschichte zum einen und der Schauspielleistung zum anderen. Eine Analyse der Struktur, der Technik, Reflexionen über den Apparat Kino interessieren sie dabei wenig; selten führt sie Referenzen zu anderen Filmen an, öfter dafür schon zur Literatur.

Dem Band ist eine DVD mit einem Gespräch beigelegt, das Alexander Kluge 1991, ein Jahr vor ihrem Tod, mit der stets rauchenden und von ihm so bezeichneten kämpferischen Journalistin Niehoff führte. Stärker als in Niehoffs Texten selbst kann sich die Autorin dieser Zeilen übrigens in der Beschreibung wieder finden, welche die alte Dame von deren Entstehung abgibt: „Es gibt Filme, bei denen ich erst durch den Zwang zu formulieren, mir die Meinung bilde, die ich selber habe.“