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Kameraautoren – Mit dem Auge des Betrachters

Mit dem Auge des Betrachters

| Jörg Becker |

Mit dem über fünfhundert Seiten starken Ban „Kameraautoren“. „Technik und Ästhetik“ hat Thomas Brandlmeiereine hervorragend recherchierte Studie vorgelegt: ein werkbiografisches Kompendium über Kamerapersönlichkeiten aus über hundert Jahren Kino.

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Es werde Licht!“ Nichts Geringeres als die Genesis gibt das Motto für ein Buch über Autoren mit der Kamera. Der deutsche Bundesverband Kamera (bvk) gebraucht den Begriff „Bildautor“ in Fragen des Urheberrechts und bezeichnet die Filmkameraarbeit als „Bildgestaltung“. Und wie im Olymp der Kameraleute/Bildgestalter/Operateure oder auch Chefkameramänner, directors of photography beziehungsweise lighting cameramen (lichtsetzender Kameramann) bewegt man sich als Leser dieser Enzyklopädie der Besten des letzten Jahrhunderts, die alle den Namen „Kameraautor im Sinne eines Koautors“ (Brandlmeier) verdienen. „Dieser Mann bereitete täglich den Set vor, diesem Häuptling gehorchten alle anderen, auch wenn der Anschein erhalten blieb, als hätten der Regisseur und der Produzent einen leitenden Einfluss. (…) Nur er war fähig, einen trostlosen Blick in ein ‚Fanal der Entschlossenheit’ zu verwandeln. Allein mit den Mitteln seines Metiers: dem Auflicht, dem Gegenlicht, dem Spitzlicht und den Zusatzlichtern. Das waren manchmal insgesamt nur drei Lampen und manchmal auch 200 (nebst Tüll, Trichtern, Tüten, Toren und anderen Lampenvorsätzen).“ So hat es Alexander Kluge, der Autor und Regisseur, in seinen Geschichten vom Kino unter dem Titel Die sanfte Schminke des Lichts gefasst.

Ein wiedererkennbarer Stil „jenseits der industriellen Zwänge“ (Brandlmeier) kennzeichnet alle in diesem Band mit einem eigenen Texteintrag beschriebenen Experten der Kameraoptik, der fotografischen Aufnahmetechnik, die Kenner des filmischen Helldunkel und der Farbskala, Meister von Lichtsetzung und Abschattung, von Kadrage und Bewegung, von Schärfe und Unschärfe. Entstanden ist so etwas wie ein werkbiografisches Kompendium: 45 Kapitel zu maßgeblichen Kamerapersönlichkeiten aus über hundert Jahren Kino von A bis Z, von Henri Alekan bis Vilmos Zsigmond, bilden den Schwerpunkt des Bandes, eingeführt durch historische Abrisse über die Geburt des Kinos aus dem Geist der Technik und einzelnen Kapiteln zum Kamerastil. Im Anhang findet sich zudem ein umfangreiches und sehr nützliches Glossar zur Erklärung von Fachbegriffen (deutsch/englisch), zusammengestellt von Rüdiger Laske (bvk). Brandlmeier verarbeitet eine Fülle von Selbstaussagen seiner Kamera-Personen aus zahlreichen Interviews; der American Cinematographer ist eine herausragende Quelle unter diversen Periodika.

Die Herleitung des Kamerawissens und -handwerks hebt vor allem die deutschen Ansätze heraus: die Ikonografie des Helldunkel bei „Klassikern“ wie Carl Hoffmann (Die Nibelungen, 1922/24; Faust, 1925) oder Guido Seeber (Der Student von Prag, 1913; Die freudlose Gasse, G.W. Pabst, 1925), der Pabsts Psychoanalyse-Film Geheimnisse einer Seele einschließlich dessen Traumsequenz gestaltete, als Pionier und „Zentralgestirn“ deutscher Kameratechnik galt und Anfang der Zwanziger Jahre erstmals einen Kamerawagen einsetzte; Fritz Arno Wagner, der für Murnau ebenso tätig ist wie für Fritz Lang, dessen M – Eine Stadt sucht einen Mörder, 1931 und Das Testament des Doktor Mabuse 1932/33 er dreht; schließlich Karl Freund (Metropolis, 1925/26, Tartüff, 1926), für dessen Durchbruch in der Anwendung der „entfesselten Kamera“ Der letzte Mann (1924) von F.W. Murnau steht. Für Thomas Brandlmeier kennzeichnet die bewegliche Kamera im Letzten Mann – möglich durch einen innovativ leichten, für einen Kameramotor geeigneten „Stachov“-Ganzmetallapparat – einen radikal neuen Blick im Film, erreicht die „Zentralperspektive den Endpunkt ihrer technischen Evolution“.

Den Umschlagpunkt des „neuen Sehens“, den Beginn ästhetischer Souveränität in der kameratechnischen Beherrschung von Raum und Zeit, sieht der Autor in dem Film Varieté (E.A. Dupont, 1925), filmisches Beispiel einer kameraperspektivischen Versuchsanordnung anonymer Kräfte, in der das Ego seinen kontrollierenden Blick erstmals in delirierenden Bildern verliert (Carl Hoffmann springt für Karl Freund ein, als dieser die Dreharbeiten nicht beenden kann): „Was hier geschieht, betrifft nicht eine beschränkte künstlerische Avantgarde und ihr Publikum, sondern ein Massenpublikum, das reif war, für eine grundlegende Veränderung des Sehens: Der Jahrmarkt (Szene aus Varieté, Anm.) selbst bewegt sich in gegenläufig stürzenden Perspektiven, gleichzeitig schwingen die Schiffsschaukeln gegeneinander, jede Orientierung auflösend. Im nächsten Moment ist die Kamera am Riesenrad postiert, die Bewegungen gehen aufwärts und abwärts zugleich, die lateralen Begrenzungen stürzen optisch verzerrt ins Bodenlose. Mit diesen wenigen Einstellungen bereits ist eine Sichtweise der Welt aufgehoben worden, die 500 Jahre lang den visuellen Diskurs beherrscht hat. Fluchtpunkt und Standpunkt sind nicht mehr fixiert.“

Ein Kapitel über die britische Kameraschule weist ab Mitte der Zwanziger Jahre, verstärkt durch die Emigration ab 1933, einen bedeutenden Zustrom amerikanischer sowie deutscher Kameraleute nach England nach, über den Hollywood-Standards und die expressive Bildgestaltung aus Deutschland auf den traditionell dokumentarischen Blick des britischen Films einwirkten. Arbeit mit drei bis vier Lichtquellen (Key-Light, Back-Light, Fill-Light, mitunter das seitliche Cross-Light) lösten flache Ausleuchtungen ab; Kameraleute wie Charles Rosher, der den ersten Kamera-Oscar für die Arbeit an Murnaus Sunrise (1928) erhalten hatte, oder auch Nicholas Musuraca, später maßgeblicher Bildschöpfer des Film noir  (Out of the Past, 1947, von Jacques Tourneur), der das low key-lighting kultivierte, brachten ihren Einfluss zur Geltung. Man entdeckte die Schattenzonen; die Gesichter der Hauptdarsteller mussten fortan nicht mehr voll ausgeleuchtet sein.

Wie ein Who is who liest sich die Liste der deutschen Kameraleute, auch Ungarn, Tschechen, Polen und Österreicher in der deutschen Filmindustrie, die seinerzeit in England tätig waren. Was Brandlmeiers Untersuchung besonders auszeichnet, sind die aufs Wesentliche komprimierten Bild-Motiv-Optik-Beschreibungen. Es sind präzis versprachlichte Kameravisionen, welche die einzigartige Wirkung eines Stils, einer ästhetischen Wahl und einer Weltsicht des kinematografischen Blicks erhellen und die Herkunft einer Bildgestaltung hervortreten lassen – mitunter fast so, wie damals der Drehbuchautor Carl Mayer einen Filmeindruck vor-geschrieben hat: „ ,München 1912‘. Die Kamera inszeniert einen blonden Engel. Opaleszenz und Weichzeichner. Eine Offiziersmütze und ein Stethoskop bilden ein surreales Ensemble. Lichtimpressionen. Rauch. Schimmerndes Glas. Blumen werfen Schatten. Eine Raum teilende Kette. Objekte im Vordergrund bilden weitere Raumteiler. Vorhänge und Pflanzen, Gewebe und Gespinste überwuchern die Leinwand. Spiegelovale. Rahmen im Rahmen. Diffuses Licht, Räume wie Fallen, Lichtrippen. Ein deutsches Syndrom: der blinde Drehorgelmann. Riesenlampen wie Fleisch fressende Pflanzen. Vorhänge zerreißen. Luftangriff. – Mademoiselle Docteur von Edmond T. Greville (1937).“ Brandlmeier weist damit auf den Kameramann Otto Heller hin, der später Peeping Tom (1960) gedreht hat.

Im englischen Film bildet sich eine interessante Synthese aus: Hier macht John Huston die Farbexperimente seiner Filme Moulin Rouge (1952) und Moby Dick (1956), und die Erinnerungen ans deutsche expressionistische Kino mit exzentrischen Kamerawinkeln und drohenden Schatten fließen in die Horrorfilme der Hammer-Production ein. Schließlich konstatiert Brandlmeier: „Die britische New Wave mit ihrer Vorliebe für indirektes Licht, Handkamera und reportagehaften Stil ist um 1960 der Vorreiter für die Revolution der Nouvelle Vague. Selbst noch in einem period picture wie Tom Jones (Tony Richardson, 1962; Kamera: Walter Lassally) ist die Handkamera so beweglich wie in einer Dokumentation, teilweise mit drei Arriflex gleichzeitig gedreht.“ Low key – die Beleuchtungsformel des „deutschen Dämonenkinos“ (Brandlmeier) fließt in den visuellen Stil des Film Noir ein, dem eigentlichen Höhepunkt der Schwarzweiß-Fotografie im Spielfilm, welchen Paul Schrader als Mischung aus hartem Realismus und deutschem Expressionismus beschrieben hat.

Dieser deutsche Expressionismus von Emigranten wie Theodor Sparkuhl (fotografierte u.a. Stuart Heislers Glass Key), Franz Planer (für Max Ophüls und Robert Siomak tätig), Rudolph Maté (fotografierte Dreyers La Passion de Jeanne D’Arc und Vampyr ebenso wie Charles Vidors Gilda, Fritz Langs Liliom und Hitchcocks Foreign Correspondent, bevor er sich als Regisseur etablieren konnte), Karl Freund, als Kameramann Murnaus im Exil eine lebende Legende, zwischenzeitlich für Universal Pictures mit Mummy und Mad Love (1932/35) als Regisseur, danach nur noch kameratechnisch, etwa für Fred Zinnemanns The Seventh Cross, tätig – dieser Expressionismus wird im amerikanischen Verbrecherfilm wiederbelebt. Mit seiner Rückblenden-Erzählstruktur ist Orson Welles’ Citizen Kane (1941) eine Vorwegnahme vieler Filme der Schwarzen Serie, in denen so oft zuletzt die Zeit knapp wird, die Lebensfrist abläuft in finaler Erzählung.

Die Kamera bei Welles’ The Stranger (1946) und Touch of Evil (1958) sollte dann aber RKO-Chefkameramann Russell Metty führen, und Brandlmeier beschreibt natürlich die mehr als drei Minuten dauernde Kranfahrt am Beginn. Den Oscar bekommt Metty allerdings erst für Kubricks Spartacus (1959/60); unvergleichlich aber, das gibt die folgende Szenenskizze Brandlmeiers ein, ist die Zusammenarbeit von Metty und Douglas Sirk zwischen 1952 und 1958, die einen Sirk-Metty-Stil etablierte. Für Sirk, der nie durch den Kamerasucher schaute, sondern sich um die Schauspieler kümmerte, war die übliche Hollywood-High Key-Fotografie zu hell und es gab keine zufälligen Farben. „Die großen Universal-Melodramen sind voll von Bildern, die einfach ‚verboten’ sind. Gebrochene Wintersonne, die auf einem eingeschneiten Blumenbeet schimmert. Herbstblätter, die der Sturm ins Foyer einer Villa weht. Tauwetter an der Ostfront, aus dem Eis und Schnee tauchen Leichen auf. Ein knallrotes Boot, das über einen See rast. Regen auf einer Fensterscheibe, der sich auf dem Gesicht einer Frau spiegelt. Ein Spielzeugroboter, der vor den Augen eines Verzweifelten über den Tisch marschiert und runter fällt. Ein zitronengelbes Auto, das durch nächtliche Ölfelder rast, die aufgenommen sind wie blutende Erde. Ein Leichenwagen, der sich im Schaufenster eines Antiquitätenladens spiegelt. Eine Frau, die in strengem, graublauen Kostüm an einem schweren Mahagoni-Schreibtisch sitzt und das Modell eines phallischen Bohrturms umarmt. Ein OP-Saal, der sich wie ein UFO im Glas einer Galerie spiegelt. Eine Blinde, die nach einem riesigen phallischen Bettpfosten tastet.“ (Brandlmeier)

Das Werk Henri Alekans (Des Lumières et des Ombres heißt seine Monografie) verdeutlicht bereits alle Verzahnungen, Traditionslinien und Meisterschüler-Einflüsse der Kamera-ästhetik. Alekan assistierte bei Christian Matras, der in den Zwanziger Jahren für Jean Epstein, später unter anderem  für Jean Renoir, Jean Grémillon und Jean Cocteau arbeitete und das gesamte Spätwerk von Max Ophüls – all die verschlungenen schnittlosen Fahrten seit La Ronde (1950) – gedreht hat. „Wie er die Gesichter ausleuchtet bis in die Seele hinein“, so Brandlmeier über Matras, „das war von Anfang an seine Stärke.“ Alekan lernte auch vom deutschen Pionier des Spiegeltrickverfahrens, Eugen Schüfftan (der 1960 The Hustler von Robert Rossen fotografieren sollte), das zwiespältige, diffus gerichtete Licht, dessen Wirkung er als subversives Element beschreibt. Die Reliefwirkung seines plastischen Lichts in Cocteaus La Belle et la bête (1945) bringt Alekan den Durchbruch. Bevorzugt leuchtet er die ganze Szene aus, und sein feenhaftes Licht evozierte noch in Wenders’ Himmel über Berlin (1987) eine Atmosphäre mittelalterlichen Kathedralen.

Néstor Almendros, dessen Kameraarbeit für Eric Rohmers La Collectionneuse (1966) ihm „wie ein Manifest“ erschien, achtete darauf, dass man die Technik nicht sieht und verstärkte natürliche Lichtquellen. Almendros drehte oft „an der lichttechnischen Grenze“, mit verschattetem Hintergrund, bei dem der Zuschauer unwillkürlich zuarbeitet, indem er mehr vermutet, als er sieht. Die „schnellen“ Linsen ermöglichten es ihm zunehmend, mit natürlichem Location-Licht zu drehen. Wie viele seiner französischen Kollegen schätzt Almendros die Kunstgeschichte als Quelle seiner Arbeit, seine Bildgestaltung steht unter dem Einfluss der Impressionisten, auch amerikanischer Landschaftsmaler – etwa für Terence Malicks Days of Heaven, 1976 – und lässt Referenzen an Vermeer und Georges La Tour, an Caravaggio, Rembrandt und Turner erkennen.

John Alton, der „größte Meister des Noir“ (Paul Schrader) kam 1940 aus Paris als Director of photography nach Hollywood. Der gebürtige Ungar Alton (er hat die Monografie Painting With Light aus dem Jahr 1948 hinterlassen) verdankte seine sparsame Low key-Lichtsetzung nach eigener Einschätzung dem Studium der großen Maler, was ihm einen erheblichen Vorsprung gegenüber den Kollegen verschafft habe. In den kleinen, billigen Filmen habe er sein bestes Licht gesetzt, bekannte er, und mitunter an nächtlichen Außenschauplätzen bereits ohne Zusatzlicht gedreht –  lange bevor Raoul Coutard für À bout de souffle (1959) den lichtstärkeren Foto-Film ausprobierte. Auch Lucien Ballard, der bei Lee Garmes für Morocco (1930) assistiert hatte, daraufhin von Joseph von Sternberg für The Devil is a Woman (1934) und Crime and Punishment (1935) engagiert wurde und mit Glamourfotografie und magisch weißer Lichtaura begann, schuf Mitte der Fünfziger Jahre mit The Killing (Stanley Kubrick, 1956) und Murder by Contract (Irving Lerner, 1958) bedeutende Films noirs, als seine Kooperation mit Budd Boetticher begann; der Spätwestern von Sam Peckinpah sollte in den Sechzigern seine Domäne werden. So verläuft von Lee Garmes’ „Nordlicht“ frontal oberhalb auf Marlene Dietrich, die die Intensität des Lichts auf ihren Händen gefühlt haben soll, über Probeaufnahmen mit Jane Russell für Howard Hughes’ The Outlaw, die per Cross-Light ihre Figur zur Geltung brachten, zu Backroom-Szenerien im Noir und schließlich den Panoramen majestätischer Landschaften von der Plattform des so genannten „Chapman-Krans“ (hebt – laut Glossar – die Kamera mit Besatzung bis zu 12 Meter hoch bei maximal 30 km/h) ein abenteuerlich verschlungener Weg an Bilderfahrung durch das Kameraauge. So könnte man schier grenzenlos in der Textur der Kamerastile, der ästhetischen Varianten und Aufnahmetechniken fortfahren …

Mit den ausgewählten Personen sind zugleich ästhetische Tendenzen vorgestellt, etwa an Gianni Di Venanzo der Neorealismus, die Rolle von Raoul Coutard, Néstor Almendros und Henri Decaë für die Nouvelle Vague, Vittorio Storaro für Bertolucci und den Neuen italienischen Film, William Lubtchansky und der jüngere französischen Film, insbesondere Rivette, Straub-Huillet und Godard, auch Gordon Willis (The Godfather), Vilmos Zsigmond (The Two Jakes), Jordan Cronenweth (Blade Runner) und der Neonoir-Film. Die enge Zusammenarbeit mit bestimmten Regisseuren kommt in den werkbiografischen Texten zur Geltung, so etwa von Sven Nykvist mit Ingmar Bergman, von Eduard Tissé mit Sergej Eisenstein, von Billy Bitzer mit D.W. Griffith oder William H. Daniels mit Stroheim. Als Daniels 1926 von einer jungen schwedischen Schauspielerin Probeaufnahmen macht, entsteht das, was man später als „Garbo face“ bezeichnet, und Daniels dreht 20 Filme mit Greta Garbo. „Sie sah von links fotografiert viel besser aus, und ich bestand immer darauf, dass die Regisseure das beachteten“, so Daniels 1970. „Ich versuchte immer, mit der Kamera in ihre Augen zu dringen, zu sehen, was dort war. (…) In bestimmten Stimmungen warf ich das Licht ganz von oben auf sie und machte den Schatten der Augenlider auf den Wangen sichtbar. Es wurde eine Art Markenzeichen von ihr.“ Glamourwirkung ohne soft focus sei der besondere Kniff gewesen, so der Autor über Daniels, der später mit Jules Dassins Brute Force (1947) und Naked City (1948) grandiose Ausflüge in den Film Noir und die harte New Yorker Wirklichkeit ebenso unternimmt mit Anthony Manns Winchester 73 (1950) und The Far Country (1954) in den amerikanischen Westen. Das erscheint wie ein Einspruch, eine Antithese. Der Kameramann und der Star – ein intimes, außerordentlich sensibles Verhältnis, ein Spiel von Vertrauen und Hingabe, von Spiegelung und einer verantwortlichen Personifizierung aller optischen Mittel, die einen Körper per Distanzsinn umgeben. ,Die Kamera liebt sie‘, heißt es mitunter einfach, wenn eine Darstellerin gut getroffen ist.

Brandlmeiers Vorhaben, eine Analyse kameratechnischer Ansätze – Kameratechnik als Kamerastil –, ist eine Rekapitulation kreativer Prozesse der Filmaufnahme. Jetzt, da dieses Buch erschienen ist, merkt man, dass es gefehlt hat. Buch- und Regieautoren ist damit eine dritte Ebene hinzugefügt worden, verantwortlich für die Fortsetzung bildnerischer Kunst, wenn man will: seit den steinzeitlichen Höhlenmalereien, mit anderen Mitteln.