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Schmetterling und Taucherglocke – Julian Schnabel im Gespräch

„Durch Grenzen etwas Großes schaffen“

| Dieter Oßwald |

Er war ein Freund von Andy Warhol und gilt längst selbst als bedeutender Künstler. Seine Gemälde und Plastiken sind international anerkannt und wurden in der Londoner Tate Gallery ebenso ausgestellt wie im Pariser Centre Pompidou. Mit der Künstlerbiografie „Basquiat“ gab Julian Schnabel 1996 als Filmemacher sein Kinodebüt, vier Jahre später folgte mit „Before Night Falls“ ein Porträt über den kubanischen Poeten Reinaldo Arenas. Nun inszenierte der 57-jährige seinen dritten Spielfilm. Ein Gespräch über Schnabels persönliches Interesse an Jean-Dominique Baubys Lebensgeschichte, über Religion als Trost und über Schreiben und Filmen als Werkzeuge zur Selbsthilfe.

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Warum haben Sie sich für die Verfilmung dieser Geschichte entschieden? Gibt es einen persönlichen Auslöser, sich mit dem Thema Tod zu befassen?
Mein Vater bekam im Alter von 83 Jahren Krebs, nachdem er sich lange um meine herzkranke Mutter gekümmert hatte. Ich konnte ihm die Angst vor dem Sterben nicht nehmen. Vielleicht habe ich aus diesem Grund diesen Film gemacht: Was ich für meinen Vater nicht tun konnte, kann ich vielleicht für mich selbst tun. Mir ist besser klar geworden, wie man mit dem Tod umgehen kann.

Würden Sie die tragische Geschichte von Jean-Dominique Bauby als Geschichte eines Künstlers sehen?
Ja, auf jeden Fall, denn das Schreiben seiner Memoiren rettete ihn. Als Maler nimmt man sich bisweilen vor, ein Bild nur in bestimmten Farben zu malen, etwa in Blau und Weiß – man schränkt sich damit bewusst ein, um durch diese Grenzen etwas Größeres zu schaffen. Ähnlich verhält es sich mit Bauby im Film: Er ist behindert und sehr stark eingeschränkt. Was kann er noch tun? Er war Autor, und mit dieser Fähigkeit kann er noch etwas mit seinem Leben anfangen. Dieser Mann stand zwischen Leben und Tod und sprach aus diesem einzigartigen Blickwinkel zu uns. Die Grenze zwischen Leben und Tod wurde durch ihn vielleicht ein wenig durchlässiger.

Was sagen Familie und Freunde von Jean-Dominique Bauby zu Ihrem Film?
Ich habe den Film der Mutter seiner Kinder und den beiden Kindern gezeigt, die heute 18 und 20 Jahre alt sind. Die Tochter hat ziemlich über die Witze gelacht, der Sohn hat mit Tränen die Vorstellung verlassen. Nach dem Film haben mich beide umarmt.

Wäre Religion kein schöner Tröster in der Not?
Mich interessieren organisierte Religionen nicht. Aber wenn es Leuten hilft, ist mir das egal. Ich wäre gern spiritueller. Ich würde gerne glauben. Ich glaube an Gott, ich glaube an meinen Vater. Ich glaube an mich selbst und meine eigenen Grenzen. Ich glaube an Güte. Ich glaube, dass wir mit Menschen besser umgehen können und sollten. Was aus diesem Film resultiert, ist eine große Menge Mitgefühl. Diesem Mann wurde gezeigt, wie gut Menschen zueinander sein können. Das gefällt mir. Ich glaube, dass Menschen gut zueinander sein können und geduldig und hingebungsvoll, so wie die Frauen um Jean-Dominique Bauby. Sie wollten ihm wirklich helfen. Sie nahmen ihre Tätigkeit ernst. Es ging nicht um sie selbst.

Le Scaphandre et le papillon ist Ihr dritter Spielfilm. Was macht für Sie den Reiz der großen Kinoleinwand aus?
Ich mag das Geschichtenerzählen. Manchmal habe ich einfach das Bedürfnis, Dinge zu erklären. Wenn ich male, habe ich solche Bedürfnisse nie. Ich schaue mir die Bilder später an und wundere mich, wie sie entstanden sind. Mir gefällt das Bild, aber ich kann nicht sagen warum. Leute, denen Malerei gefällt, brauchen keine Erklärungen. Kino funktioniert gemeinhin anders, dort gibt es Anfang, Mitte und Schluss. Und das Publikum möchte gefälligst wissen, was da auf der Leinwand vor sich geht.

Beim dritten Film ist alles leichter?
Das stimmt, ich habe inzwischen mehr über die Materialen gelernt, mit denen ich es zu tun habe. Das hat mir bei diesem Film viel mehr Freiheit als je zuvor ermöglicht. Ich muss jetzt auch nicht mehr beweisen, dass ich als Maler nun den superkreativen Film inszeniere.

Stimmt es, dass Johnny Depp für die Hauptrolle vorgesehen war?
Mit Johnny Depp wäre der Film ein ganz anderer geworden, schon allein deshalb, weil er ja kein Franzose ist. Natürlich hätte er französisch für die Rolle lernen können, aber er war ohnehin beschäftigt, und deshalb habe ich mich dann für den hervorragenden Mathieu Amalric entschieden.

Wie sind Sie auf Max von Sydow in der Rolle von Baubys Vater gekommen?
Max von Sydow ist ein großartiger Schauspieler, und ich bin sehr froh, dass er das Drehbuch so sehr mochte, dass er mitspielte. Es war eine Ehre für mich. Während der Dreharbeiten wurde er immer mehr zu einer Art von Vater für mich. Er ist inzwischen schon 92 Jahre alt – aber auch körperlich noch immer sehr stark.

Was wurde eigentlich aus Ihrer Version von Das Parfüm?
Ich hatte einen Drehbuchentwurf dafür geschrieben, aber der wurde nie verwirklicht. Bei mir sollte Jean-Baptiste Grenouille selbst in den Gletschern von Alaska noch Gerüche wahrnehmen. Ich wollte zeigen, wie das Ökosystem auseinander bricht. Aus dem Skript ist nichts geworden, deshalb habe die Bilder der Gletscher in Le Scaphandre et le papillon nochmals verwendet.

„Mein Leben war eine Verkettung verpasster Gelegenheiten … Die Frauen, die man nicht geliebt hat, die Glücksmomente, die man vorüberziehen ließ“, schreibt Bauby einmal. Was kann man aus seiner Geschichte lernen?
Er zeigt uns einen nach innen gewandten Blick in das Leben. Sein Werk ist eine Chance, bewusster zu werden. Und so ist seine Geschichte eigentlich auch unser aller Geschichte, denn wir alle werden irgendwann mit Tod und Krankheit konfrontiert. Aber wenn wir genau hinschauen, können wir auch dort Sinn und Schönheit finden. Dieser Film soll ein Werkzeug sein, so wie das Buch von Jean-Dominique Bauby. Ein Werkzeug zur Selbsthilfe, um zu lernen, mit dem eigenen Tod umzugehen. Das habe ich mir erhofft. Deshalb habe ich diesen Film gemacht.