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John Carpenter – Jeder für sich und die Welt gegen alle

Jeder für sich und die Welt gegen alle

| Jörg Schiffauer |

Am 16. Jänner feiert John Carpenter seinen 60. Geburtstag. Eine Würdigung.

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George Stevens Jr. betitelte den Dokumentarfilm, mit dem er seinen Vater, den großen Regisseur gleichen Namens aus der klassischen Ära Hollywoods, 1984 porträtierte, A Filmmaker’s Journey. Einer Rückschau auf das Schaffen John Carpenters könnte aus einer Reihe von Gründen genau dieser Titel voran gestellt werden, denn obwohl Carpenter zur Renaissance Hollywoods einen nicht  unmaßgeblichen Beitrag leistete, blieb seine Karriere vor allem in der jüngsten Vergangenheit nicht vor Rückschlägen verschont. Filme wie Assault on Precinct 13 (1976), Halloween (1978) oder Escape from New York (1981) haben ihren Status als Kultklassiker längst gefestigt, doch selbst eingefleischte Carpenter-Fans müssen konzedieren, dass seine Filme, trotz einiger mehr als respektablen Arbeiten, seit etlichen Jahren nicht mehr das höchste Qualitätsniveau erreichen. Gerade das aber lässt eine kritische Würdigung seines Gesamtwerks mehr als überfällig erscheinen.

Traditionalist und Auteur

John Carpenter zählte zu Beginn der 70er Jahre neben Spielberg, Scorsese, Lucas oder Coppola zu jenen jungen Filmemachern, die dem künstlerisch und ökonomisch am Boden liegenden Studiosystem Hollywoods zu einer Wiederauferstehung von ungeahnten Dimensionen verhelfen sollten. Wie viele der Repräsentanten New Hollywoods fühlte sich auch Carpenter dem klassischen Hollywoodstil der 40er und 50er Jahre mit seiner ausgeprägten Genretradition und jenem elaborierten formalen System, das so effektiv auf die Erfordernisse narrativen Kinos ausgerichtet war, verpflichtet. Zwar berief sich die Mehrzahl der New-Hollywood-Regisseure in ihren Arbeiten auf das klassische System, doch bei keinem kommt diese Wertschätzung so ausgeprägt und durchgehend zum Tragen wie bei John Carpenter.

Besonders seine Vorliebe für pures Genrekino zählt zu jenen hervorstechenden Merkmalen, die Carpenters Filme prägen. Und obwohl John Carpenter immer noch primär mit dem Fachbereich Horror assoziiert wird, weist sein Gesamtwerk eine Vielzahl unterschiedlichster Genres auf, die von Science Fiction (Dark Star), über die Komödie (Memoirs of an Invisible Man) bis hin zu Martial Arts (Big Trouble in Little China) reichen. Diese Vielseitigkeit lässt sich vermutlich dadurch erklären, dass Carpenter, im Gegensatz zu vielen seiner New-Hollywood-Mitstreiter, den Rückgriff auf das klassische System nicht bloß als Ausgangspunkt für die Entwicklung individueller Autorenfilme ansieht, sondern sich primär auf das narrative Element innerhalb der Genretradition konzentriert. Alle Aspekte des Filmemachens, sowohl dramaturgische als auch technische, sind bei Carpenter zunächst darauf ausgerichtet, der Narration maximale Wirkung zu verschaffen. Was Carpenters Filme dabei besonders auszeichnet, ist seine höchst ökonomische und zugleich effiziente Erzählweise, die gleichsam die Essenz des klassischen Hollywood-Systems mit seinen linearen, narrativen Strukturen darstellt. Carpenters Filme sind stets stringente, vom System narrativer Kausalität dominierte Erzählungen, die gerade über ihre klaren, reinen Strukturen eine Intensität entwickeln, die nahezu unerreicht bleibt. Wie gekonnt Carpenter mit dieser ökonomischen Erzählweise operiert, lässt sich etwa anhand der Charakterisierung seines Helden in Escape from New York, Snake Plissken, demonstrieren. Der Zuschauer kennt niemals genau Plisskens kriminelle Vergangenheit oder die Gründe für seine Berühmtheit, obwohl offenbar jeder der anderen Charaktere genau Bescheid weiß. Doch Plisskens Körpersprache und sein ganzes Verhalten etablieren für den Zuschauer sehr rasch genau jenen Status als legendärer Outlaw, auf dem die Ausgangssituation des Films aufbaut.

Auch einen anderen Aspekt der Genretradition, die Kanonisierung, also das Variieren bestimmter, stets wiederkehrender genretypischer Elemente und das Wissen des erfahrenen Zuschauers um diesen Kanon, nützt Carpenter, um die Effizienz seiner Inszenierungen zu steigern. Während etwa Rob Zombie in seinem unlängst gestarteten, völlig missratenen Remake von Halloween jede Menge Erzählzeit mit pseudo-psychologischen Erklärungen verschwendet, um die Mordgier von Michael Myers umständlich zu begründen, genügen Carpenter wenige Sequenzen, um die Figur des Killers mit weißen, gesichtlosen Maske einzuführen. In Carpenters Halloween bricht Michael Myers wie eine Naturgewalt, gleichsam wie die Apokalyptischen Reiter, über das bislang so idyllische Städtchen Haddonfield, Illinois, herein. Erklärungen dafür sind, wie Carpenter, anders als Rob Zombie, sehr wohl weiß, im Horror-Genre eine nahezu überflüssige Übung, narrative Kausalität stößt hier an selbst auferlegte, genre-immanente Grenzen.

Wegen dieser starken Betonung der Genre-Tradition könnte man John Carpenter aber auch als exemplarischen Repräsentanten New Hollywoods bezeichnen, galt doch das Wiederauffrischen der Stärken des klassischen Systems als eines der Credos unter den Vertretern New Hollywoods. Carpenter blieb mit seiner Vorstellung, diesem System durch Perfektionierung anstelle von Abweichung oder Weiterentwicklung neues, innovatives Leben einzuhauchen, zwar eine weitgehend singuläre Figur, doch gerade diese Konzentration auf die formale Gestaltung, auf stre-ckenweise pures Kino (man erinnere sich nur an die Sequenz aus Assault on Precinct 13, in der das Polizeirevier minutenlang mit schallgedämpften Waffen unter Beschuss genommen wird) verleihen Carpenters Filmen ihre Originalität. Dass John Carpenter über diesen Fokus auf den formalen Aspekt stets in bester Auteur-Manier eine persönliche, originäre Vorstellung von Kino zu generieren versuchte, zeigt sich allein schon daran, dass er neben der Regie auch oftmals für Drehbuch, Schnitt und Musik verantwortlich zeichnete.

Bruchlinien

Trotz der so unterschiedlichen Genres, die in Carpenters Gesamtwerk zu finden sind, lässt sich doch ein Topos identifizieren, der immer wieder in seinen Arbeiten auffält, nämlich jener der Belagerung, dem sich die Charaktere seiner Filme ausgesetzt sehen. Das augenscheinlichste Beispiel dafür ist natürlich Assault on Precinct 13, aber auch in Halloween, The Fog, Escape from New York, The Thing, Prince of Darkness oder Village of the Damned findet sich dieses Motiv wieder. Dabei spielt es im Einzelnen keine Rolle, ob die Bedrohung, die diese Belagerung auslöst, Straßenbanden, Geister, Serienmörder oder außerirdische Monster sind. Kritik entzündete sich immer wieder daran, dass eben jene Bedrohungen weitgehend unmotiviert, gleichsam aus dem Nichts über die Protagonisten hereinbrechen. Dass diese Bedrohungen nicht auf gesellschaftliche Probleme zurückgeführt werden und eine intakte Welt gefährden sollen, hat Carpenter mehrfach den Vorwurf eingetragen, eine eher konservative Sichtweise zu transportieren. Was jedoch bei näherer Betrachtung eine nur schwer haltbare These bleiben dürfte. Zwar tauchen Gefahren und Bedrohungen in Carpenters Filmen unvermittelt (was manchmal, wie bereits erwähnt, auch Genre-bedingte Gründe hat)  auf, doch es sind keineswegs heile oder auch nur intakte Welten, die dadurch aus den Fugen geraten. Vielmehr fördern erst die Bedrohungen zutage, dass die diversen sozialen Systeme, in denen die jeweiligen Charaktere agieren, bereits instabil waren, bevor der äußere Druck die Bruchlinien sichtbar macht. Anders als in Howard Hawks‘/Christian Nybys The Thing from another World (1951) solidarisieren sich in Carpenters Remake von 1982 die Mitglieder des Forschungsteams nicht über alle Differenzen hinweg, um dem außerirdischen Monster Herr zu werden, sondern Misstrauen und Feindseligkeiten innerhalb der Gruppe werden zu einer fast ebenso großen Bedrohung wie der äußere Feind. Auch in Assault on Precinct 13 brechen Differenzen unter den im Polizeirevier Eingeschlossenen immer wieder auf (wobei auch die Fronten und Koalitionen innerhalb der Gruppe sich permanent verschieben), erst die stetig aussichtsloser werdende Lage schweißt die Verbliebenen zu einer Art Notgemeinschaft zusammen. In Escape from New York ist es das durch den Staat repräsentierte System an sich, das völlig korrupt und moralisch verrottet ist. Demzufolge ist es für Snake Plissken nach und nach bloß noch situationsabhängig, ob die in Manhattan eingeschlossenen Verbrecher oder die Repräsentanten des Staates für ihn die größere Bedrohung darstellen, vertrauen kann man in einer derart amoralischen Welt ohnehin niemanden. (Man rufe sich nur ins Gedächtnis, wie oft Plissken im Verlauf des Films verraten und hintergangen wird.) Bei John Carpenter, und das ist das latent subversive Element seiner Filme, ist das gesellschaftliche System an sich bereits brüchig, äußere Bedrohungen tragen nur dazu bei, diesen Zustand auch deutlich erkennbar zu machen. Eine solche Welt liefert natürlich keine brauchbaren ethischen Werte, verlassen kann sich das Individuum nur noch auf sich und seine eigenen moralischen Koordinaten.

Es mag charakteristisch für Carpenter sein, dass er die Bedeutung individuellen, unabhängigen Handelns so hervorstreicht. Trotz seiner engen Verbundenheit mit dem Genrefilm konnte oder wollte er sich nie ins bestehende Hollywood-System integrieren wie etwa Spielberg, Lucas oder Scorsese. Reputation als Autorenfilmer, wie etwa Robert Altman, wurde ihm nie zuteil. Es mag ein wenig paradox erscheinen, dass gerade zu einem Zeitpunkt, an dem es  für John Carpenter zusehends schwieriger wird, eigene Projekte zu finanzieren, Mainstream-Remakes seiner früheren Werke (Assault on Precinct 13, The Fog, Halloween; Escape from New York ist bereits in Planung)  reihenweise produziert werden, was aber zumindest ein Indiz für das ungebrochene Interesse an seinen Arbeiten selbst ist. Der Mei-
ster ist vielleicht doch noch nicht am Ziel seiner Reise angelangt.