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John Cassavetes – Der Cassavetes über Cassavetes

Der Cassavetes über Cassavetes

| Jörg Schiffauer |

Persönliche Ansichten über den Umgang mit Schauspielern, Filmschnitt und die Macht des Regisseurs.

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Ich bin kein „angry young man“. Ich bin nur ein fleißiger junger Mann. Und ich glaube an die Menschen. Ich glaube nicht an „Enthüllungen“, weil Enthüllungen Amerika entzweit haben, und den Rest der Welt. Für mich hat es keinen Sinn, den Präsidentschaftswahlkampf als Riesenschwindel anzuprangern und ihn von innen zu beleuchten. Das ist seit Jahren so, aber wir beleuchten die Sache zum ersten Mal von innen. „Seht ihr, was die da treiben? Seht ihr, wie sie an ihre Wählerstimmen kommen? Seht ihr, wie das geht? Seht ihr?“ Menschliche Schwächen gibt es überall. Der Mensch ist nicht perfekt. Aber wir haben gute Impulse, als Ausgleich für unsere schlechten Taten. Der größte Kampf ist, man macht Hässliches nicht um der Hässlichkeit willen. Indem man alles, was einem vor die Augen kommt, attackiert, permanent attackiert, egal, was jemand tut; das reicht nicht, weil man der Sache nicht trauen kann. Und glauben kann man niemandem, angefangen bei denen, die in der Regierung ganz oben sind. Jeder ist ein Heuchler. Wenn die ganze Welt aus Heuchlern besteht, welchen Sinn hat es dann, weiterzumachen, es gibt ja niemanden mehr, über den es sich lohnen würde, einen Film zu machen, zu reden, zu schreiben. Dann gibt es keine Hoffnung im Leben und man kann genauso gut einpacken.

Ich hätte gern das Gefühl, dass andere mich beeinflusst haben, aber wenn man am Set steht, merkt man, dass man allein ist und niemand die eigene Arbeit beeinflussen kann. Sie können dich nur öffnen und dir das Vertrauen geben, dass das Streben nach Qualität die größte Macht ist, die ein Regisseur haben kann – wenn man auf Macht aus ist. In gewisser Hinsicht muss man Macht wollen. Wir würden keine Filme machen, wenn wir nicht davon ausgingen, dass wir in gewisser Weise für alle sprechen.

Regisseure können einen Schauspieler kaltstellen. Oft behandeln sie sie – sogar Hauptdarsteller, die eine wichtige Rolle im Plot spielen –, als seien sie gar nicht vorhanden. Aber der Schauspieler ist der Einzige, der aus der Emotion arbeitet, in dem die emotionale Wahrheit einer Situation verankert ist. Wenn man das killt, killt man den ganzen Film. Hätten wir Shadows in Hollywood gemacht, wären meine Leute keine so guten Schauspieler geworden, wie sie es sind. Was die Technik betrifft, ist es wahrscheinlich einfacher, einen Film in Hollywood zu machen, aber es wäre schwierig gewesen, Neuland zu betreten, weil es bestimmte Regeln und Vorschriften gibt, die speziell dazu da sind, den Schauspieler zu vernichten und ihm das Leben zu vermiesen – die Produktion so wichtig zu machen, dass er das Gefühl hat, wenn er einen einzigen Satz vermasselt, macht er einen unverzeihlichen Fehler und bekommt vielleicht nie wieder eine Rolle (…) In unserem Metier herrscht eine gewisse Grausamkeit, die verheerende Folgen hat. Ich begreife nicht, wie Menschen Filme über Menschen machen können und dann keinerlei Achtung für die Menschen haben, mit denen sie arbeiten.

Die Leute merken gar nicht, dass ein Film, eine Szene manipuliert werden kann. Ich hasse das Schneiden. Mir wird jedes Mal angst und bange, weil man die Muster sieht und wie die Leute gespielt haben, man weiß, die Story ist da, selbst im ersten, langen Rohschnitt, bei dem man den Film nur Szene für Szene aneinanderreiht, und plötzlich wirkt der Film glatter, besser, der Rhythmus ist besser, aber es geht viel vom Feeling verloren, das Gefühl, dass man sich Zeit lässt und die Schauspieler genießt. Beim Schneiden wird ein Film meist härter, verstörender. Wenn Schauspieler ihr ganzes Herz in etwas legen und man schneidet das zusammen, dann werden die Figuren auf der Leinwand plötzlich härter. Das hat nichts mit ihren Fähigkeiten oder meinen oder denen der Cutter zu tun, die Figuren sind plötzlich nicht mehr so sympathisch, und das macht einen fertig. Man weiß nicht, wie man das innerhalb der vorgegebenen Spieldauer eines Films hinkriegen soll.

Wenn jemand sagt, da läuft ein Kunstfilm – will ich nicht hin! Es bedeutet meistens, dass er schön gefilmt ist oder technisch raffiniert gemacht ist, oder dass es um Einsamkeit geht, ein leerer Raum mit schönem Licht. Jemand läuft durch den Raum und es ertönt unheimliche Musik. Es entsteht nur wenig aus den Leuten selbst oder ihren Frustrationen. Ich bin kein gebildeter Intellektueller. Ich komme von der Straße. Ich glaube einfach, was ich denke, kann auch jeder andere fühlen. Ich filme nicht durch Regenbogen oder irgendwelche Brillen, ich nehme das Leben, wie es ist, und nenne mein Problem beim Namen. Ich finde es ungeheuer spannend, dass ein ungebildeter Mensch wie ich sich unseren Film anschauen kann und begreift, dass wir ihn für ihn machen. Es ärgert mich, wenn jemand behauptet: „Sie machen intellektuelle Filme.“ Ich bin kein Intellektueller!

Das Wichtigste ist die Erkenntnis, dass es unterschiedliche Arten gibt, Filme zu machen, und unterschiedliche Methoden, je nachdem, was für ein Typ man ist. Dass mir niemand auf die Idee kommt, mich zu imitieren!