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Crossing Europe – Privatspäße eines Regionalisten

Die Privatspäße eines Regionalisten

| Hans Christian Leitich |

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Wer sich fragt, wie man „Le Prestige de la mort“ übersetzen könne – „Prestige des Todes“ oder „Reiz des Totseins“ –, der ist schon mitten drin im Anspielungsdickicht von Luc Moullet, dem Autor und Regisseur dieses drolligen Filmprojekt-im-Film-Projekts.

Über den Titel seiner Groteskkomödie von 2002 – Die Schiffbrüchigen der D17 – lässt sich das Kino-Universum des 70-jährigen Parisers Luc Moullet eingängig erschließen. Die D17 ist ein seltsames französisches Straßenbauprojekt, seit den Zwanziger Jahren betrieben, dann aber im Süden versandet, in einem fast menschenleeren Hochtal von karger, vom Kino ungewürdigter Schönheit. Die dort Gestrandeten sind etwa ein Filmteam, das einen schrägen Alpinwestern dreht. Selbiges hatte Moullet 1971 getan, nämlich den bemerkenswerten Une aventure de Billy le Kid mit Jean-Pierre Léaud. Dort tummeln sich weiters Astrophysiker, Schäfer und Soldaten in abstruser Geheimmission. Und auch zwei trainierende Rallyepiloten, Typen also, die in Frankreichs Alltag wohl präsent sind – siehe Citroën mit Starpilot Sébastien Loeb –, nicht aber in Filmstoffen. Alles ist eine Gegenthese zum Kultur-zentralismus, zu den Erzählmotiven der in Paris konzentrierten Kinoindustrie, eine pointierte Ironie von einem, der genau diesem Zentrum entstammt.

Mit 18 Jahren war Luc Moullet schon Autor bei den Cahiers du Cinéma, ein paar entscheidende Jahre jünger als die Prominenten der Nouvelle-Vague-Generation, in deren Schatten er seither steht. Moullets Status als ewiger Insidertipp (zumindest außerhalb Frankreichs) mag daher rühren, dass sein Filmschaffen (sein erster Kurzfilm entstand 1960, sein Langfilmdebüt 1966 mit Brigitte & Brigitte; seine bekanntesten Werke wurden Anatomie d‘un rapport von 1975, Genèse d‘un repas von 1978 und La Comédie du travail von 1987) spektakelarm auftritt, kameratechnisch betont schmucklos und mit vielen grandios lakonischen Kurzfilmen durchsetzt. Und auch damit, dass Moullet zwar kontinuierlich drehte, aber immer wieder auf Distanz ging. So half er etwa Marguerite Duras als Produzent aus, schrieb viel als Kritiker, so auch ein Buch über Fritz Lang, und bekleidete eine Professur an der Pariser Filmhochschule La Fémis. (1998 übrigens widmete ihm die Viennale einen ihrer Tributes.)

Vor diesem arbeitsbiografischen Hintergrund erklärt sich auch die Kette an Witzeleien, die seinen jüngsten Langfilm Le Prestige de la mort ausmachen. Hauptfigur ist ein Regisseurs-Alter ego namens „Luc Moullet“, und Moullet spielt ihn mit betonter Zauseligkeit, umstandsmeierischer Sprache und patscherter Freizeitkleidung. Und „Moullet“ hadert mit einem Projekt, das nicht zustande kommen will, der Verfilmung eines frühen Romans des viktorianischen Großautors Thomas Hardy. Der Schauplatz von Desperate Remedies soll von Südwest-england in die Provence verlegt werden; und das klingt sehr nach einer Filmidee des berühmten Jacques Rivette. „Moullet“ gebiert die Idee, unterzutauchen, sich für tot erklären zu lassen und dann die Publicity des Wiederauftauchens für sein Projekt zu nützen. Doch leider blockieren erst Nachrufe auf Jean-Luc Godard die Zeitungen – dies ist ein schwarzer Scherz mit einem Kollegen, mit dem er einiges teilt: zeitweilige Werkparallelen – Les Contrabandières von 1968 ist recht Godard-ähnlich – und eine Vorliebe für die Großregion der französischen Alpen. Ebendort erhält Le Prestige de la mort eine weitere Wendung, als „Moullet“ die Identität eines aufgefundenen Kletteropfers annehmen will. Doch wieder leider: Der Tote mit dem pompösen Namen Charles Albert Duport-Anxionnax ist ein sogenannter Enarche, ein zwielichtiges Mitglied der französischen Verwaltungselite; Pariser Schatten fallen weit. Dafür treten die ermittelnden Polizisten dann, ganz gegen den Strich des grimmigen Pathos des Policier-Genres gebürstet, auffällig absurd auf – kurz: Moullets Film lebt konsequent von schrulliger Opposition zu Kino-Konventionen.