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Il Caimano – Forza Nanni!

Forza Nanni!

| Arnold Schnötzinger |

Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist Nanni Moretti ein Singulär im italienischen Filmschaffen, der zwischen Tragik und Komik seinen unverwechselbaren Stil entwickelt hat. Kino ist für Moretti aber auch politisches Kampfinstrument. Lieblingsfeind: Silvio Berlusconi, dem mit „Il Caimano – Der Italiener“ eine Generalabrechnung gewidmet ist.

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Un’idea non puo finire“ – eine Idee kann nicht enden. Irgendjemand hat diese Zeile auf eine Hausmauer in Rom gesprüht. Darunter Hammer und Sichel. Nanni Moretti betrachtet den Schriftzug lange. Nickt mit dem Kopf, zollt der Souveränität des Gedankens Respekt. Obwohl nie ein Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens, der Partito Communista, gilt Moretti seit Beginn seiner Karriere als einer der kämpferischsten Linken seines Heimatlandes. Einer, der sich stets als scharfsinniger Beobachter der politischen Entwicklung Italiens erweist. Umso mehr, als mit Silvio Berlusconi und dessen Partei Forza Italia seit mehr als einem Jahrzehnt ein Feindbild par excellence die italienische Politik beherrscht.

Berlusconi? Für Moretti seit langem ein fixer Wegbegleiter seiner Filme. Man erinnert sich: 1998 hüpft Moretti in seinem Film Aprile wie ein Rumpelstilzchen vor dem Fernseher, weil Massimo D’Alema, der damalige Parteivorsitzende der Demokratischen Partei der Linken, sich in einem Fernsehduell im Wahlkampf 1996 von Berlusconi regelrecht vorführen ließ: „Verteidige die Linke, D’Alema, sag doch was, reagier doch endlich … !“ Doch D’Alema versagt, und Moretti verzagt. Aber nicht nur in Aprile spürte der Mann mit der Vorliebe für Flanellhemden und Vespa-Roller den Ungeheuerlichkeiten des Cavaliere nach. Schon 1994 produzierte Moretti, gebürtiger Südtiroler, mit Regiekollegen den 18-minütigen Kurzfilm L‘unico paese al mondo, eine bissige Montage von Anti-Berlusconi-Statements bekannter Persönlichkeiten aus dem italienischen Kulturleben. Das titelgebende „einzige Land der Welt” ist eine Anspielung auf den Staat, in dem ein Medienmogul Regierungschef werden konnte. „Das Problem in Italien ist, dass es alle, egal ob links oder rechts, mittlerweile als völlig normal ansehen, dass der Eigentümer von drei Fernsehkanälen und mehreren Zeitungen an der Spitze der Regierung steht. Für eine Demokratie ist das aber inakzeptabel“, meint Nanni Moretti. Kino allein als Kampfinstrument genügte ihm nicht: 2001 gehörte er zu den Organisatoren von Bürgerversammlungen gegen Berlusconi in Rom, und 2002 hielt er sich auch mit Kritik an der Mitte-Links-Allianz Ulivo nicht zurück. Deren Köpfe nannte er schlicht „politische Nichtskönner“.

Film-im-Film-jonglieren

Nun also Il Caimano – Der Italiener, eine Art Generalabrechnung mit Berlusconi, dem Stehaufmännchen der italienischen Politik. „Seit zwölf Jahren legt Berlusconi nun schon das Land mit seinen persönlichen Problemen lahm“, lässt Moretti die junge Filmregisseurin Teresa (Jasmine Trinca) in Il Caimano sagen und damit aussprechen, was viele Italiener denken. Ihren Landsleuten endlich die Augen im Kino öffnen, das ist die große künstlerische Vision. Das Drehbuch dazu hat Teresa schon geschrieben: Berlusconis Karrierebiografie vom zwielichtigen Bauunternehmer in Mailand über den Aufbau eines Medienimperiums bis hin zum Sturm der Staatsspitze, frei nach dem Motto: „Berlusconi will in die Politik gehen, um nicht ins Gefängnis gehen zu müssen.“ Mit ihrem Drehbuch landet Teresa nach vielen Absagen ausgerechnet beim einst hoch verehrten Trash-Filmer und Produzenten Bruno Bonomi (Silvio Orlando), der sich beruflich wie privat in einer schweren Krise befindet. Längst mehr tragischer Hochstapler denn kreativer Künstler, mehr liebenswerter Chaot denn seriöser Partner, gibt Bonomi mit fortschreitender Leidensmiene den Ed Wood des italienischen Kinos. Seit 30 Jahren hasst Bruno politische Filme. Doch angesichts des drohenden Bankrotts hat er keine Wahl.

„Il Caimano“ ist eine Film-im-Film-Geschichte und Nanni Moretti ihr listiger Jongleur zwischen Wirklichkeit und Fiktion, Politik und Privatem, zwischen Ernst und Ironie, künstlerischer Leichtigkeit und politischer Schwerstarbeit. Die Herausforderung: Wie macht man einen Menschen (an)greifbar, der sich stets aalglatt aus jedem noch so tiefen politischen oder juristischen Sumpf herausziehen konnte? Morettis Methode: fein dosierte Überzeichnung, bei der Fakten zum Gegenstand von fiktiven Spekulationen werden, Verfremdungen, die dennoch eine eindeutige Rückbindung an die Wirklichkeit nahe legen. Wenn also die Frage auftaucht, wie Berlusconi sein riesiges Vermögen („milliardi di lire“) als Bauunternehmer in den Siebziger Jahren gemacht hat, dann lässt Moretti seinen Bruno in einen (filmischen) Traum versinken, der aus vagen Andeutungen klare Verhältnisse macht: Bestechung, Korruption und Geldwäsche. Wo Morettis frühere Filme in anarchischen oder surrealistischen Spielereien schwelgen, herrscht diesmal Präzision: Tragik und Komik, Ironie und Selbstironie sind so kalkuliert, dass man die Entzauberung nicht nur des Politikers, sondern vor allem des Menschen Berlusconi nur ja nicht aus den Augen verliert.

„Il Caimano“ versammelt auch durchaus bekannte Sujets aus Morettis Schaffen: launige Blicke auf Beziehungs- und Familienleben, die Reflexion einer immer kommerzieller agierenden Kinobranche und die liebevolle Hommage an Ballspiele aller Art – in diesem Fall: Fußball. Wie ein Konzentrat seiner bisherigen Werke auch die stilistische Annäherung, die vom schrillen Frühwerk (Die Nichtstuer, Die Messe ist aus, Der rote Wasserball) bis zum leisen Familiendrama Das Zimmer meines Sohnes (2001) reicht, einem preisgekrönten Film über den Tod als endgültigen Verlust, der den Hinterbliebenen (als Eltern: Laura Morante und Moretti selbst) völlig andere, bisweilen schmerzhafte Perspektiven auf das eigene Dasein aufzwingt. Thematisch ähnlich: das im jüngsten Berlinale-Wettbewerb gezeigte Drama Stilles Chaos, in dem Moretti zwar nicht Regie geführt, aber immerhin die Hauptrolle übernommen und am Drehbuch mitgearbeitet hat.

Obsession Sacher-Torte

Wie selten heutzutage im europäischen Kino verfolgt der 54-jährige Römer Moretti immer noch das Prinzip des Filmautors. Er schreibt die Drehbücher zu seinen Filmen, übernimmt die Regie und oft auch eine Rolle als Darsteller. Und seit 1987 ist er mit seiner Firma Sacher Film sein eigener Produzent. 1991 eröffnete er zudem sein eigenes Kino im römischen Stadtteil Trastevere, das Cinema Nuovo Sacher. Die Namensobsession mit der traditionellen Wiener Mehlspeise hat übrigens eine eigene Vorgeschichte. In Bianca (1983, ebenfalls mit Laura Morante), mokiert sich die nach Süßigkeiten regelrecht süchtige Hauptfigur über jemanden, der noch nie eine Sacher-Torte probiert hat. „Das ist dem Kinopublikum in Erinnerung geblieben und wurde immer wieder zitiert“, erinnert sich Moretti.

Sein eigener Produzent zu sein, gibt Freiheit für politische Kompromisslosigkeit. Ausschlaggebend für die Gründung der Sacher Film war, dass Morettis Produzent für Bianca nicht nur Geld vom staatlichen Fernsehen RAI, sondern auch vom privaten Fernsehsender Rete Italia genommen hatte, einem Kanal aus dem Imperium Silvio Berlusconis – nicht gerade ein Zeugnis hoher Glaubwürdigkeit. „Für Il Caimano“, erzählt Moretti, „habe ich nicht einmal mehr Geld bei der RAI beantragt. Französische Partner haben mir geholfen, und dafür bin ich sehr dankbar.“ Warum auch immer der Film erst jetzt in österreichische Kinos kommt: Obwohl Il Caimano bereits 2006 anlässlich der vorigen Parlamentswahlen in Italien gezeigt wurde, hat er auch beim Urnengang Mitte April 2008 nichts von seiner Aktualität verloren.