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Lars und die Frauen

| Alexandra Seitz |

Einfühlsam-komödiantischer Film über einen Sonderling, eine Sex-Puppe und eine Gemeinde…

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Ein Kaff irgendwo im nördlichen Mittleren Westen, irgendwann im Winter. Lars Lindstrom redet nicht viel und bleibt gern für sich. Unter der Woche geht er einer Arbeit in einem Büro nach und am Sonntag in die Kirche. Er wohnt über der Garage neben seinem Elternhaus, aus dem heraus sein Bruder Gus und seine hochschwangere Schwägerin Karin besorgte Blicke auf ihn werfen. Doch eines Tages überrascht der Eigenbrötler die beiden mit der Ankündigung, seine Freundin Bianca, die er via Internet kennen gelernt habe, käme zu Besuch. Gus und Karin sind hocherfreut, bis Bianca tatsächlich bei ihnen am Tisch sitzt: Sie ist ein RealGirl, eine „lebensecht“ gestaltete Sex-Puppe. Aber ist sie das wirklich? Oder vielmehr: Ist sie wirklich nur das?

Es wäre ein Leichtes gewesen, aus dieser hanebüchen klingenden Grundidee eine wilde Komödie voller schlüpfriger Witze zu machen. Stattdessen arbeitet Craig Gillespie das erstaunlich zarte und sublime Potenzial des Stoffes heraus und erzählt in Lars and the Real Girl eine herzerwärmende Geschichte über Wahn, Trauma, Schuld- und Mitgefühl und die Stärke einer Gemeinschaft.

Denn was ist zu tun, wenn ein geliebter Mensch so offensichtlich der Wahnvorstellung erliegt, eine Figur aus Silikon sei eine Vertrauensperson? Dr. Dagmar Berman, von Karin und Gus schockiert konsultiert, schlägt vor, das „Spiel“ mitzuspielen, um das eigentliche Problem herauszufinden. Auch die übrigen Bewohner des Ortes sind nun gefordert; und das erste kleine Wunder, das den Heilungsprozess in Gang setzt, besteht darin, dass niemand Hospitalisierung als mögliche Lösung auch nur in Erwägung zieht. „Was hätte Jesus getan?“, fragt vielmehr der Pfarrer beim Gemeinderat-Treffen, und als Antwort darauf wird Bianca in den Rat gewählt.

Ein Großteil des Reizes von Lars and the Real Girl liegt in der Wechselwirkung zwischen dem auf den ersten Blick grotesk wirkenden, kollektiven Ausleben der Wahnvorstellung eines Einzelnen und der tiefen emotionalen Verunsicherung, die dem Wahn dieses Einzelnen zugrunde liegt. Das gemeinsame „Spiel“ mit der Puppe, das rasch eine gewisse Eigendynamik entfaltet, fördert ein Gemenge aus verdrängten Schuldgefühlen, Angst und nicht bewältigter Trauer zutage, in dem die beiden Brüder Lars und Gus sich, ohne das recht zu wollen, eingerichtet haben. Erst die durch Bianca vermittelte Kommunikation ermöglicht es ihnen, wirklich miteinander zu sprechen. Und Lars wagt zaghaft erste Ausflüge aus seinem Schneckenhaus.